Luftaufnahme Hurrikan
Hurrikans wie hier im Pazifik stehen erheblich mit dem zyklisch auftretenden Klimaphänomen El Niño in Verbindung.
AP

Dass das Jahr 2023 als Jahr der Rekorde in die Klimageschichte eingehen wird, deutet sich schon seit einiger Zeit an. Bereits der Frühling und der Sommer brachten global kaum oder noch nie gesehene Temperaturen in der Luft wie in den Ozeanen, und auch die Eisbedeckung in der Antarktis erreichte historische Tiefstwerte. Auf den heißesten Juni, Juli und August folgte der weltweit wärmste September seit Beginn der Aufzeichnungen. "Der September war der mit Abstand untypischste Monat in den 174 Jahren, in denen die US-Wetterbehörde NOAA das Klima beobachtet", sagte NOAA-Chefforscherin Sarah Kapnick. Die globale Durchschnittstemperatur für September sei 1,44 Grad Celsius über dem Durchschnitt des 20. Jahrhunderts gelegen. Das sei die größte Abweichung gewesen, die jemals für einen Monat registriert worden sei.

Der Trend zum Brechen vergangener Rekorde geht auch im Oktober weiter. Wie der EU-Klimawandeldienst Copernicus geht auch die NOAA zu 99 Prozent davon aus, dass 2023 das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen wird. Am Dienstag wurde außerdem ein neuer Spitzenwert bei den Oberflächentemperaturen der Meere erreicht: Die Abweichung lag bei 0,702 Grad Celsius über dem Durschnitt der Jahre von 1991 bis 2020. Auch wenn das nach einer geringen Differenz aussieht – Fachleute betonen stets, dass in diesem komplexen System jedes Zehntelgrad der Veränderung weitreichende Auswirkungen nach sich ziehen kann.

Als einer der Faktoren für die ungewöhnliche Erwärmung der Meere wird neben dem Klimawandel und anderen Gründen (wie einer verringerten Schadstoffbelastung durch Schiffsabgase, die zuvor die Atmosphäre über den Meeren getrübt und für Abkühlung gesorgt hat) auch der heurige El Niño angeführt, der gerade Fahrt aufnimmt und damit an Einfluss gewinnt. Das Klimaphänomen, das alle vier bis sieben Jahre auftritt und mit teils katastrophalen Wetterereignissen in Verbindung steht, umfasst die zyklischen Schwankungen der Oberflächentemperaturen des Meeres, die zwischen warmen El-Niño- und kalten La-Niña-Phasen im äquatorialen Pazifik oszillieren.

Signale in Höhlenablagerungen

Doch wie reagiert El Niño, der gemeinhin als natürliches Wetterphänomen gilt, auf menschengemachte Einflüsse? Wie wirkt sich der anthropogene Klimawandel auf die natürlichen Dynamiken des Erdklimas aus? Diese Fragen hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Innsbrucker Geologen untersucht, und zwar anhand von Ablagerungen aus Höhlen im Südosten Alaskas.

Anhand sogenannter Speläotheme oder Höhlenminerale, die sich über Jahrtausende in einer Höhle auf der Prince-of-Wales-Insel abgelagert haben, rekonstruierten die Forschenden die dortigen klimatischen Bedingungen über den Zeitraum der letzten 3.500 Jahre. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass sich die Prozesse, die El-Niño-Phänomene steuern, ab den 1970er-Jahren verändert haben. "Bis vor etwa 50 Jahren spielten Änderungen der Sonneneinstrahlung eine bedeutende Rolle bei der Formung von El-Niño-Mustern. Ab den 1970er-Jahren sehen wir aber klare Signale, die nur den Folgen des menschengemachten Klimawandels zugeschrieben werden können", sagt Paul Wilcox vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck. Das unterstreiche die wachsende Rolle menschlicher Aktivitäten bei der Formung dieses klimatischen Phänomens, berichtet das Forschungsteam im Fachjournal "Geophysical Research Letters".

Höhle
Die Proben von Höhlenablagerungen wurden aus Höhlen auf der Prince-of-Wales-Insel im Südosten Alaskas entnommen.
Jessica Honkonen

Klimatischer Wendepunkt

In der zweiten Studie, veröffentlicht in "The Innovation Geoscience", ging Wilcox noch weiter zurück in der Zeit, genauer gesagt 13.500 Jahre. Mithilfe von Speläothemen analysierte das Team die Ursache für rasche, kurzfristige Klimaänderungen, die während der Eiszeiten dort auftraten. Trotz seines hohen nördlichen Breitengrads zeigte das südöstliche Alaska ein Klimamuster, das an das des äquatorialen Pazifiks während des Endes der letzten Eiszeit und während des Holozäns, also unseres gegenwärtigen erdgeschichtlichen Zeitabschnitts, erinnert.

Dies stehe im Widerspruch zum etablierten Konzept der "Tropischen Warmwasserwippe", die den Nordatlantik als Hauptquelle für globale Klimavariabilität sieht. Anstelle dieses Mechanismus schlagen Wilcox und sein Team das Konzept des "Walker Switch" vor. Dieser Mechanismus, ausgelöst durch Veränderungen in der Sonneneinstrahlung, bewirkt schnelle Anpassungen der Meeresoberflächentemperaturen im äquatorialen Pazifik und beeinflusst anschließend Klimamuster in hohen nördlichen Breitengraden einschließlich Alaskas und des Nordatlantiks. "Das Konzept hilft uns, das komplexe Zusammenspiel jener Faktoren besser zu verstehen, die die Klimadynamik in diesen Regionen gesteuert haben."

Die Ergebnisse beider Studien würden eine Veränderung in den El-Niño-Mustern zeigen, bei der der Einfluss des menschengemachten Klimawandels deutlich zum Tragen kommt. "Der menschliche Einfluss könnte dazu geführt haben, dass in den 1970er-Jahren ein klimatischer Wendepunkt überschritten wurde – mit dem Beginn eines beständigeren El-Niño-Musters", sagt Wilcox. Gleichzeitig biete das Konzept des "Walker Switch" eine neue Erklärung für historische Klimaschwankungen. Die Erkenntnisse würden jedenfalls zeigen, wie dynamisch und komplex das Erdklimasystem ist, betonen die Forschenden – und unterstreichen die Notwendigkeit weiterer Forschung, um das Verständnis von Klimaprozessen zu vertiefen. (Karin Krichmayr, 19.10.2023)