Auto bremst knapp vor Schulmädchen
Hersteller von autonomen Fahrzeugen werben damit, den Verkehr sicherer zu machen – Robotaxis seien nun einmal nie betrunken, müde oder abgelenkt.
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Die Autoindustrie und IT-Konzerne tüfteln an der Entwicklung von selbstfahrenden Fahrzeugen, die sich mithilfe von Kameras, Radaren und Sensoren sicher im Straßenverkehr bewegen sollen. Das stellt die Entwickler auch vor ethische Fragen. So werden auch selbstfahrende Autos in Situationen kommen, wo Unfälle mit Personenschäden unausweichlich sind. In selbstfahrenden Autos wird – sofern sie nicht mithilfe künstlicher Intelligenz laufend dazulernen – schon vor einem Unfall programmiert, was das Auto tun wird.

Frage: Wie kann und soll ein autonomes Fahrzeug entscheiden, wenn ein ethisches Dilemma auftritt? Beispiel: Eine Person taucht plötzlich auf der Fahrbahn auf, gleichzeitig eine andere Person auf dem Gehsteig.

Antwort: In der Philosophie spricht man vom "Trolley-Problem" (auf Deutsch: Straßenbahnwaggon-Problem). Das Gedankenspiel: Eine Straßenbahn ist außer Kontrolle geraten und wird bald fünf Personen überfahren. Durch Umstellen einer Weiche kann die Straßenbahn auf ein neues Gleis geleitet werden – dort befindet sich aber auch eine Person. Kann man diese für die fünf anderen opfern?

Zugegeben: Solche Situationen treten im Straßenverkehr selten auf – sie sind aber nicht auszuschließen. Nachdem in San Francisco bereits fahrerlose Taxis, etwa der Google-Schwesterfirma Waymo, unterwegs sind, wäre es daher interessant zu wissen, wie diese Fahrzeuge entscheiden.

In Deutschland formulierte eine Ethikkommission aus Juristen, Ethikern und Vertretern der Autolobby im Jahr 2017 moralische Leitlinien zum autonomen Fahren. In Dilemmasituationen – wenn alle Möglichkeiten zu einem Unfall führen – seien "im Konflikt Tier- oder Sachschäden in Kauf zu nehmen, wenn dadurch Personenschäden vermeidbar sind". Zwischen Menschen dürfe eine Software hingegen auf keinen Fall unterscheiden: Alter, Geschlecht sowie körperliche und geistige Verfassung dürften keine Rolle spielen, so die Ethikkommission: Und weiter: "Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt."

Der deutsche Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer vermutet deshalb, dass auch Waymo und Cruise, die US-Pioniere beim autonomen Fahren, bei unausweichlichen Crashs auf den Zufall setzen. "Ich weiß es nicht, wie die Hersteller ihre Algorithmen programmieren. Aber sie sagen wohl: Es ist der liebe Gott, und der liebe Gott würfelt", sagt Dudenhöffer dem STANDARD.

Der US-Mobilitätsexperte Sam Anthony und der Harvard-Psychologe Julian de Freitas erklären in einem Aufsatz von 2020, warum sie Debatten um moralische Konflikte beim autonomen Fahren für stark übertrieben halten. Dass es eine "genaue 50:50-Chance gibt, zwei Personengruppen in der gleichen Zeit zu töten, ohne ein anderes Ausweich- oder Fahrmanöver finden zu können", passiere praktisch nicht, schreiben Anthony und De Freitas. Anstatt sich auf die ethische Frage der Absichten zu fokussieren, sollte das große Ziel beim Entwickeln selbstfahrender Autos sein, wie man Schäden von vornherein vermeidet, so das Fazit der zwei Forscher.

Auch Hersteller Waymo argumentiert: Seine selbstfahrenden Autos sähen "die vielen möglichen Wege der anderen Verkehrsteilnehmer" ohnehin voraus.

Frage: Wer übernimmt bei Unfällen von hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugen die Haftung und steht in versicherungstechnischen Fragen gerade?

Antwort: Das kommt auf das jeweilige Rechtssystem der Staaten an. Ein prominentes Beispiel in Europa ist die Mercedes S-Klasse. Diese erlaubt in Deutschland das sogenannte Level-3-Fahren unter zwei Voraussetzungen: Das Auto fährt auf einer Autobahn und höchstens 60 Stundenkilometer. Zum Einsatz kommt der Modus dort also vor allem in Staus. Level 3 bedeutet: Das Auto übernimmt zeitweilig die Aufgaben des Fahrers, dieser darf sich anderen Tätigkeiten widmen. Das bedeutet auch: Im Level 3 geht die Haftung in Deutschland auf den Hersteller über – weshalb Mercedes das Ganze auch nur bei optimalen Verhältnissen erlaubt.

