Pipelines ziehen sich über den Sand hin zu Tanks und Produktionsanlagen, ansonsten kilometerweit nur Wüste. Hier, im Westen Libyens, liegt eines von Afrikas größten Erdölfeldern: El Sharara. Unter dem Sand verbergen sich enormen Mengen jenes Rohstoffs, der die libysche Wirtschaft am Laufen hält. Selbst die ansonsten verfeindeten Teile des Landes, der Osten und der Westen, haben eine Vereinbarung getroffen, sich die Gewinne aus der Ölproduktion zu teilen.

Auch europäische Unternehmen sind vor Ort, die französische Total Energies, die spanische Repsol, die norwegische Equinor – und die österreichische OMV. Das hat Tradition: Libyen war das allererste Auslandsgeschäft für den teilstaatlichen Konzern. Schon seit 1975 beteiligt er sich an der Erdölförderung in Libyen, im Jahr 1985 begann die Produktion. Teile der Gewinne gingen lange Zeit direkt in die Staatskassen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi – auch nachdem die EU 2011 Sanktionen verhängt hatte, kaufte die OMV weiter Erdöl bei der libyschen National Oil Company und behielt ihre Anteile an Ölfeldern wie El Sharara.

Libyen verfügt über Afrikas größte Erdölreserven. Doch aufgrund des Bürgerkriegs standen viele Produktionsanlagen – hier die Raffinerie Ras Lanuf – in den vergangenen Jahren immer wieder still.
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Nicht zuletzt winken hier hohe Gewinne: Libysches Erdöl gilt als besonders hochwertig, es ist leicht zu verarbeiten. Doch würde das gesamte Erdöl von El Sharara gefördert und verbrannt, würde das nach Schätzungen von Fachleuten mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 ausstoßen. Zur Größenordnung: Österreich emittiert im Jahr rund 0,07 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid.

Weltweit gibt es mehr als 400 solcher "Kohlenstoffbomben" wie El Sharara. Das sind die größten fossilen Projekte der Erde, die während ihrer Laufzeit je mindestens eine Milliarde Tonnen CO2 ausstoßen werden – und den Planeten damit massiv aufheizen.

DER STANDARD, "Paper Trail Media" und weitere europäische Medien analysierten mit Unterstützung der französischen Organisation "Data for Good" und des Kollektivs "Éclaircies" umfassende Daten zu den größten Erdöl-, Erdgas- und Kohleprojekten der Welt – und zu den 60 größten Banken, die sie finanzieren. Es zeigt sich: Auch nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens, in dem Regierungen weltweit vereinbarten, die Erderhitzung auf zwei oder besser 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit einzubremsen, starteten fossile Konzerne viele Dutzend neue Megaprojekte und erhielten dafür Kredite in Billionen-Dollar-Höhe.

Diese Kohlenstoffbomben allein würden rund 1.200 Milliarden Tonnen CO2 emittieren und so das CO2-Budget, das noch bleibt, bevor die 1,5-Grad-Schwelle wahrscheinlich erreicht wird, mehr als viermal aufbrauchen. Laut einer Studie dürften nämlich nur noch rund 250 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Das Budget schrumpft schnell – inzwischen liegen die weltweiten CO2-Emissionen bei rund 37 Milliarden Tonnen im Jahr.

Neben den anderen Megaprojekten ist El Sharara vergleichsweise klein. Einige der größten Produktionen liegen in den USA – wo mithilfe der umstrittenen Fördermethode Fracking enorme Mengen an Erdgas an die Oberfläche befördert werden sollen.

Das meiste CO2 würde im Permbecken in Texas und New Mexiko ausgestoßen, wo sowohl Erdöl als auch Erdgas gefördert werden. In den USA ist das Fracking dort besonders umstritten, weil es in der ohnehin schon trockenen Region enorme Mengen an Wasser erfordert.

Das zweitgrößte Projekt, Marcellus Shale, liegt ebenfalls in den USA. Es ist das größte Erdgasfeld der USA, die Reserven hier können allerdings zu einem großen Teil ebenfalls nur im Frackingverfahren gewonnen werden. Neben dem hohen Wasserverbrauch bedeutet das auch hohe Emissionen von Methan, einem Treibhausgas, das über eine Zeitspanne von 20 Jahren eine rund 80-mal stärkere Klimawirkung hat als CO2. Das Erdgas, das hier gewonnen wird, soll unter anderem verflüssigt werden und als Flüssigerdgas (LNG) in alle Welt exportiert werden – über 60 Prozent davon nach Europa, ein Teil auch nach Österreich.

Die OMV hat sich bereits Anteile gesichert: So wird BP ab 2026 für zehn Jahre je bis zu eine Million Tonnen Flüssigerdgas, das unter anderem auch aus den USA kommen wird, über das Importterminal in Rotterdam liefern.

Eine weitere besonders große Kohlenstoffbombe ist das saudische Ghawar-Feld, das als das größte Ölvorkommen der Welt gilt. Zu Spitzenzeiten wurden hier fast zehn Prozent der weltweiten Fördermenge produziert. "Bis zum letzten Molekül", werde man die Vorkommen ausbeuten, kündigte der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman 2021 an.

