Viele Fifa-Fußballweltmeisterschaften der Vergangenheit hatten einen negativen Beigeschmack oder zogen sogar ein juristisches Nachspiel nach sich. Die Umstände, wie die Weltmeisterschaften vergeben wurden, waren oftmals dubios und wenig transparent, viele Turniere wurden von Korruptionsvorwürfen begleitet. Auch das jüngste WM-Turnier in Katar im Jahr 2022 avancierte zu einem der umstrittensten Sportereignisse der Geschichte. Neben tausenden toten Gastarbeitern und der Verletzung von Menschenrechten trug auch das undurchsichtige Vergabeverfahren zu diesen Kontroversen rund um das Turnier bei.

Gianni Infantino hält einen Fußball bei einer Pressekonferenz
Der aktuelle Präsident der Fifa, Gianni Infantino, hatte nach seiner "Machtübernahme" schnell "das Ende der Krise" in der Fifa ausgerufen und von einer "neuen Fifa" gesprochen. Ist dieser Prozess wirklich vollzogen worden?
AP/Luis M. Alvarez

Nach dem großen Fifa-Skandal im Jahr 2015, der unter anderem auch die Doppelvergabe der Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar zum Gegenstand hatte, wurde das Vergabeverfahren unter Neo-Fifa-Präsident Gianni Infantino geändert. Die Fifa wird seit der Reform nicht müde zu behaupten, dass das WM-Vergabeverfahren nun so objektiv und transparent wie nur möglich sei. Die Realität spricht eine andere Sprache. Denn trotz dieser Reform sind die Vergabeverfahren der jüngsten Vergangenheit ebenso wenig frei von Problemen, und auch die Kritik über Einflussnahmen verstummt nicht. Das hat erst kürzlich die Bekanntgabe, dass sich die WM 2030 wohl auf drei Kontinente und sechs Länder erstrecken wird, deutlich vor Augen geführt.

Vor diesem Hintergrund soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, wie denn nun ein solches WM-Vergabeverfahren (auf dem Papier) abläuft und wer letztendlich darüber entscheidet, in welchem Land die Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Dazu ein Spoiler gleich vorweg: Wer mit einer schonungslosen Abrechnung mit der Fifa rechnet, wird enttäuscht. Vielmehr folgt eine "nüchterne" rechtliche Analyse der Fifa-Regularien. Den Lesenden bleibt selbst die Bewertung überlassen, ob die WM-Vergabeverfahren im Einklang mit den von der Fifa selbst auferlegten transparenten und objektiven Vorgaben stehen oder ob das alles bloße Lippenbekenntnisse des Fußballweltverbands sind.

Korruptionsaffären im Zuge früherer WM-Vergaben

Die früheren WM-Endrunden bis einschließlich WM 2022 in Katar wurden – vereinfacht gesagt – durch das Fifa-Exekutivkomitee vergeben. Dabei handelte es sich um ein Gremium aus 24 Leuten, die in geheimer Abstimmung den Austragungsort der WM festlegten. Das Exekutivkomitee besaß große Macht und hatte weitestgehend "Narrenfreiheit" – Kontrollmechanismen bestanden kaum bis gar nicht. Die Zusammensetzung aus einem kleinen Kreis von 24 Personen wurde von vielen als Weichensteller für Korruption kritisiert. Tatsächlich stehen vor allem die Vergaben der Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland und 2010 in Südafrika sowie die Doppelvergabe der Turniere 2018 in Russland und 2022 in Katar unter Korruptionsverdacht.

Dass Korruption nicht nur ein bloßes theoretisches Problem war, zeigt insbesondere die Doppelvergabe der beiden Turniere 2018 und 2022 im Jahr 2010 deutlich. Im Zuge dieses Vergabeverfahrens wurden zwei Exekutivkomitee-Mitglieder kurz vor der Abstimmung gesperrt. Sie waren von britischen Reportern mit versteckten Kameras überführt worden, als sie ihre Stimmen zum Kauf anboten. Verstärkt wurde dieser Unmut auch dadurch, dass Katar im vierten Wahlgang den Zuschlag erhielt, obwohl sich das Land laut Fifa-eigenen Prüfberichten von allen Bewerbern am wenigsten für eine WM-Ausrichtung eignete.

