Vom heimischen Sofa aus in digitale Welten eintauchen, sich am Schreibtisch mit Kollegen und Kolleginnen auf der anderen Seite des Globus vernetzen: Mixed-Reality-Headsets und AR-Brillen waren einst Fantasie oder Stoff für Sci-Fi-Filme von "Star Wars" bis "Blade Runner". Das HUD (Heads-up Display) ist auch ein sehr beliebtes Thema und findet sich vor allem in Sci-Fi-lastigen Videospielen wie der bekannten "Halo"-Reihe wieder.

Doch Ideen aus der Science-Fiction – manchmal schon vor Jahrzehnten gehegt – könnten mitunter bald Realität werden. Das könnte auch dem zuletzt wieder abgeflachten Hype rund um das Metaverse neuen Aufschwung verleihen.

Produktivität und Entertainment überall

Direkt mit der Ankündigung der Apple Vision Pro war klar: Das Apple-AR-Headset wird ein deutlich individuelleres Produkt als ein iPad oder iPhone sein. Notwendig ist das schon aus technischem Blickwinkel: Das große, oval geformte Headset muss passgenau auf dem Gesicht sitzen, denn würde Licht durch freie Abstände eintreten, wäre die versprochene Immersion schnell wieder Geschichte.

AR-Brille
Was wird die von Apple angekündigte Brille für unser Verständnis von Sehen bedeuten?
APA/AFP/JOSH EDELSON

Neben klassischen Themen wie AR-Brillen für Menschen mit Sehschwäche tüfteln Apple und weitere Anbieter bereits an Lösungen, um diese Brillen für einen breiteren Kreis an Personen nutzbar zu machen: Es gibt sogar eigene VR-Optiker, die bei der Auswahl von AR-Brillen unterstützen sollen. Denn die Auswahl an und die Anwendungsfelder für Sehhilfen sind enorm: Brillen für extreme Arbeitsbedingungen wie auf Baustellen, Brillengestelle für die Logistik-Industrie oder auch Gläser, die die Arbeitssicherheit verbessern sollen, AR-Brillen als Visualisierungshilfe beim Kochen oder beim Einkaufen oder Bastelprojekten sind nur einige wenige Beispiele. Auch das große Feld von AR-Brillen für Menschen mit Sehbehinderungen wird bedient: Bereits im letzten Jahr hatte Samsung auf der CES etwa eine AR-Brille für Menschen mit altersbedingten Sehbehinderungen vorgestellt. Blinden als Navigationshilfe für komplexe Routen soll wiederum Microsofts Augmented-Reality-Hardware HoloLens dienen. Die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs begrüßt derartige Entwicklungen sehr. Und Facebook-Mutter Meta will gleich AR-Brillen als die neuen Smartphones anbieten.

Doch alle diese tollen Ideen werden vor Herausforderungen gestellt, denn Brillen sind ein sehr individuelles Produkt – auch abseits jeglicher technische Einbauten. Deshalb hat sich Apple für seine AR-Brillen Hilfe geholt. Der auf investigative Berichte über Apple spezialisierte Journalist Mark Gurman berichtete in seinem Newsletter, dass in den Vision-Pro-Brillen vom Optik-Riesen Zeiss gefertigte Linsen eingebaut werden, die dann auch direkt im Apple Store bestellbar und individuell auf die jeweilige Sehstärke einstellbar sein sollen.

Anscheinend will Apple aber noch weitergehen und Linsen entwickeln, die sich an ändernde Sehstärken der Nutzer anpassen können. Ein bereits angemeldetes Patent, das die Entwicklung von anpassbaren Flüssig- statt herkömmlichen Glaslinsen beschreibt, könnte einen Ausblick auf den künftig eingeschlagenen Weg geben. Auch sonst ist schon jetzt deutlich, dass sich bereits mit der zweiten Generation der Vision Pro viel tun wird: So klagten erste Tester und Journalisten, die die Vision Pro ausprobieren durften, zum Beispiel über das erhebliche und ungünstig verteilte Gewicht der Brille – an dessen Optimierung Apple schon jetzt arbeitet.