Am meisten Kohlenstoffbomben befinden sich unterdessen in China. Das Land hat in den vergangenen Jahren zehn neue Kohleprojekte gebaut, die alle weit mehr als eine Gigatonne CO2 freisetzen werden. Der Rückgang der Kohlenutzung in Europa und Nordamerika wird durch den massiven Ausbau in Asien zunichte gemacht.

Massive Risiken für neue Investitionen

Kurz nachdem die Staaten 2015 das Weltklimaabkommen unterzeichneten, starteten insgesamt 70 neue dieser Großprojekte. Und der Ausbau geht weiter: Von den 425 Projekten, die das Rechercheteam zählte, befinden sich mindestens 128 noch in der Planung.

Dabei betonte die Internationale Energieagentur (IEA) bereits 2021, dass das Pariser Klimaziel nur erreicht werden könne, wenn nicht mehr in den zusätzlichen Erdöl-, Erdgas- und Kohleausbau investiert werde. Und auch wirtschaftlich würden Unternehmen, die heute in fossile Projekte einzahlten, ein massives Risiko eingehen, warnte der IEA-Chef Fatih Birol unlängst im Interview mit dem STANDARD. Denn: Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffe werde schon bald zurückgehen.

"Wir sehen, dass selbst ohne verschärfte Klimapolitik der Peak bei Kohle, Öl und Gas noch vor Ende dieses Jahrzehnts erreicht wird", so Birol. Dann könnte es passieren, dass neue Projekte zu "stranded assets" werden – also zu Investitionen, die nicht mehr die erhofften Gewinne bringen, weil die Nachfrage früher wegbricht als gedacht.

Förderrechte, die Öl- und Gaskonzerne in ihren Büchern mit Milliarden bewerten, würden in so einem Fall an Wert verlieren. Laut einem Szenario, das in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" veröffentlicht wurde, könnten rund eine Billion US-Dollar an Investitionen wertlos werden, wenn die Politik entsprechende Maßnahmen setzt, um das Zwei-Grad-Ziel von Paris einzuhalten. Der Großteil des Wertverlusts würde private Investoren, vor allem in OECD-Ländern, treffen, so die Autoren.

Brennende Flamme auf einem Ölfeld in Watford City, North Dakota
Viele der untersuchten Projekte befinden sich in den USA, wo energieaufwendig Frackinggas gefördert wird. Entweicht dabei Methan in die Atmosphäre, heizt das das Klima zusätzlich an.
AP

Derzeit bringen die Projekte aber noch die erhofften Renditen. Shell beispielsweise schrieb 2022 einen neuen Rekordgewinn, gleichzeitig weichte es seine Klimaziele auf – statt die Öl- und Gasproduktion langsam herunterzufahren, will der Konzern die Produktion bis 2030 weiter auf dem selben Level halten. Ähnliche Ankündigungen machte auch BP.

"Nur die Politik kann den Ausstieg aus den Fossilen lenken. Der Markt wird nicht schnell genug auf Erneuerbare umstellen, weil er nur darauf reagiert, was jetzt Profit bringt", sagt dazu eine ehemalige OMV-Führungskraft, die anonym bleiben möchte.

Billionen für fossile Großprojekte

Nicht nur Mineralöl- und Kohlekonzerne, auch Banken spielen dabei eine wichtige Rolle. Finanzierungsentscheidungen für neue Projekte spiegelten die Risiken, vor denen die IEA warnt, in den vergangenen Jahren kaum wider.

So vergaben die weltweit größten 60 Banken seit Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 1,8 Billionen Dollar an 425 fossile Großprojekte, zeigt die Datenrecherche. Die höchsten Kredite an fossile Unternehmen vergab in diesen sieben Jahren die US-amerikanische JPMorgan. Im vergangenen Jahr kam das meiste Geld für "Kohlenstoffbomben" dann von der chinesischen ICBC-Bank, sie vergab knapp 15 Milliarden Dollar. Mit etwas Abstand kommen danach die US-amerikanische Citi und die französische BNP Paribas.

Stand von Unicredit auf einer Messe
Die italienische Großbank Unicredit ist einer der Hauptfinanciers der OMV.
IMAGO/Manfred Segerer

Auch die OMV erhielt Milliarden von den größten Banken. Financier Nummer eins war die italienische Bank-Austria-Mutter Unicredit. Sie finanzierte die OMV laut den Daten mit 2,5 Milliarden Euro zwischen 2017 und 2022 – und damit auch noch dann, nachdem die Unicredit 2021 der Net Zero Banking Alliance beigetreten war.

Die Net Zero Banking Alliance ist eine der weltweit größten Initiativen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Sie hat das Ziel, die Wirtschaft bis 2050 in die Klimaneutralität zu führen. Die meisten großen Banken sind dabei.

