Österreichs oberster Staatsschützer, Omar Haijawi-Pirchner, warnt seit geraumer Zeit vor der Gefahr durch Jihadisten im Land.
Österreichs oberster Staatsschützer, Omar Haijawi-Pirchner, warnt seit geraumer Zeit vor der Gefahr durch Jihadisten im Land.
APA / ALEX HALADA

Allem voran: Eine konkrete Anschlagsplanung von Jihadisten ist in Österreich aktuell nicht bekannt. Aufgrund des Terroranschlags in Brüssel und des Angriffs der palästinensischen Hamas-Terroristen in Israel wurde am Mittwoch allerdings die Terrorwarnstufe hierzulande auf die zweithöchste Stufe, also auf "hoch", gestellt. Das heißt, dass es aktuell eine "konkrete Gefährdungslage und eine gestiegene Anschlagsgefahr" gibt.

In erster Linie liegt das an der Situation in Israel und Gaza. Österreichs oberster Staatsschützer, Omar Haijawi-Pirchner, hegte vor Journalistinnen und Journalisten die Sorge, dass der Krieg im Nahen Osten unter potenziellen Gefährdern eine "Trigger-Wirkung" erzeugen und zu einem Treiber für Radikalisierung werden könnte.

Das erscheint durchaus berechtigt. Wer dieser Tage, wie viele Jugendliche, auf Tiktok unterwegs ist, wird von Videos aus Israel und Palästina geradezu überschwemmt. Darunter mengen sich nicht nur Falschinformationen und Propaganda, sondern auch salafistische Prediger, die mit ihren Beiträgen teils enorme Reichweiten erzielen. Der Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung des Islam, die als ideologischer "Durchlauferhitzer" für den bewaffneten Jihadismus gilt.

Passend dazu forschte die steirische Polizei kürzlich einen 14-Jährigen aus, der auf Tiktok zur "Zerstörung" von Graz aufgerufen hatte. Der seit 2015 in Graz lebende Syrer teilte dort ein Video, in dem drei Bilder mit pro-palästinensischen Inhalten zu sehen waren. Darin wurde auch zu Gewalt am Grazer Hauptplatz animiert. Der Bursche wurde angezeigt. Die Polizei verortet ihn auf Nachfrage des STANDARD ideologisch in einer Blase aus gleichgesinnten Jugendlichen, die einschlägigen Predigern auf Social Media nacheifern. Konkrete Anschlagspläne lagen allerdings nicht vor. Polizeilich sei der 14-Jährige schon einmal wegen Handydiebstahls aufgefallen.

Glücklicher Terror-Rückzieher in Wien

Das alles trifft auf eine ohnehin angespannte Sicherheitslage. Haijawi-Pirchner warnte schon vor Monaten, dass es in Europa und Österreich einige Gefährder gebe, die durchaus in der Lage seien, Anschläge zu verüben. Dazu kamen die Koranverbrennungen in Schweden, durch die sich nicht nur die Terrorgefahr im nordischen Königreich verschärft hatte, sondern wohl auch die Situation in Europa insgesamt. Ein Indiz dafür: Anfang dieser Woche erschoss ein Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Brüssel ausgerechnet zwei schwedische Fußballfans.

Allerdings ging aus Sicht von Staatsschützern schon seit längerer Zeit in Österreich eine ernstzunehmende Gefahr von Jihadisten aus – weit vor den besagten Koranverbrennungen und der verheerenden Lage im Nahen Osten. Hierzulande gibt es schätzungsweise 50 bis 60 Hochrisikogefährder, teils auf freiem Fuß, teils in Haft. Aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass in den vergangenen Monaten laufend neue potenzielle Jihadisten wahrgenommen wurden. Gut möglich, dass das in der aktuellen Gemengelage noch weiter zunimmt. Eine erhöhte Terrorwarnung war somit absehbar.

Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Österreich erst vor kurzem nur haarscharf an einem Anschlag eines Jihadisten vorbeigeschrammt war. Wie DER STANDARD aufgedeckt hatte, stand ein türkischstämmiger 16-Jähriger Mitte September bereits mit einem Messer bewaffnet am Wiener Hauptbahnhof – brach seine mutmaßlichen Anschlagspläne aber in letzter Sekunde ab.

Zuvor postete der Jihadist in einem einschlägigen Telegram-Chat ein Bekennerfoto mit eindeutiger Anschlagsankündigung. Auf dem Foto ist der Jugendliche mit Messer und in Tarnkleidung zu sehen, den Finger hält er zum IS-Gruß ausgestreckt.

Jenes Foto erinnerte frappant an das Bekennervideo des Jihadisten K.F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen erschossen und etliche weitere verletzt hatte. Den Wiener Attentäter zählte der 16-Jährige in einer Polizeieinvernahme später auch zu seinen Vorbildern.

Der junge Mann war weder amtsbekannt noch in ein größeres jihadistisches Netzwerk eingebunden. Er war nur in einer einschlägigen anonymen Chatgruppe auf Telegram aktiv. Das Messer besorgte sich der Verdächtige, der sich aktuell in U-Haft befindet, erst am Tag der geplanten Tat. Dieser Fall macht deutlich, welche Gefahr von Einzeltätern ausgehen kann.

Eine Warnung, die plötzlich verschwand

Die Gefahr lauert aber nicht nur im Inland. Heuer am 14. März galt die Terrorgefahr in Wien bereits einmal als groß. Staatsschützer erhielten damals einen abstrakten, aber durchaus ernstzunehmenden Tipp von Partnerdiensten aus dem Ausland. Es hieß, mehrere IS-Terroristen würden sich in Europa aufhalten und seien möglicherweise im Besitz von Waffen und Sprengstoff. Das vermutete Ziel in Wien: syrische Einrichtungen aufgrund des damaligen Jahrestags des syrischen Bürgerkriegs. Verbindungsleute in der Hauptstadt konnten die Sicherheitsbehörden nicht ausschließen und postierten deshalb großflächig Einsatzkräfte der Antiterroreinheit Cobra.

Die Warnung wurde nach zwei Tagen zwar ohne tiefere Begründung aufgehoben. Unter Staatsschützern wurde die Gefahr, die von den Terroristen ausging, aber auch im Nachgang nicht als bloße Lappalie abgetan. Ganz im Gegenteil.

Sorge bereitet Staatsschützern zudem, wie leicht Jihadisten mittlerweile an bedrohliches Material wie Bombenbaupläne gelangen oder wie einfach sie sich mit ausländischen IS-Anhängern über anonyme Chatgruppen vernetzen können. Illustriert hat das etwa ein mittlerweile 15-jähriger Wiener Gymnasiast mit tschetschenischen Wurzeln. Er wird verdächtigt, einen Terroranschlag auf die Wiener Regenbogenparade am 17. Juni geplant zu haben.

Der Bursche soll nach Erkenntnissen des Staatsschutzes eine eigene Gruppe auf Telegram gegründet haben, in der sich "bekennende Terroristen" getummelt haben dürften, wie die APA berichtete. Darunter ein mutmaßlicher IS-Anhänger, der erst Mitte Februar in Belgien festgenommen worden war. Und ein Ukrainer, der den anderen verkündet habe, er würde sich "gerne in die Luft sprengen" und könne schon "das Paradies fühlen". Der junge Wiener befindet sich nach kurzer Zeit in U-Haft auf freiem Fuß. (Jan Michael Marchart, 19.10.2023)