Der Amazonas in Südamerika ist nicht nur extrem lang, sondern auch breit und stellenweise beachtlich tief: Bei seiner Vermessung kam man auf eine Länge von rund 6.400 Kilometern, die durch neun Staaten führen, eine Breite von bis zu 20 Kilometern (breiter als der Bodensee) und auf bis zu 100 Meter Tiefe. Doch der Pegelstand des durchschnittlich 30 bis 40 Meter tiefen Stroms und seiner Seitenarme ist derzeit besonders niedrig. In der Amazonasregion herrscht Dürre. Der Rio Negro, der in den Amazonas mündet, hat seit Juli 15 Meter an Tiefe eingebüßt.
Zumindest für Archäologinnen und Archäologen bringt dies überraschende Vorteile mit sich. Denn so werden Dinge sichtbar, die Menschen vor hunderten Jahren hinterließen, als die Landschaft noch anders aussah und die Flüsse niedrigere Wasserstände hatten. Konkret handelt es sich um Gravuren, die in Steine im Flussbett der Flüsse geritzt wurden.
Das zeigt sich aktuell in Ponto das Lajes, unweit jener Stelle, an der der Rio Negro in den Amazonas mündet, welcher in diesem Bereich als Solimões bezeichnet wird. Zu erkennen sind einfach gehaltene Gesichter.
In der Vergangenheit kam es bereits vor, dass scheinbar menschliche Gravuren doch auf Spuren von Tieren zurückgeführt wurden, doch hier dürfte dies nicht der Fall sein. Der Archäologe Jaime de Santana Oliveira vom Nationalen Institut für historisches und künstlerisches Erbe (IPHAN) sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass dort bereits 2010 Gravuren im Fels entdeckt wurden. Der diesmal noch niedrigere Pegel, der große Flächen an Stein freilegt, zeige jedoch Bilder, die eindeutig menschliche Gesichter darstellen.
Aus welcher Zeit die Kunstwerke stammen, ist schwierig zu sagen. "Die Gravuren sind prähistorisch oder vorkolonial", nimmt de Santana Oliveira an. Aufgrund der Siedlungsgeschichte der Region dürften sie 1.000 bis 2.000 Jahre alt sein.
Weil nun eine größere Vielfalt an Gravuren erkennbar ist, könne der Ursprung einzelner Bilder vermutlich besser eingegrenzt werden, sagt der Experte. So stammen die Wetzrillen im Gestein wohl aus einer Zeit weit vor der Ankunft europäischer Siedler auf dem amerikanischen Kontinent ab dem späten 15. und dem 16. Jahrhundert. Indigene Einwohnerinnen und Einwohner dürften so Pfeile und Speere geschärft haben.
Auch in anderen Weltregionen haben Dürren Fundstücke aus Zeiten enthüllt, als der Wasserstand von Flüssen und Meeren niedriger war. Im Vorjahr war das etwa eine prähistorische Megalith-Anlage im Süden Spaniens. Im Irak kam am Mosul-Stausee eine mehr als 3.000 Jahre alte Palaststadt wieder ans Tageslicht, am peruanischen Fluss Vilcanota ein Inka-Altar.
Im Amazonasgebiet wird die Trockenheit jedoch zu einer harten Belastungsprobe für Mensch und Tier. Vermutlich ist der Tod von 120 Flussdelfinen auf die Dürre zurückzuführen. Ihr Bestand ist damit um fünf Prozent zurückgegangen. Im Tefé-See, wo die Tiere lebten, ist das Wasser durchschnittlich 32 Grad warm, nun wurden allerdings selbst in drei Metern Tiefe 40 Grad gemessen – eine für viele Lebewesen dauerhaft tödliche Umgebungstemperatur.
Auch für Menschen wird das Leben an den austrocknenden Gewässern immer schwieriger. Ihre Nahrungsquellen versiegen wie der Zugang zu Trinkwasser, Hunderte von Flussgemeinden sind isoliert.
Zurückgeführt werden die verheerende Hitze und Trockenheit im Norden Brasiliens auch auf das Klimaphänomen El Niño, das die übliche Trockenzeit verstärkt. Auf dieses periodisch wiederkehrende Ereignis, das mit global höheren Temperaturen einhergeht, hat auch der Mensch durch den Klimawandel Einfluss. Die Klimakrise ist Fachleuten zufolge die Haupttreiberin der Hitzewelle. (sic, 28.10.2023)