Banken geben sich grünen Anstrich

Wie wirksam die branchengeführte Initiative aber tatsächlich ist, daran gibt es immer wieder Zweifel. Zwar wächst aktuell die Nachfrage der Investierenden nach Erneuerbaren, doch weiterhin fließt viel Geld in fossile Projekte – und die globale Erdöl-, Erdgas- und Kohleproduktion erreicht in diesem Jahr einen neuen Höchstwert. Auch Mitglieder der Net Zero Banking Alliance finanzieren den Ausbau mit.

Die Unicredit betont dazu, dass sie eine direkte Finanzierung eines Erdöl- oder Kohleausbaus ablehnt, allgemeine Finanzierung – also ohne konkreten Projektbezug – vergibt sie an Unternehmen, die ihre fossile Produktion ausweiten, aber schon. Neben der OMV waren das seit 2016 auch der italienische Energiekonzern Eni und die russische Gazprom.

Ein weiteres Mitglied der Net Zero Banking Alliance ist die Deutsche Bank. Sie vergab zwischen 2016 und 2022 rund 27,7 Milliarden Dollar an 46 internationale Energieunternehmen. Die größten Geldbeträge gingen an Mineralölriesen wie Shell, Exxon Mobil, Total Energies und BP PLC sowie auch an die OMV. Alle von ihnen sind an Kohlenstoffbomben beteiligt.

Die Unicredit erklärt dazu, dass der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ein Prozess sei und kein plötzlicher Stopp. Damit wolle auch die Bank bei diesem Umstieg begleiten. Unternehmen zu schnell von Finanzierung abzuschneiden hätte soziale Folgen.

Und die Deutsche Bank verweist darauf, dass sie bereits weniger als zwei Prozent ihrer Kredite an Öl- und Gasunternehmen vergibt. Das sind allerdings immer noch 6,5 Milliarden Euro, die die Bank an ausstehenden Krediten hält. Schrittweise soll dieses Volumen abgebaut werden, plant die Bank.

Globale Finanzierung weiter auf hohem Level

Es stimmt: Seit 2016 hat sich in der Finanzierung neuer fossiler Projekte einiges bewegt. So investierten europäische Banken sowohl 2021 als auch 2022 je im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger in fossile Unternehmen, wie etwa der NGO-Bericht "Banking on Climate Chaos" zeigt. Der Druck von Aktionären sowie durch die Veröffentlichung neuer Guidelines sei gestiegen. Global blieb die Finanzierung allerdings auf einem ähnlich hohen Level.

Besonders Investitionen in fossile Projekte in politisch instabilen Staaten seien im Zuge des Rückgangs der Investitionen in Erdöl und Erdgas geschrumpft, erklärt der Analyst Bill Farren-Price vom Oxford Institute for Energy Studies. "Während in den USA und Kanada weiterhin hohe Summen in den fossilen Sektor fließen, fällt es Staaten wie Libyen mit hohen politischen Risiken schwer, neue Investitionen anzulocken", so Farren-Price. Dieser Trend werde sich in den kommenden Jahren voraussichtlich verstärken.

Waldbrand nahe Athen im August 2023
Werden die in den Kohlenstoffbomben gelagerten Rohstoffe verbrannt, ist das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar. Mehr Dürren und Waldbrände – wie hier in Griechenland – wären unter anderem die Folgen.
AFP/ANGELOS TZORTZINIS

Auch in El Sharara wird heute deutlich weniger investiert als noch zu Lebzeiten al-Gaddafis – und die Produktion ist ein Bruchteil von der damaligen Fördermenge. Dennoch macht der Anteil, den die OMV an dem Projekt hält, noch etwa sechs Prozent der gesamten Produktion des Ölkonzerns aus. Insgesamt produzierte die OMV in Libyen 2022 jeden Tag knapp 30.000 Barrel Erdöl.

Netto-Null ist bisher nur ein Ziel

Insgesamt will die OMV in den kommenden drei Jahren weiter in die Öl- und Gasproduktion investieren, danach sollen die Investitionen "deutlich" zurückgehen. Bis 2030 soll die Rohölproduktion dann um etwa 30 Prozent reduziert werden, die Erdgasproduktion um 15 Prozent. Bis 2050 will der Konzern die Produktion von Öl und Gas zur energetischen Nutzung vollständig einstellen. Dasselbe Netto-Null-Ziel haben die meisten europäischen Mineralölkonzerne.

Doch bislang ist das bloß ein Ziel. Wie sehr Ölkonzerne in aller Welt ihre Produktion in den kommenden Jahren anpassen werden, hängt wohl auch damit zusammen, wie sich der Markt weiterentwickelt. Ein Meilenstein für diese Entscheidung steht im Dezember bei der Klimakonferenz in Dubai an. Die politisch heikelste Frage, die dort auf dem Tisch liegen wird, lautet: Wie wird es für fossile Projekte weitergehen? Freiwillige Initiativen von Energiekonzernen sowie Banken allein, das machte die IEA kürzlich klar, werden nicht ausreichen, um eine weitere Erhitzung mit fatalen Folgen abzubremsen. (Alicia Prager, Philip Pramer, Anastasia Trenkler, 31.10.2023)