Bettina Rausch-Amon
Bettina Rausch-Amon, Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP.
Politische Akademie / Glaser

Wir werden die künstliche Intelligenz zähmen – Bettina Rausch-Amon, Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP

Parteien verändern sich sukzessive, in kleineren und größeren Schritten. Es wird auch in Zukunft Gemeinschaften geben, in denen Interessen gebündelt werden. Menschen werden sich zusammenschließen, um ihren Ideen zu einer Mehrheit zu verhelfen. Ich wünsche mir, dass das weiterhin mit friedlichen Mitteln geschieht. Dass das gelingen kann, dafür sorgen Parteien in einem demokratischen System.

Das Links-rechts-Denken hat sich jetzt schon weitgehend überholt. Es ist vor allem die politische Bubble, die diese Etiketten verwendet. An den Rändern des politischen Spektrums, die man noch landläufig als links und rechts bezeichnet, gibt es Extreme. Dort wird es lauter, schriller und brutaler. Diese Ränder beeinflussen den Diskurs sehr stark. Es muss gelingen, den politischen Diskurs noch stärker an den Lebensrealitäten der Menschen auszurichten. Das ist ein wirksames Rezept, um dem demokratieschädlichen Einfluss der Ränder den Zunder zu nehmen. Mein Anspruch ist, dass wir schon jetzt eine Politik machen, die darauf Einfluss hat.

Was Sachthemen und Emotionen betrifft, gibt es kein Entweder-oder. Jedes Sachthema wird auch mit Emotion transportiert, erst recht von Menschen, die ein politisches Anliegen haben. Die Darreichungsformen und die Medien, die uns zur Verfügung stehen, um Politik zu transportieren, werden noch vielfältiger werden. In der kurzfristigen Perspektive stehen wir vielleicht nahezu ohnmächtig vor den Algorithmen. Aber es gibt gerade unter den jungen Menschen ein gutes Verständnis dafür, was echt ist und was nicht. Es wird uns gelingen, die künstliche Intelligenz zu zähmen und besser zu nutzen.

Direkte Kommunikation zwischen Politik und Bevölkerung hat es immer gegeben, die war früher langsamer und zeitaufwendig, weil das eine Face-to-Face-Begegnung war. Das Spektrum der Möglichkeiten, wie Politik kommuniziert, wird sich noch erweitern, aber es wird weiterhin Medien geben, die einordnen, die Menschen zusammenbringen, die Diskurs befördern oder einen längeren Hintergrund bringen. Es gibt eine große Sehnsucht nach stichhaltiger Information. Die offene Frage ist, wie sich diese Medien finanzieren werden. Michael Völker

Maria Maltschnig
Maria Maltschnig, Direktorin und Geschäftsführung des Renner-Instituts Wien.
Foto: Helena Lea Manhartsaberger

Unabhängige Medien werden immer einen festen Platz im politischen Diskurs haben – Maria Maltschnig, Direktorin des Karl-Renner-Instituts der SPÖ

Ich bin überzeugt, dass es noch Parteien im heutigen Sinn geben wird, weil sie in einer parlamentarischen Demokratie unabdingbar sind. Bruno Kreisky hat gesagt, Parteien vermitteln zwischen den Regierenden und den ­Regierten. In den Parteien bündeln sich Interessen und Weltanschauungen. Diese Interessen werden in Parteien ausformuliert und stehen dann in einem demokratischen Wettbewerb zur Wahl. Deshalb wird es Parteien in dieser Form immer geben, zumindest in Österreich. Es gibt ja andere Länder, wo das schon viel fragmentierter ist.

Es wird auch in 35 Jahren noch leidenschaftliche Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Weltanschauungen geben. Aber wir stehen heute vor gigantischen Herausforderungen, was den technologischen Fortschritt, den Klimawandel, die wirtschaftliche Entwicklung oder die internationale ­Politik betrifft. In 35 Jahren, wenn man positiv denkt und alles gutgegangen sein wird, wird man feststellen, dass es Kooperation und ein gemeinsames Verständnis für ein Gemeinwesen braucht. Und auch gebraucht hat, um diese großen Fragen zu lösen. Wenn uns in 35 Jahren die ökologische Transformation gelungen sein wird, werden die Politik und die Gesellschaft daraus gelernt haben: Solche gigantischen Pro­bleme kann man nur mit einem gewissen gemeinsamen Verständnis bewältigen.

