Es ist ein farbenfroher Spielplatz: Unter dem rot-weiß-rot gestreiften Zirkuszelt thront ein übergroßer Clown, er lädt die Besucherinnen und Besucher dazu ein, die eigene Kraft zu testen. Daneben sprießen metallene Blumen, die den Geruchssinn auf die Probe stellen. Wonach sie duften, ist nicht immer ganz leicht zu definieren – so ganz ohne ein Bild tut sich die Nase schwer. Und auch den Luftballon, der gerade durch den Raum gleitet, nur durch das Bewegen der Windmaschine durch die runden Reifen zu befördern, stellt für viele eine Herausforderung dar.

Ausstellung im Pavillon des Wissens des Projekts Ciência Viva.
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Dass Kinder in dem knallbunten Raum in diesem Lissabonner Science-Center Spaß haben, ist leicht vorzustellen. An diesem Abend sind es allerdings Erwachsene, die versuchen, ihre Sinne zu schärfen und Rätsel zu lösen, und die sich dabei sichtlich amüsieren. "Erwachsene haben Spaß, weil sie wieder Kinder sein können", sagt ein Mitarbeiter von Ciência Viva, jenem Programm, das die Ausstellung betreibt. Mitten in dem Zirkus zieht Martin Polaschek an einem Seil, das eine Schaukel antaucht. "Es kommt auf den Rhythmus an", sagt er und bemüht sich, die kleinen Bälle herausplumpsen zu lassen. Die Mission des Wissenschaftsministers geht jedoch über diese Geschicklichkeitsübung hinaus: Österreich soll Portugal werden – zumindest was das Vertrauen in die Wissenschaft betrifft.

Aufholjagd in Portugal

Denn vor knapp 20 Jahren war die Wissenschaftsskepsis dort ähnlich groß wie sie heute in Österreich ist. Noch vor rund zehn Jahren haben sich etwa nur rund 60 Prozent der Portugiesinnen und Portugiesen für die staatliche Förderung der Grundlagenforschung ausgesprochen. Das beförderte Portugal unter den EU-Mitgliedern auf den vorletzten Platz. Dahinter lag nur Österreich.

Heute trennt die beiden Länder viel. Während die Wissenschaft hierzulande weiterhin keinen besonders guten Stand hat, hat sich die Einstellung in Portugal geändert. Bis zur Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2021 schoss das Vertrauen der Portugiesinnen und Portugiesen in die Höhe. So gaben etwa 99 Prozent der Befragten an, der Einfluss von Wissenschaft und Technologie auf die Gesellschaft sei sehr positiv oder positiv. Portugal lag damit auf Platz eins, Österreich mit 80 Prozent Zustimmung hingegen weiter unter dem EU-Schnitt. Ein anderes Beispiel: In der Umfrage stimmen der Aussage "Das Interesse an Wissenschaft bei den Jungen ist wichtig für unseren künftigen Wohlstand" Österreicherinnen und Österreicher nur zu 27 Prozent "sehr" zu – das ist der letzte Platz. Bei der Nummer eins Portugal sind es 80 Prozent.

Zentren der Wissenschaft

Doch was hat sich im Westen Europas geändert, was kann Österreich von Portugal lernen? Es sei ein langer Weg gewesen, dahin zu kommen, wo man heute sei, erklärte in Lissabon Ana Noronha. Sie ist Exekutivdirektorin der Ciência Viva – eines Programms, das zuletzt während der Corona-Pandemie über die Landesgrenzen Portugals hinaus für Aufmerksamkeit sorgte. Schließlich wurde es für die hohe Durchimpfungsrate mitverantwortlich gemacht. Seit Ende der 1990er-Jahre werden unter der Marke Ciência Viva Zentren wie der Pavillon des Wissens in einem ehemaligen Expo-Gebäude in Lissabon aufgebaut.

Polaschek besuchte mit einer Schulklasse das Labor des Wissenschaftspavillons.
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Mittlerweile gibt es 21 dieser Zentren über das ganze Land verteilt; fünf weitere sind geplant. Gemein haben sie, dass sie Leerstand nutzen – etwa ein ehemaliges Gefängnis –, ihr Aufbau unter anderem durch EU-Gelder und ihr Betrieb von den Kommunen finanziert wird, lokale Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen stark eingebunden sind und sie Wissen interaktiv vermitteln – etwa in der Zirkusausstellung in Lissabon, die auch Polaschek besuchte.

Neben den Zentren laufen unter dem Namen Ciência Viva aber etwa auch 900 schulübergreifende Science-Clubs. Schulklassen können zudem eine Woche lang im Science-Center verbringen, um dort mit Wissenschaft in Berührung zu kommen. Dort lernen sie etwa im Labor, wie Astronautinnen und Astronauten die Toilette nutzen, oder backen in der Küche Müsliriegel, die für die Reise ins All die wichtigsten Nährstoffe mitbringen.

Künftig sollen auch Farmen bei Ciência Viva hinzukommen, die sich mit unterschiedlichen Themen landwirtschaftlich und wissenschaftlich beschäftigen. Die erste werde über Kirschen sein, es ginge in den Farmen zwar um regionale Produkte, aber auch die Erde, den Klimaschutz und Nachhaltigkeit. So soll die Wissenschaft auch im ländlichen Raum stärker verbreitet werden.

