Dungeons of Hinterberg
Das Setting von "Dungeons of Hinterberg" erinnert nicht zufällig an die heimischen Alpen.
Microbird

Videospiele zu entwickeln erfordert Kapital und Know-how. In Österreich ist beides nicht unbedingt einfach zu bekommen, weshalb ein Indie-Spiel mit großem Umfang, entwickelt von einem knappen Dutzend Enthusiasten, wohl in vielen Ecken der Welt einfacher umzusetzen wäre als in Wien. Dennoch haben sich die Branchenveteranen Philipp Seifried und Regina Reisinger vor ein paar Jahren dazu entschlossen, das Studio Microbird zu gründen und mit den passenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an dem an "Zelda" erinnernden Action-Rollenspiel "Dungeons of Hinterberg" zu arbeiten.

Nachdem das Spiel bereits in der frühen Entwicklungsphase die Aufmerksamkeit mehrere Fachmagazine auf sich lenken konnte, entdeckte auch Microsoft das kleine österreichische Studio und verschaffte nach einigen Gesprächen den Entwicklern einen Deal, den sie nicht ablehnen konnten. Im kommenden Jahr wird das Action-Rollenspiel mit Socializing-Aspekten im Game Pass erscheinen, dem über 30 Millionen Abonnenten starken Abo-Service des US-Konzerns.

Der STANDARD hat die beiden Gründer getroffen, um mit ihnen über die schwierigsten Hürden während der Entwicklung und ihren Deal mit Microsoft zu sprechen.

STANDARD: Für all jene, die Sie noch nicht so gut kennen: Könnten Sie vielleicht die wichtigsten Stationen Ihrer Games-Karriere kurz skizzieren?

Reisinger: Ich bin seit mittlerweile über zehn Jahren in der Spieleindustrie, großteils als 3D-Artist. Ich war bei allen möglichen Spielefirmen in Österreich und Deutschland – darunter Deck 13, Socialspiel und Iron Mountain Interactive – und habe an diversen Projekten mitgearbeitet, von realistischen Souls-Likes bis zu knuffigen Mobile Games.

Seifried: Ich arbeite seit über 15 Jahren an Games, hatte Ende der Nullerjahre ein kleines Start-up im Bereich Flash und Mobile Gaming, habe von etwa 2012 bis 2014 zwei Jahre lang alleine an einem Indie-Game gearbeitet und in den Jahren vor Microbird und "Dungeons of Hinterberg" bei mittelgroßen Studios in Wien gearbeitet, zuletzt bei Iron Mountain Interactive.

STANDARD: Wann haben Sie mit der Entwicklung von "Dungeons of Hinterberg" angefangen, und was war die initiale Idee?

Reisinger: Wir haben Anfang 2020 zu zweit mit dem ersten Prototyp begonnen. Das war gerade die Zeit der ersten Lockdowns, wir waren beide zu Hause und wollten schon lange gemeinsam ein Indie-Game machen. Wir mögen es beide sehr gerne, wenn ein Spiel an einem interessanten Ort stattfindet und man sich dort eine Zeitlang zu Hause fühlen kann. Und es gibt ja mittlerweile auch eine ganze Menge guter Indie-Titel, die es dir erlauben, in Orte einzutauchen, die sich real anfühlen. Ich denke etwa an "Life Is Strange: True Colors" oder auch an "Night in the Woods". Aber in den meisten Fällen geht es dabei um US-amerikanische Orte. Wir fanden, es wäre schön, wenn es mehr Geschichten in dem Medium gäbe, die in Europa angesiedelt sind, und dachten, der Alpenraum könnte auch für ein internationales Publikum interessant sein.

Seifried: Das Thema Urlaub war von Anfang an Teil des Spielkonzepts, wahrscheinlich hat da die Pandemie ihren Teil beigetragen. Wir mochten den Gedanken, Magie und Fantasy mit einem realistischen modernen Setting zu verbinden. Was würde wirklich passieren, wenn es ein paar Orte auf der Welt gäbe, wo plötzlich Magie auftaucht? Ich glaube, es wäre nicht so abwegig, dass an diesen Orten sofort eine riesige Tourismusindustrie entstehen würde. Das wollten wir erforschen.