Ich hoffe schon, dass die Politik es schafft, den technologischen Fortschritt so zu nutzen und zu regulieren, dass wir in Zukunft auch eine viel­fältige und ernstzunehmende Medienlandschaft haben. Die dann auch dazu führt, dass die Bürgerinnen und Bürger breit informiert und dadurch auch emanzipiert sind. Das ist ja der Vorteil des technologischen Fortschritts, dass er auch eine unglaubliche Reichweite und Zugänglichkeit für Menschen bringt. Das ist eine Grundlage dafür, sich gut in politische Debatten und ­Prozesse zu involvieren. Ich bin davon überzeugt, dass Demokratinnen und Demokraten immer wissen werden, dass unabhängige Medien nicht weg­zudenken sind, wenn man die Demokratie bewahren und auch noch ­ausbauen will. Michael Völker

Claudia Gamon
Claudia Gamon, EU-Abgeordnete der Neos.
HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk

Es wird die Vereinigten Staaten von Europa geben – Claudia Gamon, EU-Abgeordnete der Neos

Ich bin 34 Jahre alt, habe gerade eine Tochter bekommen. Wenn sie so alt sein wird wie ich, wird die Welt kaum wiederzuerkennen sein. Wenn ich mit meinen Eltern spreche, wie es vor 35 Jahren war, zeigt sich, dass sie sich die techno­logischen Veränderungen, mit denen wir heute leben, gar nicht vorstellen konnten. Ich bin überzeugt, dass die Welt bis 2058 noch einmal so große Schritte macht. Das wird auf alle Lebensbereiche Auswirkungen haben.

Die Veränderung wird grundlegend sein. Nehmen wir das Internet, das hat in meiner Lebenszeit alles tief verändert. Der Verkehr wird sich verändern, es wird noch mehr automatisiert. Künstliche Intelligenz und der Innovationsdruck in Richtung nachhaltige Technologien treibt das an.

Ich bin Technooptimistin. Neue Technik wird unser Leben vereinfachen und verbessern, unsere Lebensqualität erhöhen. Ich hege keine falsche Nostalgie für einfaches Leben. Wir werden noch mehr als bisher im Alltag Kreativität ausleben können, das Menschliche wird gestärkt werden. Künstliche Intelligenz wird uns viele Dinge abnehmen.

Ich werde dann hoffentlich immer noch im Bregenzer Wald leben, Rura­lität und Urbanität gleichzeitig noch mehr genießen können. Der Verkehr wird anders laufen, ich werde nach Dornbirn mit einer autonom fahrenden Gondel oder einem kleinen autonom fahrenden Elektrobus kommen. Fortbewegung wird automatisiert auf erneuerbaren Energien aufgebaut sein.

Das Arbeitsleben wird sich verändern, wir werden auch von zu Hause aus arbeiten. Aber menschliche ­Begegnungen und Kommunikation werden noch wichtiger sein, als sie es heute sind. Dienstleistungen werden viel attraktiver gestaltet sein.

Politisch wird Österreich Teil von einem ganz anderen Europa sein. Es wird die Vereinigten Staaten von Europa geben. Möglich, dass es einen Teil, einen Kern von Staaten gibt, die sehr stark integriert sind, und einen Teil, der loser eingebunden ist. Die EU wird in 35 Jahren stark erweitert sein, die Ukraine ein Mitglied. Aber die institutionelle Bauart wird anders sein.

Global gesehen wird es diverser, die Welt wird nicht mehr von den USA, China und Europa dominiert sein. Es wird mehr Player geben, viele starke Wirtschaftsräume. Europäische Identität als Ort der Freiheit wird wichtiger sein als heute. Thomas Mayer

Lena Schilling
Lena Schilling, Klimaaktivistin.
Regine Hendrich

Hitze wird das Leben grundlegend ändern – Lena Schilling, Klimaaktivistin

In 35 Jahren werde ich, das ist arg, 57 sein. Ich schaue definitiv mit Bauchweh auf diese Zeit, weil ich nicht glaube, dass wir das mit den 1,5 Grad hinbekommen werden. Der Temperaturanstieg wird irgendwo zwischen 2,5 und 3,5 Grad liegen – das wird auch in Österreich eine große Herausforderung sein.