Die Vorgänge rund um diese WM-Vergabe an Russland und Katar gipfelten schlussendlich im wohl größten Skandal der Fifa-Geschichte. 2015 kam es in Zürich zu einer von der US-Justiz angestoßenen Razzia und zu zahlreichen Verhaftungen in Zusammenhang mit Korruption bei WM-Vergaben. Selbst das FBI schaltete sich ein. Auf den öffentlichen Druck hin trat schlussendlich auch der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter zurück.

Die Reform des WM-Vergabeverfahrens

Blatters Nachfolger Gianni Infantino hatte nach seiner "Machtübernahme" schnell "das Ende der Krise" in der Fifa ausgerufen und von einer "neuen Fifa" gesprochen. In diesem Licht veränderte die Fifa tatsächlich auch das WM-Vergabeverfahren. So wurde unter anderem das Fifa-Exekutivkomitee aufgelöst und durch den größeren Fifa-Rat ersetzt. Über die WM-Vergabe stimmt seitdem der Fifa-Kongress ab.

Eine weitere entscheidende Änderung liegt in den erhöhten Transparenz- und Objektivitätskriterien. Hier sticht der Umstand, dass das Abstimmungsverhalten jedes Verbandes veröffentlicht wird, hervor.

Wie läuft das Vergabeverfahren nun aber aus rechtlicher Sicht genau ab, und was sind die relevanten Schlüsselorgane?

Wer sind die maßgeblichen Entscheidungsträger?

Die Reform hat also das Fifa-Exekutivkomitee aufgelöst und durch den personenstärkeren Fifa-Rat ersetzt. Dieser Rat ist das primäre Entscheidungsgremium der Fifa zwischen den Kongressen. Zu den Mitgliedern gehören der Fifa-Präsident Gianni Infantino, acht Fifa-Vizepräsidenten sowie 28 weitere Personen. Letztere werden von den Mitgliedsverbänden über den Kongress ihrer jeweiligen Konföderation jeweils für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt.

Für die Entscheidung über die Vergabe der Weltmeisterschaften ist neben dem Fifa-Rat der Fifa-Kongress das zweite maßgebliche Gremium. Seit der Reform entscheidet der Fifa-Kongress in offener Abstimmung, nicht mehr das Exekutivkomitee. Der Fifa-Kongress ist das oberste und gesetzgebende Organ der Fifa. Jeder Nationalverband wird durch einen Delegierten vertreten und hat eine Stimme. Damit ist der Kongress die Versammlung aller 211 Nationalverbände, die Mitglieder in der Fifa sind. Wichtige Aufgaben im Vergabeprozess erfüllt schließlich auch das Fifa-Generalsekretariat.

Das Vergabeverfahren (auf dem Papier) im Detail

Nach den Fifa-Statuten (Art. 34 Abs. 10 und Art. 68 Abs. 1) wird der Austragungsort der Endrunde der Fifa-Fußball-WM vom Kongress bestimmt. Im Detail legt Art. 68 Abs. 2 der Fifa-Statuten das folgende Verfahren fest:

Mehr Transparenz und Objektivität?

Auf den ersten Blick ist das Prozedere tatsächlich transparent. Denn maßgebende Schritte des Bewerbungsverfahrens sind öffentlich. Der Inhalt des Bewerbungsdossiers und die Veranstaltungsvorgaben werden veröffentlicht, und auch die Evaluationsberichte für jeden einzelnen Bewerber werden publiziert. Auf der Grundlage dieser Berichte trifft der Fifa-Rat eine Vorauswahl, die dann dem Fifa-Kongress zur endgültigen Entscheidung unterbreitet wird. Jede einzelne Stimmabgabe im Verfahren wird offengelegt. Auch die Wahl durch den Fifa-Kongress erfolgt offen. Das Bewerbungsverfahren unterliegt zudem einem Verhaltenskodex und wird von einer unabhängigen Prüfungsgesellschaft kontrolliert.

