Palästina-Demo in Wien
Auf den Pro-Palästina-Kundgebungen waren regelmäßig antiisraelische Sprechchöre zu vernehmen, zu Eskalationen kam es nicht.
Tabea Kerschbaumer

Seit dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel und dem Kriegsbeginn im Gazastreifen vor rund zwei Wochen gehen auch auf Österreichs Straßen die Wogen hoch. Es vergeht kaum ein Tag ohne Demonstration, allein 26 propalästinensische Kundgebungen haben stattgefunden. Gravierende Ausschreitungen und Verletzte gab es bei den Demos hierzulande bisher nicht. Allerdings sorgten Parolen, die das Existenzrecht Israels bestreiten, immer wieder für Empörung.

In Deutschland wurden teilweise auch Nationalfahnen des Staates Israel verbrannt, in Österreich war derartiges bisher nicht zu sehen. Auch das Innenministerium weiß auf STANDARD-Anfrage von keinem solchen Vorfall. In Klagenfurt blieb es kürzlich bei einem Versuch von unbekannten Tätern. Vergangenes Wochenende wurde aber von Jugendlichen in der Nacht eine Israel-Fahne vom Wiener Stadttempel heruntergerissen. Eine polizeiliche Bewachung des Tempels gab es nicht, der deswegen in die Kritik geratene Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) kontert nun mit der Forderung nach Strafverschärfungen.

Frage: Bei welchen Taten schwebt Karner eine Verschärfung vor?

Antwort: Im Ö1-"Morgenjournal" am Mittwoch sagte der Minister, dass es "in Teilbereichen natürlich wünschenswert wäre, wenn es auch härtere Strafen gäbe". Karner nannte dabei Szenarien, bei denen "Symbole verbrannt werden". Gemeint haben dürfte er damit insbesondere das Verbrennen oder Zerstören der israelische Flagge.

Frage: Ist das nicht jetzt schon strafbar?

Antwort: Es gibt im Strafgesetzbuch (StGB) schon derzeit das Delikt der "Herabwürdigung fremder Symbole". Der entsprechende Paragraf 317 greift allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen, die eng gefasst sind. Zum einen muss die Tat einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden und auf "gehässige Weise" stattfinden. Vor allem aber gilt der Paragraf nur für jene Fahnen oder Hoheitszeichen eines fremden Staates, die "von einer inländischen Behörde oder der Vertretung des jeweiligen Staates angebracht wurden". Das heißt also, dass es einen strafrechtlichen Unterschied macht, wo das Symbol montiert war: Wenn man etwa eine israelische Fahne vom Bundeskanzleramt oder der israelischen Botschaft herunterreißt, macht man sich dadurch wegen des besagten Delikts strafbar. Dementsprechend wurden jene Jugendlichen, die eine Fahne vom Linzer Rathaus – also einem Behördenstandort – entfernt und zerschnitten hatten, von der Polizei nach Paragraf 317 angezeigt.

Wenn man hingegen die Fahne vom Wiener Stadttempel reißt, fällt das zwar unter Sachbeschädigung, aber nicht unter die Herabwürdigung fremder Symbole, weil eine Synagoge weder eine inländische Behörde noch eine Botschaft ist. Auch die publikumswirksame Zerstörung einer Fahne, die man selbst zu einer Demo mitbringt, wird von Paragraf 317 nicht erfasst.

Frage: Inwiefern fordert Karner hier Änderungen?

Antwort: Das Innenministerium schreibt dem STANDARD sinngemäß, dass man den Paragrafen auch auf Symbole ausdehnen wolle, die nicht von einer Behörde gehisst wurden. Wie weit genau das gehen soll, blieb offen. Zudem denkt das Ministerium über ein höheres Strafmaß nach. Nach aktueller Rechtslage wird das Delikt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen bestraft.

Frage: Wie sinnvoll wäre Karners Vorschlag aus Sicht von Experten?