In Wien könnte es um knapp acht Grad wärmer werden. Wir haben jetzt schon Hitzetage mit 36 Grad, das wird noch viel extremer. Es wird Tage mit über 40 oder 45 Grad geben. Da wird sich das Leben zu den Mittagsspitzen grundlegend verändern. Auch gesunde Menschen haben bei solchen Temperaturen Schwierigkeiten, ihre Arbeit zu verrichten. In der Baubranche wird man im Sommer nicht mehr arbeiten können, und auch die Industrie wird sich daran anpassen müssen. Schüler werden sicher nicht in die Mittagshitze entlassen werden. Und für ältere Menschen werden extreme Temperaturen bedeuten, dass das Rausgehen schwierig wird.

2058 sollte die EU schon acht Jahre klimaneutral sein. Ich bin aber pessimistisch, dass sich das ausgehen wird. Schon heute halten sich die Mitgliedsstaaten nicht an das, was dafür notwendig wäre. Wenn wir diese Klimakrise nicht in den Griff bekommen, heißt das auch, dass es vor den Grenzen der EU Flüchtlingsströme geben wird, weil Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Das macht mir angesichts des Rechtsrucks in Europa große Sorgen. Dann kann man sich den Humanismus an den Hut stecken.

Ein Hoffnungsschimmer für mich ist, dass Menschen die Geschichte immer anders vorausgesagt haben, als sie war. Hätte man in den 1750er-Jahren gedacht, dass wir mal ein Frauenwahlrecht haben? Hätten Arbeiter um 1800 gedacht, dass es einen Acht-Stunden-Tag gibt? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass das, was jetzt normal und gegeben ist, nicht so bleiben muss. Nora Laufer

Satans Bratan
Satans Bratan, Influencer und Entertainer.
Foto: Heribert Corn

Es wird auch im Jahr 2058 noch Jobs geben. Aber welche? – Satans Bratan, Influencer und Entertainer

Das mit den Jobs wird ein riesiges Thema werden. Taxifahrer? Die wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die Autos werden dich automatisch von A nach B bringen. Auch die Lkws werden von selbst fahren. Erste autonom fahrende Busse gibt es ja jetzt schon, bald fährt in Wien auch die erste U-Bahn automatisch. In 35 Jahren wird sich der gesamte ­Verkehrssektor durch den technologischen Fortschritt verändert haben. Die Jobs in diesem Bereich, vom Lkw-Fahrer bis zum Lokführer, könnten großteils überflüssig werden.

Auch im Handel wird der Wandel enorm sein. Dass da jemand noch an der Kassa steht, das wird es künftig nicht mehr spielen. Oder nehmen wir die Bau­branche: Ich selbst bin gelernter Schalungsbauer. Die Arbeit ist sicher nicht so leicht wie andere zu ersetzen. Aber wenn alles noch präziser wird und noch genauer, könnte das Haus aus dem 3D-Drucker die Norm werden. Künstliche Intelligenz wird auch meinen Job als Influencer beeinflussen. Vielleicht werde ich irgendwann von einem virtuellen Influencer ersetzt.

Ich bin aber optimistisch: Natürlich wird es auch im Jahr 2058 noch Jobs geben. Aber welche? Wir werden ja nicht weniger Menschen. Mit diesen Fragen muss sich die Politik beschäftigen. Ich halte auch Vorträge in den Schulen. Wenn ich die Jugendlichen dort frage, ob sie eine Lehre machen oder für ihren Jobwunsch eine weiterführende Schule absolvieren wollen, antworten die meisten: "Das weiß ich nicht." Oder sie sagen, sie wollen Influencer, Rapper oder Beauty-Tante werden. Ich hoffe, die Lehre wird wieder attraktiver.

Die Digitalisierung wird vieles einfacher machen – etwa die Teilnahme an Wahlen. Ich glaube, dass du künftig von deinem Handy aus wählen gehen kannst. Das kann auch dazu führen, dass wieder mehr Leute bei Wahlen mitmachen. Auf der anderen Seite werden wir aber auch mehr kontrolliert werden. Es wird viel mehr Kameras geben. Die Politikerinnen und Politiker werden dann sagen: Das ist zu eurer Sicherheit. Aber wird es das tatsächlich sein? (David Krutzler, 16.11.2023)