"Ich bin Direktor des Zirkus Aros und stamme aus einer Zirkusdynastie aus Deutschland, die sieben Generationen zurückreicht. Mein Großvater mütterlicherseits ist in Ried im Innkreis geboren. Er hat mir immer davon erzählt, wie schön es in Österreich ist. Ich wollte daher als Kind schon hierher. Mitte der 1990er-Jahre erfüllte ich mir diesen Traum. Wir machen richtig klassischen Zirkus, so, wie man sich das vorstellt: mit Tieren, Clownerie und Akrobaten. Unser Programm entwickeln wir immer weiter, weil ich finde, dass Zirkus mit der Zeit gehen muss.

Jede Woche ein neuer Ort: Markus Reinhard liebt am Zirkus die Abwechslung.
Gerald Zagler

Zirkus ist nie aus der Mode gekommen. Gerade nach der Corona-Pandemie, die für uns eine sehr harte Zeit war, haben wir gemerkt, dass die Leute wieder Lust darauf haben, etwas Echtes zu erleben, denn vor dem Fernseher, dem Computer oder dem Handy sind sie lange genug gesessen. Das Licht, die Musik, der Geruch von Zuckerwatte und Tieren machen den Zirkusbesuch zu einem Gesamterlebnis.

Momentan sind wir zehn Personen. Der Kern des Zirkus sind meine Frau Marina, meine drei Kinder und ich. Sohn Leon (24) ist Clown und Jongleur. Tochter Mariella (12) macht Luftakrobatik am Ringtrapez. Meine jüngste, Sherilyn (8), stand bereits mit fünf Jahren zum ersten Mal in der Manege. Sie trainiert fleißig für eine Karriere als Artistin. Hinzu kommen großartige externe Artisten, die eine oder mehrere Saisonen mit uns auf Tour gehen. Sie sind während dieser Zeit Teil der Familie und müssen überall mitanpacken, egal bei welchem Wetter. Jeder ist mit Herzblut dabei, denn nur dann macht man es gut. Das ist so wie bei allen Jobs.

Vieles geschieht in Personalunion. Ich sitze vor der Vorstellung an der Kassa, trete später in der Manege auf. Dort sage ich die Nummern an und arbeite mit den Tieren. Hier und da, wenn mal ein Akrobat krank ist, springe ich sogar als Messerwerfer samt meiner Frau ein.

Selbstbestimmtes Leben

Unsere Einnahmen kommen zur Gänze vom Publikum. Sie zahlen für Eintritte, Essen und Getränke. Wenn zu einer Vorstellung 250 Leute kommen, dann können wir gut davon leben. Wir sind aber bescheiden: Wir schauen, dass wir Essen, Trinken und Kleidung kaufen können. Den Rest investieren wir in den Zirkus. Der steht an oberster Stelle. Sobald man anfangen würde, Geld aus der Sache rauszuziehen, ginge alles ganz schnell den Bach runter.

Was mich am meisten am Zirkus fasziniert, ist die Abwechslung. Man erlebt immer wieder Neues, sieht immer wieder neue Orte. Im Winter, wenn wir zwei Monate pausieren, ist das ein Horror für mich. Meine Frau meint immer, ich soll mich entspannen, aber ich habe schon neue Ideen, probiere Nummern aus oder beginne Sachen zu reparieren. Ich suche mir die Arbeit.

Das Leben im Zirkus ist sehr selbstbestimmt. An dieser Freiheit hängen aber auch Verpflichtungen. Zirkusdirektor ist ein Fulltimejob. Da gibt es keinen Sonntag und keinen Urlaub. Ich muss mich um Spielorte kümmern, den Aufbau organisieren, den Fuhrpark und das Zelt instand halten und vieles mehr.

Zirkusdirektor ist für Markus Reinhard ein Fulltimejob.
Gerald Zagler

Sehr schwierig ist es inzwischen geworden, Standplätze zu finden. Viele Städte und Gemeinden wollen gar keinen Zirkus. Ich weiß nicht, was der Grund dafür ist. Früher war das einfacher. Generell war früher der Stellenwert von Artisten höher, das weiß ich aus Erzählungen meines Vaters und meines Großvaters.

Wie eine Droge

Vielleicht liegt es auch am Thema der Tierhaltung, warum heute Menschen den Zirkus ablehnen. Es gibt viele Vorurteile, die man sich von Fall zu Fall anschauen muss. Die Gesetze in Österreich sind jedenfalls sehr streng. Wir haben Pferde, Ponys, Ziegen und zwei Kamele. Für uns sind sie wie Familienmitglieder. Wir leben mit und wir leben von ihnen. Dementsprechend gut kümmern wir uns um sie.

Ob es früher besser war? Es war entschleunigter. Die Platzwechsel dauerten länger. Es war unkomplizierter, neue Stellplätze zu finden, und die Leute hatten mehr Zeit. Die Arbeit war aber viel schwerer. Nägel, um das Zelt im Boden zu befestigen, wurden mit Muskelkraft eingeschlagen. Heute haben wir dafür Maschinen. Die Lkws sind heute stärker und größer. Wir legen manchmal 100 bis 120 Kilometer zurück, um zum nächsten Standort zu gelangen. Früher waren 20 Kilometer schon eine Weltreise.

Zirkus ist wie eine Droge. Manchmal verflucht man das Ganze, will den Beruf an den Nagel hängen. Aber wenn ich mir vorstelle, ständig an einem Ort zu wohnen, für irgendeine Firma zu arbeiten und einen langweiligen Job zu machen, der mich nicht erfüllt, dann schmeiße ich diese Zweifel ganz schnell wieder über Bord."
(Gerald Zagler, 5.11.2023)