Bereits jetzt gibt es Diskussionen, Mutmaßungen und Zukunftsvisionen: Ähnlich wie das Smartphone auch den Bereich Video revolutionierte (obwohl das erste Apple iPhone anno 2007 nicht einmal eine Videokamera integriert hatte), könnten auch AR-Brillen vielleicht einmal klassische Gläser überflüssig machen: Eingebaut Mikrolinsen und Zoomobjektive könnten ein für jeden Träger und jede Trägerin passendes Bild aufspielen und damit klassisch geschliffene Linsen überflüssig machen.

Welche Realität spielt sich hinter dem Brillenglas ab?

Doch bei der Digitalisierung der Brille wird nicht aufgehört. Ob unterwegs oder zuhause, AR-Brillen wie Metas Quest- oder eben Apple Vision-Pro-Reihe haben durch 4K-Auflösung und parallel geschaltete Mini-Prozessoren Qualitäten an Rechenleistungen, die über das einfache Sehen oder Dazuschalten von Grundinformationen hinausgehen. Für Heimkino benötigt man künftig weder "Heim" noch "Kino" – Brille aufsetzen, anschalten, Film aus dem Streaming-Service wählen und entspannen. So zumindest die Fantasie derjenigen, die sich von Quest, Vision Pro und Co. viel versprechen.

Auch klassische Desktop-Arbeiten, ob im privaten oder beruflichen Rahmen, sollen auf die Vision Pro ausgelagert werden. Das Metaverse, das im Jahr 2021 Facebook zur Namensänderung hin zu "Meta" veranlasste, dessen anfänglicher Hype seither aber schon wieder weitgehend verschwunden ist, könnte durch die Vision Pro oder vergleichbare AR-Brillen neuen Aufschwung erhalten. Am Desktop waren die digitalen Welten, die gewissermaßen zweite Realität, wenig immersiv, VR-Headsets, wie sie Meta mit Oculus selbst vertreibt, sind in ihrer grafischen Darstellung hingegen ebenso beschränkt wie in ihrer Handhabung.

AR-Brillen werden das Leben kaum verändern

Eine tatsächlich praktische Mixed-AR-Brille, sollte Apple damit ein ebenso großer Wurf und eine losgetretene Tech-Revolution wie einst mit dem iPhone gelingen, könnte digitale und physische, echte Welten erstmals nahtlos verschwimmen lassen – ohne wahrnehmbaren Grenzen zwischen dem Technologisch-Digitalem und dem Physischen. Bis dahin bleibt die erste Vision Pro, mit ihrem voraussichtlichen Preisschild von rund 3.500 US-Dollar, kein erster, aber vor allem ein viel beachteter Schritt.

Um die Science-Fiction erneut zu beschwören: Vielleicht werden in einigen Jahrzehnten nicht nur Filme über solche AR-funktionalen Brillen gesehen, sondern die Technologie noch mehrere Schritte weitergehen. Bereits heute gibt es Unternehmen, die mit Schnittstellen zum menschliche Gehirn arbeiten: Visionen wie Augenimplantate in "Star Wars" oder den Marvel-Filmen oder der berühmte Visor von Geordi La Forge aus "Star Trek" könnten dann Realität werden: Die von Levar Burton gespielte Figur war Chefingenieur und konnte mit seiner Sehhilfe auch UV-Licht sehen, bis in den Nanobereich hineinzoomen und vieles mehr. Vor allem aber konnte er durch das unterstütztes Sehen als blind geborener Mensch ein relativ uneingeschränktes Leben führen und zu einem wertvollen Mitglied des Raumschiffs Enterprise werden.

Geordi La Forge mit dem Visor.

Natürlich birgt jede technologische Verknüpfung auch Missbrauchsmöglichkeiten. Und zugleich: Über Utopien und konstruktive Möglichkeiten neuer Technologien machen wir uns zu häufig zu wenige Gedanken. (Christian Allner, 9.1.2024)