Rettenbachferner, Gletscher, Sölden
Der Rettenbachferner in Sölden vor wenigen Tagen anlässlich der Schneekontrolle vor den Riesentorläufen, mit denen am Wochenende die alpine Weltcupsaison beginnt.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

Da ist der österreichische Skiverband hoffentlich nur kurz in alte Muster zurückgefallen. Christian Scherer, Generalsekretär des ÖSV, sorgte jedenfalls für Verwunderung, als er den für sein Klimabewusstsein bekannten Speed-Spezialisten Julian Schütter recht frontal anging. "Der Julian muss sich über kurz oder lang auch die Frage stellen", sagte Scherer in einem "Sport am Sonntag"-Beitrag im ORF, "ob sein Beruf, sprich Sportler, mit seiner Ideologie übereinstimmt und kompatibel ist." Wichtig sei auch, so Scherer weiter, dass Schütter sich ins Teamgefüge einbringe "und nicht missionarisch versucht, seine Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen". Den ÖSV hat laut Scherer gestört, dass Schütter den internationalen Verband (FIS) attackierte. Das sollte "nicht der Fall sein", und dazu werde es "ein klärendes Gespräch geben".

Das klingt nach "Hände falten, Gosch'n halten". Doch weshalb sieht sich der ÖSV bemüßigt, sich hinter die FIS zu stellen, mit der er bis vor kurzem selbst über Kreuz war? Was ließ sich Schütter zuschulden kommen? Der Steirer war Initiator einer Petition, in der die FIS u. a. dazu aufgefordert wurde, den Weltcupkalender nachhaltiger zu gestalten. 500 Athletinnen und Athleten teilten und unterschrieben das Begehren, doch geändert hat sich nichts. Der alpine Weltcuptross reist in dieser Saison, wie schon in der vergangenen, gleich zweimal eigens zu wenigen Rennen nach Nordamerika – früher ist er mit nur einem solchen Abstecher ausgekommen. Und die Rennsaison beginnt neuerlich allzu früh, nämlich Ende Oktober und auf dem Gletscher ob Sölden. Die FIS betont, mit den zwei Auftakt-Riesentorläufen immerhin eine Woche später zu starten als im Vorjahr, doch de facto startet sie zum selben Termin wie im Jahr 2017. Und dass Mitte November (ab 11.11.) schon Speedrennen in Zermatt/Cervinia angesetzt sind, zwingt die Teams förmlich dazu, zuvor auf Gletschern in Südamerika zu trainieren, weil im Sommer auf europäischen Gletschern nicht mehr genügend Schnee liegt.

Umdenken? Fehlanzeige!

Umdenken? Fehlanzeige! Bei den FIS-Oberen um ihren Präsidenten, den Milliardär Johan Eliasch, haben die 500 Unterschriften genau gar nichts bewegt. Dies zu kritisieren, hat Schütter gewagt und der FIS vorgeworfen, sie halte "an Greenwashing fest". Mit der darauf folgenden Ankündigung eines "klärenden Gesprächs" erwies sich der ÖSV keinen guten Dienst. Das sieht so aus, als nehme er ein Thema, das vielen Athleten und auch vielen Skisport-Affinen ein Anliegen ist, nicht ernst genug. Viele Aktive haben eine vergleichsweise zeitgemäße Einstellung und sich jedenfalls ihre Aussagen besser überlegt. "Wir haben so eine schöne Erde, da müssen wir einfach schauen drauf", sagt etwa Cornelia Hütter. Vincent Kriechmayr meint, das Thema Klimawandel mache "nachdenklich", und fügt hinzu: "Grundsätzlich ist die Politik gefordert."

Im Gegensatz zu Schütter sind Hütter, heuer WM-Dritte im Super-G, und Kriechmayr, der 2021 WM-Gold in der Abfahrt und im Super-G gewann, Stars des Skisports. Und Mikaela Shiffrin ist ein, nein: der Superstar. "Was wir derzeit tun, macht wenig Sinn", sagt die US-Amerikanerin, die zweimalige Olympiasiegerin, siebenmalige Weltmeisterin und mit 88 Erfolgen einmalige Weltcup-Rekordsiegerin ist. Sie fordert einen späteren Termin für künftige Sölden-Rennen und sieht sich auf einer Linie mit der Schweizer Olympiasiegerin Lara Gut-Behrami, die für einen Weltcup-Auftakt erst Mitte November plädiert. Dass ein späterer Auftakt auch weniger Rennen insgesamt bedingen würde, ist logisch – und würde nebenbei auch vielen Aktiven passen. Reisestress und Überbelastung sind traditionelle Kritikpunkte im Weltcuptross. So oder so ist es, aus ÖSV-Sicht, wahrscheinlich ein Glück, dass Shiffrin und Gut-Behrami keine Österreicherinnen sind. Die würden sich jeden Maulkorb stante pede verbieten.

Neue Ferieneinteilung?

Weniger ist mehr, später ist besser. Sinngemäß sagt das, nämlich im Ö1-"Morgenjournal", nun auch Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Für sie ist es "unverständlich, warum man auf Biegen und Brechen an einem Skistart im Oktober festhalten" und warum "jetzt schon auf den letzten Gletscherresten Ski gefahren werden muss". Gewessler sieht die FIS in der Pflicht, den Rennkalender zu überdenken, und springt damit spät auf einen fahrenden Zug auf.

Gut wäre es, die Politik würde nicht nur anlassbezogen reagieren, sondern breit darüber diskutieren, wie sich der Wintertourismus insgesamt künftig gestalten könnte. Der zu frühe Weltcupstart in Sölden ist schließlich nur, nun ja, die Spitze des Eisbergs, generell und traditionell beginnt die Skisaison viel zu früh. Anfang Dezember fährt man um teures Geld auf weißen Kunstschneebändern durch eine grüne oder graue Landschaft. Angesichts der Tatsache, dass der natürliche Schnee immer später kommt (und oft länger bleibt), wäre vielleicht sogar die Einteilung der Ferien zu überdenken. Wieso nicht die Weihnachtsferien verkürzen und die Semesterferien verlängern? Vieles gehört überdacht, bevor der Skisport insgesamt nur noch überdacht, also in Hallen, stattfinden kann. (Fritz Neumann, 23.10.2023)