Adele Funder und Mark Kozissnik haben sich bei Hannes Müller in der Forelle am Weißensee kennengelernt. Kozissnik machte dort seine Kochlehre und hatte sich nach vier Jahren zum Sous-Chef dieses grandiosen Kochs hochgearbeitet. Seit ein paar Monaten haben die beiden ihr eigenes Restaurant.

St. Radegund bei Graz ist ein charmanter Luftkurort am Fuße des Schöckl, mit zauberhaften Jahrhundertwendevillen und einer prächtigen Aussicht ins Tal. Fürs gute Essen war es bislang nicht so berühmt. Jetzt aber haben die Wanderer, Mountainbiker und Straßenradfahrer, die es sich am Wochenende hier richtig besorgen, eine Alternative zur Hüttenkost. Das Leaf, so der Name der Unternehmung, wirkt zwar auf den ersten Blick wie ein klassisches Wirtshaus mit grün gekacheltem Ofen, Resopaltischen und gemütlicher Stube. Wer auf Schweinsbraten, Backhendl und G’röste Knödel hofft, ist hier aber falsch.

Leaf, ein neues Fine-Dining-Restaurant in einem alten Wirtshaus am Fuße des steirischen Schöckl.
Das lief ja schon mal gut: das Leaf, ein neues Fine-Dining-Restaurant in einem alten Wirtshaus am Fuße des steirischen Schöckl.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Vielmehr zeigen Funder und Kozissnik hier einstweilen ganz allein, ganz ohne weiteres Personal, ihre Idee von regional verwurzeltem Fine Dining. Die Karte wechselt alle paar Wochen, es gibt ausschließlich Menü. Bei drei Gängen geht es los, mit sechs Gängen bekommt man die ganze Karte. Die Preise sind zahm, das Essen ist bemerkenswert, keineswegs vegetarisch, aber mit deutlichem Fokus auf Gemüse.

Vorneweg gibt es zweierlei Amuse-Bouches, einerseits geflämmten Branzino (keine Sorge, liebe Regionalfetischisten – der kommt eh nicht aus dem echten Meer, sondern, wie unsere Saiblinge und Forellen, ganz brav austriakisch aus einer nahen Tankzucht!) mit Pfefferoni und köstlicher Distelöl-Mayo aus Fandler-Öl sowie eine Parmesan-Espuma mit knackig angebratener Brokkolirose.

Knollensellerie, so schlicht nennt sich dann der erste Gang. Und tatsächlich ist es, wie wir das in den vergangenen Jahren zu erwarten gelernt haben, eine detaillierte Abhandlung der Knolle in diversen Aggregatszuständen: einerseits als dichtes, seidenweich buttriges Püree, anderseits als sous-vide gegarte Happen, die vor dem Anrichten in Butter braun gebraten werden, schlussendlich roh hauchdünn geschnitten und fermentiert, damit die saure Komponente nicht zu kurz kommt. Fruchtig wär aber auch gut, also legt Kozissnik noch zwei Spalten von der kompottierten Birne dazu, außerdem gerösteten Buchweizen als knuspriges Element. Für die Frische gießt Adele Funder bei Tisch noch frisch entsafteten Stangenzeller an. So akademisch-schematisch das alles klingt – am Gaumen schlägt es als köstlich runde und doch vielschichtige Kombination auf.

Wels, roh mariniert, mit Röstzwiebelcreme und Sous-vide-Lauch funktioniert nicht ganz so gut, der Fisch ein wenig pastös und nicht ohne Flachsen, die Creme gar nachdrücklich im Geschmack. Viel besser: Kraut mit köstlicher Beurre blanc und bemerkenswert sauerfruchtigem Dirndlmark, das sich der kohligen Bitterkeit des zentralen Gemüses mit Verve entgegenstellt. Die dazu kombinierten Wildkräuter sind nicht ganz so expressiv wie erhofft – schade, das Gericht würde kraftvolle Aromen und Frische durchaus vertragen.

Saibling wie in der Forelle

Dann Pulled Pork auf eine Art Liwanze aus reinem Sauerteig gebettet, mit knackigem Rotkraut, zart süßer Mayo und Senfkaviar: toller Gang, der Sauerteig flaumig und zart knusprig, mit deutlicher Umami-Power, die sich in die sanft asiatische Aromenkombination einfügt.

Saibling, an der Haut meisterhaft gebraten, ist dann echte Hannes-Müller-Schule, mit zart glasigem, fest gespanntem Fleisch und köstlich knuspriger, würziger Haut. Dazu gibt’s Kürbis in verschiedenen Konsistenzen, auch wieder sehr aufmerksam ausgeführt, wie schon beim Sellerie. Den Abschluss macht ein Schoko-Physalis-Dessert mit – Regionalität oblige – der fabelhaften Schokolade von Zotter. Die Weinkarte ist noch im Werden, es gibt aber schon eine sehr ordentliche Auswahl – die Freude der jungen Leute an Natural Wine blitzt da schon deutlich auf. (RONDO Exklusiv, Severin Corti, 3.11.2023)