Dungeons of Hinterberg
Abseits der Kämpfe warten Puzzles und Socializing mit anderen Charakteren der Spielewelt.
Microbird

STANDARD: Reden wir kurz über das Kampfsystem. Dieses scheint an "Zelda" angelehnt, bringt aber viele eigene Ideen mit. Was waren die Inspirationsquellen, und was macht Ihrer Meinung nach dieses Spiel anders?

Seifried: Wir wollten die soziale Komponente des Spiels – das Kennenlernen und Freundschaftenschließen mit NPCs – mit den Dungeon-Crawling-Aspekten verbinden. Jeden Abend kommt man nach Hause nach Hinterberg und kann sich aussuchen, mit wem man den Abend verbringen möchte. Zur Verfügung stehen eine Reihe von Touristinnen und Touristen, professionelle Abenteurerinnen und Einheimische. Wenn man tiefere Beziehungen eingeht, bekommt man dafür Belohnungen, die im Kampf helfen können – das kann von einfachen Verbesserungen wie mehr Lebensenergie bis zum Freischalten ganzer Systeme – etwa Upgrades für die eigene Ausrüstung – und Spezialattacken gehen.

Reisinger: Beim Kampfsystem selbst war es uns wichtig, dass es zugänglich bleibt. Es macht Spaß, es ist actionreich und schnell, und die eigene Fertigkeit hat natürlich große Auswirkungen. Aber wir wenden uns damit nicht unbedingt primär an Hardcore-Spielerinnen und -Spieler. "Dungeons of Hinterberg" soll eher ein abwechslungsreiches Ganzes sein, wo es eine Welt zu entdecken gibt, eine Geschichte zu erleben und Magie, die man sowohl im Kampf als auch in den Puzzles auf kreative Art und Weise einsetzen kann. Die "Persona"-Reihe war eine große Inspiration für uns, was die Social-Sim- oder Life-Sim-Teile betrifft. Aber "Persona" ist ein JRPG, während "Dungeons of Hinterberg" sich beim restlichen Gameplay eher an klassischen "Zeldas" orientiert und Echtzeit-3D-Kämpfe bietet.

STANDARD: Reden wir über den Art-Style, der das Spiel meist auf den ersten Blick erkennbar macht. Wer steckt im Team dahinter, und wie kam es zu der Idee, genau diesen Look auszuprobieren?

Seifried: Wir haben uns da gegenseitig gut ergänzt. Ich interessiere mich sehr für Grafikprogrammierung und experimentiere viel mit verschiedenen Rendering-Techniken, und Regina ist eine erfahrene 3D-Artistin und ausgezeichnete Art Direktorin. Wir sind beide nicht primär an Realismus interessiert, sondern schätzen es mehr, wenn Spiele visuell ungewöhnliche Wege gehen oder die Grafik stark stilisiert ist.

Reisinger: Der Art-Style hilft uns natürlich auch sehr dabei, ein Spiel dieser Größe mit so einem kleinen Team bewältigen zu können. Die Workflows sind einfacher, und der Fokus liegt stärker auf kreativen Entscheidungen als darauf, dass jedes Asset perfekt aussehen muss.

STANDARD: Ein Spiel dieser Größe muss man in Österreich einmal finanziert bekommen. Wie sind Sie die Produktion angegangen? Gab es Förderungen?

Reisinger: Wir haben die ersten eineinhalb Jahre zu zweit an dem Projekt gearbeitet. Dabei hatten wir eine AWS-Förderung in Höhe von 50.000 Euro. Das hat uns natürlich sehr dabei geholfen, uns selbst in der Zeit über Wasser zu halten und uns auch ein bisschen Unterstützung, zum Beispiel im Bereich Audio, zu holen.