In der Theorie soll daher jeder Fußballfan ganz genau über jeden einzelnen Schritt im Bewerbungsverfahren Bescheid wissen. In der Praxis erfolgt nun zwar kein einziger Beschluss im Geheimen, Absprachen hinter verschlossenen Türen sollen aber nach wie vor gang und gäbe sein. Weniger transparent lief auch die Ankündigung der sogenannten Sechs-Länder-WM Anfang Oktober dieses Jahres ab. Die jetzige Bekanntgabe wurde unangekündigt ein Jahr vorverlegt, von großen Pressekonferenzen sah man ab. Das alles erweckt den Anschein, dass viel abseits der Öffentlichkeit besprochen wurde. Eines ist jedenfalls (fast) klar: Die Fußballweltmeisterschaft wird sich 2030 auf drei Kontinente und sechs Länder erstrecken.

WM 2030 auf drei Kontinenten und in sechs Ländern

Denn der Fifa-Rat beschloss einstimmig, die WM 2030 an die drei alleinigen Bewerber aus Marokko, Portugal und Spanien zu vergeben, sofern die Kandidatur vom Fifa-Kongress im nächsten Jahr bestätigt wird. Angesichts des historischen Kontexts der ersten Fußball-WM, die 1930 in Uruguay stattfand, beschloss der Fifa-Rat ferner ebenfalls einstimmig, in der Hauptstadt Montevideo eine 100-Jahr-Feier und in Uruguay, Argentinien und Paraguay drei WM-Spiele zu veranstalten. Die restlichen 101 Matches sollen in Spanien, Portugal und Marokko stattfinden.

Der Fifa-Kongress, der sich aus allen 211 Mitgliedsverbänden zusammensetzt, muss diese Entscheidung noch absegnen; er wird seine Entscheidung voraussichtlich im vierten Quartal 2024 treffen. Dabei dürfte es sich um eine bloße Formalität handeln.

Nach Bekanntgabe hagelte es umgehend Kritik. Nicht so sehr wurde kritisiert, dass damit bereits sechs Mannschaften (Spanien, Portugal, Marokko, Uruguay, Argentinien und Paraguay) qualifiziert sind; das fällt angesichts des großen Teilnehmerfelds von 48 Teilnehmern kaum mehr ins Gewicht. Vielmehr wird beanstandet, dass sich der Fußball immer weiter von den Fans entfremdet und dass die Fifa ihre 48 WM-Teilnehmer im Jahr 2030 auf eine weite Reise über drei Kontinente, nämlich Südamerika, Afrika und Europa, schicken wird.

Menschenrechte und Nachhaltigkeit

Das passt für viele mit der selbst auferlegten Pflicht der Fifa, die Grundsätze zum nachhaltigen Veranstaltungsmanagement sowie die Menschenrechte einzuhalten, nicht zusammen. Amnesty International forderte die Fifa dazu auf, bei der Vergabe der WM 2030 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die Menschenrechtsregeln der eigenen Fifa-Statuten einzuhalten. Der Menschenrechtsschutz müsse als Kriterium und Messlatte bei der Vergabe eine zentrale Rolle spielen. Tatsächlich bekennt sich die Fifa in ihren Statuten (Art. 3) und ihren aktuellen Vergaberegeln in Punkt 4. d) ausdrücklich zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit.

Wie kann nun die Austragung einer WM in sechs Ländern und auf drei unterschiedlichen Kontinenten aber nachhaltig sein? Während Kritiker der Fifa dieses Vorhaben weder logistisch noch unter Nachhaltigkeitsaspekten als sinnvoll erachten, entgegnet der Weltverband, dass 101 Spiele des Turniers in benachbarten, geografisch eng beieinanderliegenden Ländern (Spanien, Portugal und Marokko) mit weitreichenden und gut entwickelten Verkehrsverbindungen und Infrastrukturen stattfinden. Drei Spiele würden in Südamerika ausgetragen, und zwar ebenfalls in benachbarten, geografisch eng beieinanderliegenden Ländern. Die Fifa werde außerdem alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den ökologischen Fußabdruck der Fifa-WM zu mindern.