Antwort: Alois Birklbauer, Leiter des Strafrechtsinstituts der Uni Linz, kann mit dem Vorschlag des Innenministers gar nichts anfangen. "Was soll der Sinn dahinter sein?", fragt sich Birklbauer. "Das Herunterreißen von Fahnen generell unter Strafe zu stellen halte ich für übertrieben. Und nach diesem Vorschlag wäre das Verbrennen einer Österreich-Fahne plötzlich nicht strafbar, bei jener Israels dann aber schon?" Das bestehende Recht hält der Jurist für "völlig" ausreichend. "Der Konflikt lässt sich nicht damit lösen, dass man eine Strafe von sechs Monaten auf beispielsweise zwei Jahre anhebt. Das muss auf andere Weise passieren."

Video: Stimmen von der untersagten Propalästina-Demo in Wien.
DER STANDARD/Titze

Frage: Gibt es Länder mit strengeren Strafen?

Antwort: Ja, in Deutschland wurde das Gesetz erst 2020 verschärft. Dort gibt es das Delikt "Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten". Der Paragraf 104 bezieht sich auf Flaggen und Symbole, die behördlich angebracht wurden. Aber es wird ebenso bestraft, "wer öffentlich die Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschädigt und dadurch verunglimpft". Das Gesetz schließt zudem Flaggen mit ein, die dem Original "zum Verwechseln ähnlich sind". Wer in Deutschland Flaggen eines fremden Staates "entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt", kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldbuße bestraft werden.

Frage: Zurück nach Österreich: Wenn man hierzulande eine Israel-Fahne beschädigt, gilt das dann nicht als Verhetzung?

Antwort: Das kann tatsächlich der Fall sein. Aber der Tatbestand der Verhetzung – Paragraf 283 des StGB – erfordert immer Begleitumstände, die bloße Beschädigung einer Fahne ist nicht ausreichend. Strafbar macht sich laut Gesetz nur, wer öffentlich zu Hass oder Gewalt aufstachelt oder das Symbol einer gesamten Bevölkerung in der öffentlichen Meinung verächtlich macht oder herabsetzt. Der Strafrahmen dafür beträgt bis zu zwei Jahre.

Frage: Was heißt das für die Verdächtigen, die am Herunterreißen der Fahne vom Wiener Stadttempel beteiligt waren?

Antwort: Eine 17-jährige, die von der Polizei ausgeforscht wurde, hat bereits zugegeben, dass sie bei der Aktion dabei war. Sie zeigte sich zum Vorwurf der Sachbeschädigung geständig, bestreitet aber den Vorwurf der Verhetzung. Ob die Tat, die via Tiktok als Video verbreitet wurde, unter den Strafbestand der Verhetzung fällt, ist fraglich. Die weiteren Ermittlungen obliegen der Staatsanwaltschaft.

Frage: Wie steht das grün geführte Justizministerium zu Gesetzesänderungen?

Antwort: Innenminister Karner behauptete im Ö1-Interview, dass es bereits Gespräche mit dem Ressort von Alma Zadić über Verschärfungen gebe. Die Justizministerin wollte am Mittwoch auf STANDARD-Anfrage jedoch keine Stellungnahme zum Thema abgeben. Ein Sprecher von Zadić verwies auf das Statement der grünen Abgeordneten Agnes Prammer, die auf den Vorstoß des Koalitionspartners abwartend reagiert: Zuerst müsse das Innenministerium analysieren, wie die bestehenden Gesetze von den Sicherheitsbehörden angewendet werden. Prammer spielt damit wohl auf die mangelnde Bewachung des Stadttempels durch die Polizei am vergangenen Wochenende an. Klar sei, dass der Schutz jüdischen Lebens oberste Priorität habe. Doch anstatt auf gesetzliche Verschärfungen drängt die grüne Justizsprecherin auf mehr Jugendarbeit und Aufklärung in den Schulen, um antisemitische Denkmuster zu bekämpfen. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 25.10.2023)