Schwierige Zielgruppe

Während die Jüngeren noch recht einfach zu begeistern seien und etwa bei Museumsbesuchen ihre Eltern mitbringen, seien die Jugendlichen jene Gruppe, die sich am schwierigsten für Wissenschaft erwärmen ließe – sie hätten zu viele andere Interessen und Ablenkungsmöglichkeiten, sagt Noronha.

Das bestätigt auch Barbara Streicher, Geschäftsführerin des Vereins Science-Center-Netzwerk, die Polaschek mit anderen bei seinem Besuch in Lissabon begleitet. Der Verein betreibt etwa seit zehn Jahren den Wissensraum, der als Zwischennutzungsprojekt immer wieder den Ort wechselt. Wichtig sei, dass Wissenschaft dorthin komme, wo Menschen sich aufhalten – etwa in das leerstehende Erdgeschoßlokal eines Gemeindebaus oder ins Einkaufszentrum.

Das Weltall ist derzeit ein großes Thema bei Ciência Viva – in der Küche lernen die Kinder über Nährstoffe.
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Denn Wissenschaft ist im Alltag vieler wenig präsent, und häufig bestehen in der Bevölkerung nur abstrakte Vorstellungen darüber, wie Wissenschaft funktioniert – zu dieser Erkenntnis kam zuletzt eine Ursachenstudie des IHS im Auftrag des Ministeriums. Wissenschaftsskepsis ziehe sich außerdem quer durch die Bevölkerungsschichten. Streicher ist es daher wichtig, dass Maßnahmen gegen Wissenschaftsskepsis "in die Fläche gehen" – also unterschiedliche Gruppen ansprechen. Für Schulen gebe es schon einige sehr gute Angebote. Etwa das seit 2007 vom Wissenschaftsministerium gestartete Förderprogramm Sparkling Science der Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD). Dabei arbeiten Schule und Wissenschaft gemeinsam an aktuellen Forschungsfragen.

Erste Schritte in Österreich

Erste Schritte wurden auch in Österreich bereits in einem Zehn-Punkte-Plan gesetzt: etwa die Etablierung von Wissenschaftsbotschafterinnen und Botschaftern, die an Schulen gehen, um Kinder und Jugendliche für Forschung zu begeistern. Die geplanten Maßnahmen werden nun bis Anfang des kommenden Jahres überarbeitet und gegebenenfalls angepasst. "Wir starten nicht bei null", sagt Polaschek. Voraussichtlich Ende Jänner 2024 sollen erste Ergebnisse vorliegen.

In Portugal hätten Polascheks Interesse aber besonders die Wissenschaftsklubs geweckt. Drei Stunden pro Woche können Lehrende in Portugal im Zuge ihres Lehrvertrags für diese Klubs aufwenden. Wie Polaschek im Zuge des aktuellen Lehrermangels diese gewinnen möchte? "Wir müssen so etwas ja nicht eins zu eins kopieren", sagt er. Das ginge auch gar nicht, schließlich baut das portugiesischen Schulsystem auf Ganztagsschulen. Die Kinder und Jugendlichen besuchen sie also in einer Zeit, in der sie sowieso in der Schule sind und nicht zusätzlich. Diese Schulform würde "früher oder später" zwar Thema in Österreich sein, sagte Polaschek, er spreche sich aber auch weiterhin für die "Wahlfreiheit" aus.

In Bezug auf die Wissenschaftsklubs könne er sich vorstellen, dass Personen dafür gewonnen werden können, die nicht direkt aus dem Lehrkörper kommen. Das könnten Wissenschafterinnen sein, aber auch Assistenzpädagogen. "Es ist ein Weg, Schülerinnen und Schüler auf eine weitere Art anzusprechen", sagt der Minister. Wie dieser genau funktionieren könnte, werde man sich nun anschauen: "Wir haben die Tradition der Klubs in Österreich noch nicht." Polaschek plant, dass Pilotprojekte an interessierten Schulen bereits im Wintersemester 2024 starten könnten. Andere Schulen, da ist sich Polaschek sicher, würden dann nachziehen wollen – auch jene mit besonderen Herausforderungen.

Thema in Leistungsvereinbarungen

Der nächste Schritt steht schon früher an: Polaschek will die heimischen Hochschulen stärker in die Pflicht nehmen. So sollen zum einen Fachdidaktik und Wissenschaftsvermittlung in der Lehrerbildung, die derzeit neu aufgestellt wird, sowie in der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte eine stärkere Rolle einnehmen.

Martin Polaschek will die Unis in die Pflicht nehmen und Wissenschaftskommunikation in die Leistungsvereinbarungen einbringen.
APA/EVA MANHART

Wissenschaftskommunikation und mögliche Science-Center sollen zudem in den anstehenden Leistungsvereinbarungen, in denen das Ministerium mit den Universitäten das Budget für die Jahre 2025 bis 2027 verhandelt, Thema sein und in die Erwartungsbriefe des Ministeriums aufgenommen werden. "Nicht alle Universitäten werden dadurch ein Science-Center bauen, das brauchen wir auch nicht", sagt Polaschek. Ein in diese Richtung gehendes Projekt wird in Österreich seit kurzem umgesetzt. In Klosterneuburg fiel zuletzt der Spatenstich am Campus des Institute of Science and Technology Austria (Ista). (Oona Kroisleitner, 26.10.2023)