Anders sieht es mit der Haftung auf Level 1 aus, also bei bloßen Fahrassistenten, bei denen der Fahrer die Hände auf dem Lenkrad hat. Bei einem Unfall haftet "der Halter" für den Ersatz von Schäden, heißt es im österreichischen Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz. Zu einer Kostenteilung zwischen Hersteller und Lenker käme es allenfalls bei einem Softwarefehler.

Stadtverkehr mit autonomen Autos mit der Technologie von Daimler und Bosch
Die deutschen Unternehmen Daimler und Bosch arbeiten gemeinsam an Technologien für vollautomatisches und autonomes Fahren. So könnte der Stadtverkehr der Zukunft aussehen.
Daimler/Bosch

Frage: Wie lässt sich beim autonomen Fahren der Unfallhergang feststellen, sollte der andere Verkehrsteilnehmer tödlich verunglücken oder sollte es zu einem Sachschaden ohne Zeugen kommen?

Antwort: Sowohl von Waymo als auch vom Konkurrenten Cruise heißt es: Die selbstfahrenden Autos können erkennen, wenn sie in einen Crash verwickelt waren, und benachrichtigen automatisch die jeweilige Einsatzzentrale. (Allerdings hat der US-Bundesstaat Kalifornien Cruise nach einem schweren Unfall mit einer Fußgängerin im Oktober die Betriebserlaubnis entzogen.)

Ein Risiko, dass durch das Fehlen von Augenzeugen die Ära digitaler Fahrerflucht beginnt, sieht Dudenhöffer nicht. "Sie werden wie beim Flugzeug auch im Auto eine Blackbox haben, die Informationen sammelt. Der Datenspeicher ist objektiver, als es die meisten menschlichen Beobachter eines Unfalls sind", sagt er.

Frage: Wie sehen die Autohersteller den Markt des autonomen Fahrens?

Antwort: In den verschiedenen Erdteilen sehr unterschiedlich. Während China viel Geld in die Entwicklung selbstfahrender Autos steckt und auch eigene Fahrspuren reserviert, sind Autobauer in Europa skeptischer. "Es ist völlig sinnlos, weiterhin große Milliardenbeträge für das autonome Fahren aus dem Fenster zu werfen, mit dem sich auf absehbare Zeit kein einziger Euro verdienen lässt", analysierte im Vorjahr auch das "Handelsblatt". Friedrich Eppel, Experte für automatisierte und vernetzte Mobilität beim ÖAMTC, sagt dem STANDARD: "Von einem hochautomatisierten, vollautomatisierten oder autonomen Fahrzeug wird erwartet, dass es besser fährt und schneller reagiert als der Mensch."

Das Beratungsunternehmen McKinsey prophezeit, dass immer bessere Fahrassistenten bis hin zum autonomen Fahren "eine bedeutende Umsatzquelle für die Automobilindustrie" darstellen werden. Das Geschäft werde pro Jahr um 15 bis 20 Prozent wachsen, von derzeit rund 50 Milliarden Dollar auf 300 bis 400 Milliarden Dollar im Jahr 2035, heißt es in einem McKinsey-Papier. Der größte Teil des Umsatzes werde auf sogenannte Level-4-Funktionen entfallen, also das fahrerlose Fahren.

"Langfristig gesehen wird sich Level 5 durchsetzen. Nur wird es dauern", sagt Branchenkenner Dudenhöffer. Level 5 beschreibt Fahrzeuge, die gänzlich autonom unterwegs sind. Warum er das denkt? "Die Menschen werden immer, wenn der Preis vernünftig ist, die neueste Technologie haben wollen."

Frage: Was wären Vorteile und Nachteile von vollautomatisierten oder autonomen Fahrzeugen?

Antwort: Hersteller von selbstfahrenden Autos argumentieren vor allem mit der Sicherheit. Im Straßenverkehr der EU-Staaten sind allein im Jahr 2022 20.600 Menschen gestorben, teilte die EU-Kommission mit. "Autonomes Fahren kann Leben retten und wird die Mobilität verbessern", verspricht US-Pionier Waymo.

In Zukunft könnten nicht nur Autolenkerinnen und Autolenker entlastet werden und komfortabel alltägliche Dinge beim Fahren erledigen – es könnten auch Menschen, die zu jung oder zu alt zum Autofahren sind, mit Robotaxis flexibler ans Ziel kommen. Allgemein könnten fahrerlose Dienste Lücken im öffentlichen Verkehr schließen. Befürworter führen auch an, dass autonome und vernetzte Fahrzeuge den Verkehrsfluss verbessern und damit Energie sparen werden.

Kritiker wenden ein, dass selbstfahrende Autos für die breite Masse niemals erschwinglich sein werden und dass die benötigten Datenmengen alles andere als ökologisch nachhaltig sind. Verkehrsplaner warnen, dass gerade der Komfort der selbstfahrenden Vehikel zu mehr Autos auf den Straßen führen würde und damit ökologisch negative Auswirkungen hätte. (Lukas Kapeller, 6.11.2023)