STANDARD: Wer war von Beginn an dabei, und wie konnten Sie gesund wachsen?

Seifried: Wir haben Ende 2021 die ersten Leute angestellt und sind erst dieses Jahr auf unsere endgültige Teamgröße von zehn Leuten angewachsen. Wir sind beide sehr stark in die Entwicklung eingebunden, das macht das Wachsen der Firma manchmal zu einem Balanceakt. Wächst man zu langsam, wird man nicht fertig. Zu schnell, und man ist irgendwann nur mehr mit Management beschäftigt und kann nicht mehr dort, wo es im Projekt notwendig ist, Hand anlegen.

STANDARD: Wie wichtig ist Diversität im Team? Kann man hier in der doch sehr männlich dominierten Branche überhaupt wählerisch bei der Teamzusammenstellung sein?

Reisinger: Unser jetziges Team ist genau zur Hälfte weiblich. Das war nicht unbedingt ein konkretes Ziel, das wir uns gesetzt hatten, aber wir legen auf jeden Fall Wert auf Diversität und sind schon auch ein bisschen stolz darauf. Wir mussten dafür jedenfalls nie wählerisch sein – jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist zu 100 Prozent die beste Person, die wir für die Rolle finden konnten.

Dungeons of Hinterberg
Das Kampfsystem wirkt durchdacht und lässt einige Möglichkeiten zu.
Microbird

STANDARD: Welche Agenden übernehmen aktuell die Gründer Seifried und Reisinger?

Seifried: Regina macht die Art-Direction für "Dungeons of Hinterberg", ich kümmere mich um die technische Leitung, und gemeinsam leiten wir die Design-Direction im Spiel. In der Produktion ist Reginas Schwerpunkt 3D-Modeling und mein Schwerpunkt im Gameplay-Programming, aber in der Praxis ist unsere Arbeit sehr vielseitig und reicht von Teilen des Level-Designs bis hin zum Schreiben der Story. Dinge wie Management oder Pressearbeit sind natürlich auch Teil unseres Alltags.

STANDARD: Wie kam es zu dem Deal mit Microsoft beziehungsweise dem aktuellen Publisher?

Reisinger: Wir haben Ende 2020 erste Screenshots des Spiels auf Social Media gestellt, und gerade auf Twitter hat das damals wirklich gut funktioniert und eine Menge Aufmerksamkeit für das Spiel erzeugt. Das hat dann dazu geführt, dass sich eine Menge Publisher bei uns gemeldet haben, und auch Microsoft hat natürlich Scouts, die mitbekommen, wenn ein Titel auf Social Media viral geht. Die Pandemie hat uns hier vielleicht auch ein bisschen geholfen – die üblichen Messen wie Gamescom oder GDC, wo Deals angebahnt werden, sind damals alle entfallen, und Publisher waren verstärkt auf das Anbahnen von Kontakten über E-Mail und Zoom-Meetings angewiesen.

STANDARD: Noch nicht viele Spiele aus Österreich wurden in den Game Pass eingeladen. Gibt es da Kriterien, die man erfüllen muss?

Seifried: Von speziellen Kriterien wissen wir nichts. Ich glaube, dass es Xbox hauptsächlich darum geht, eine spannende Mischung zu bieten. Es ist ja wirklich von AAA über bekannte Indies bis hin zu kleineren, aber originellen Projekten alles dabei.

STANDARD: Für viele ist der Game Pass ein Abo, aber für Spieleentwickler, speziell kleinere, ist er sicher mehr. Erklären Sie mir doch bitte kurz, wie ein junges Entwicklerstudio von diesem Konzept profitieren kann.

Reisinger: Wir haben selbst Game Pass abonniert und dadurch eine Menge Spiele angespielt, auf die wir sonst wahrscheinlich nie gestoßen wären. Es waren auch ein paar echte Perlen dabei. Das macht den Service natürlich auch für Entwicklerstudios wahnsinnig attraktiv – man verringert nicht nur sein finanzielles Risiko, sondern erreicht sofort eine große Menge an Spielerinnen und Spielern, die ansonsten vielleicht nie von deinem Spiel gehört hätten.