Der größte Aufschrei nach der Verkündigung ist aber darin zu sehen, dass die Fifa damit die Weichen für eine WM 2034 in Saudi-Arabien gestellt hat. Die Angst grassiert, dass das internationale Sportgroßevent auf Kosten von Menschenrechten ausgerichtet wird. Denn die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien gilt als noch problematischer als im Gastgeberland der letzten WM, Katar. Warum Saudi-Arabien 2034 zum Zug kommen könnte, ist wohl auch auf einen "klugen" Schachzug der Fifa zurückzuführen. Dazu machte sich die Fifa das eigene, in den Fifa-Statuten verankerte Rotationsprinzip zunutze.

 WM 2034 in Saudi-Arabien?

Art. 68 Abs. 4 der Fifa-Statuten enthält das sogenannte Rotationsprinzip. Demnach darf das Austragungsrecht für die WM nicht zweimal nacheinander an Mitglieder derselben Konföderation vergeben werden. Das bedeutet, dass sich die Verbände jener Kontinentalverbände nicht um eine WM bewerben können, wenn ein anderer Nationalverband derselben Konföderation eine der letzten beiden Weltmeisterschaften ausgetragen hat. Insgesamt gibt es sechs Konföderationen, nämlich Uefa (Europa), Conmebol (Südamerika), Concacaf (Nord- und Mittelamerika), CAF (Afrika), AFC (Asien) und OFC (Ozeanien).

Dieses Rotationsprinzip dürfte sich nun Fifa-Präsident Infantino zunutze gemacht haben, um den Weg frei für eine WM in Saudi-Arabien im Jahr 2034 zu machen. Durch die interkontinentalen Austragungen der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko (Concacaf) und 2030 in Spanien, Portugal, Marokko, Uruguay, Argentinien und Paraguay (Uefa, Conmebol und CAF) dürfen sich für die WM 2034 nur Länder aus Asien (AFC) und Ozeanien (OFC) bewerben. Da kein ozeanischer Staat infrage kommt, bleibt neben Saudi-Arabien wohl höchstens noch China übrig. Australien, das zwar mittlerweile dem AFC angehört, richtet die Olympischen Spiele 2032 in Brisbane aus, eine Ausrichtung einer WM zwei Jahre später gilt daher als unrealistisch. China fällt als Land ohne Fußballbegeisterung (vorerst) weg, und Japan und Südkorea kamen bereits 2002 zum Zug. Wenig überraschend kündigte der saudi-arabische Fußballverband noch am Tag der Bekanntgabe der Sechs-Länder-WM 2030 seine Bewerbung für 2034 an. Die asiatische Fußballkonföderation hat bereits ihre Unterstützung erklärt.

Strenges System notwendig

Eine Fußball-WM verspricht dem Ausrichterland Geld, Publicity und die Möglichkeit, das Image aufzupolieren. Es überrascht daher nicht, dass viele Parteien die WM auch mit unlauteren Praktiken ins eigene Land holen wollen. Da der Fußball eine tragende Säule des Gemeinwohls und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, müssen die Entscheidungen über die Vergabe einer Fußball-WM auf demokratisch vereinbarten Regeln basieren. Das Verfahren zur Wahl des Veranstalters muss über jeden Zweifel erhaben sein. Die Fifa ist – wie sie selbst proklamiert – der Fußballwelt ein ethisches, transparentes, objektives und einwandfreies Bewerbungs- und Vergabeverfahren schuldig.

In der Vergangenheit wurde die Fifa all diesen Prinzipien nicht immer gerecht. Fifa-Kritiker sehen in der Vergabe 2030 ein perfides Schauspiel der Fifa. Der Fußballweltverband Fifa tue so, als würde er den Fußball vereinen, indem er die WM 2030 an sechs Ländern auf drei Kontinenten vergibt. Tatsächlich, so die Kritik, rolle die Fifa taktisch geschickt Saudi-Arabien den Teppich für die WM 2034 aus. Der Weltverband halte die Hand nach noch mehr Geld aus dem Ölstaat auf. Heißt der eigentliche Gewinner der WM-Vergabe 2030 daher Saudi-Arabien? (Johannes Mitterecker, 30.10.2023)