STANDARD: Können Sie schon mehr über das geplante Release-Fenster sagen, beziehungsweise auf welchen Aspekten gerade der Fokus der Entwicklung liegt?

Reisinger: Das Spiel wird 2024 auf Xbox, Game Pass und PC/Steam erscheinen. Wir sind mittlerweile schon sehr weit in der Produktion, und große Teile des Contents sind fertig. Im Augenblick geht es hauptsächlich darum, das Spiel als ein Gesamtes zu betrachten und die einzelnen Bereiche aufeinander abzustimmen. Es gibt natürlich auch noch einiges, das wir aufpolieren und verbessern wollen.

Microbird, Dungeons of Hinterberg
Auf der Gamescom 2023 konnte der STANDARD das Spiel erstmals anspielen.
STANDARD, aam

STANDARD: Gibt es noch große Hürden auf dem Weg zur Fertigstellung?

Seifried: Das Spiel hat mit rund 20 Stunden Spielzeit schon einen stattlichen Umfang für einen Indie-Titel. Jetzt, wo wir in einer Phase sind, in der es mehr um das Game als Ganzes geht als um die einzelnen Teile, ist es nicht mehr ganz trivial, die Zeit zu finden, es immer wieder durchzuspielen und auf den Gesamteindruck, die Progression und Ähnliches zu testen.

STANDARD: Oft wird über Österreich als Standort für die Videospielentwicklung diskutiert und auch über die nötige Fremdfinanzierung, wenn man längerfristig hier in der Branche arbeiten will. Was sind Ihre Erfahrungen? Haben Sie einmal überlegt, den Firmensitz zu verlegen?

Reisinger: Es war schon nicht ganz einfach, die Firma in Österreich zu gründen. Da wir die ersten eineinhalb Jahre zu zweit gearbeitet haben, haben wir zunächst eine OG gegründet. Die Umgründung zur GmbH war dann ein Prozess, der sich über viele Monate gezogen hat und fünfstellige Kosten alleine für Anwälte und Steuerberatung verursacht hat. Da hat sich die österreichische Bürokratie leider teilweise wirklich nicht von der besten Seite gezeigt. Über eine konkrete Verlegung denken wir nicht nach, aber in Österreich ist da natürlich schon noch viel Luft nach oben, was bessere Förderungen, vereinfachte Prozesse und generelles Bewusstsein und Unterstützung für die Branche betrifft.

⚔️ Dungeons of Hinterberg - Announcement Trailer | Coming 2024! ⚔️
Curve Games

STANDARD: Würden Sie 2024 jemandem empfehlen, in die Gamesbranche einzusteigen?

Seifried: Grundsätzlich denke ich, dass die Arbeitsverhältnisse sich bei den meisten Studios in den letzten zehn Jahren schon sehr verbessert haben, und gerade in Österreich ist der massive Crunch, für den die Industrie lange Zeit bekannt war, auch rein arbeitsrechtlich gar nicht möglich. Was wir stark merken, ist, dass der Games-Markt gerade auf der ganzen Welt eine schwierige Phase durchmacht. Während in den ersten Corona-Jahren massiv investiert wurde und es vergleichsweise leicht war, ein Projekt zu finanzieren, schlägt das Pendel gerade stark in die andere Richtung aus. Dutzende Games-Firmen haben heuer insgesamt tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekündigt, das wird sich in der näheren Zukunft sicher bemerkbar machen, wenn man einen Job in der Branche sucht. Wir hoffen, dass sich diese Situation im Laufe der nächsten ein, zwei Jahre wieder beruhigt.

STANDARD: Gäbe es einen Plan B, wenn Sie morgen keine Spiele mehr entwickeln dürften?

Seifried: Einen langen Urlaub machen! (Alexander Amon, 11.11.2023)