Ein Bub und ein Mädchen (beide etwa 3 oder 4 Jahre) sitzen auf dem Sofa und schauen auf ein Tablet
Und plötzlich ist es so herrlich ruhig in der Wohnung.
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Die Mutter hetzt aus dem Büro, um ihren Sohn am Nachmittag pünktlich vom Kindergarten abzuholen. Sie gehen noch zum Bäcker, eine Brezel soll es sein, und dann zum Spielplatz. Sie bauen Sandburgen, spielen Abfangen, schaukeln. Zu Hause warten drei Wäschehaufen darauf, gewaschen zu werden, Spielzeug liegt in der Wohnung verteilt, das Essen muss gekocht werden. Das zweijährige Kind ist müde und hungrig, es quengelt und will getragen werden. Also setzt die Mutter es in seinen Hochstuhl und stellt ihm ein Tablet vor die Nase. "Ich bin Peppa Wutz", sagt das rosa Schweinchen im schwarzen Kastel. Und zack, Ruhe.

Wenn der Partner oder die Partnerin noch nicht zu Hause und auch sonst keiner da ist, der das Kind kurz übernehmen kann, ist ein Bildschirm oft der beste – oder einzige – Babysitter, den Eltern haben. Eine halbe Stunde "Peppa Wutz" oder "Paw Patrol", das schadet doch nicht, oder etwa doch?

Zur Bildschirmzeit von Kleinkindern gibt es offizielle Richtlinien. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa empfiehlt, dass Kinder unter einem Jahr gar keinen Bildschirmen ausgesetzt sein sollen. Bei den Zwei- bis Dreijährigen sollte es nicht mehr als eine halbe Stunde sein, die sie sitzend vor Tablet, Smartphone oder Fernseher verbringen.

In der Praxis halten sich nur wenige Eltern an die Empfehlungen von Wissenschafterinnen, Ärzten und Psychologinnen. Wie eine Studie aus dem Vorjahr zeigt, verbringt nur eines von vier Kindern unter zwei Jahren tatsächlich gar keine Zeit vor dem Bildschirm, und nur ein Drittel aller Kinder zwischen zwei und fünf Jahren sieht nicht mehr als eine Stunde pro Tag auf ein elektronisches Gerät.

Sprachverzögerung durch Fernsehen

Seit Jahren werden die Auswirkungen von digitalen Medien auf Kinder weltweit erforscht. Eine aktuelle im Fachjournal "JAMA Pediatrics" veröffentlichte Untersuchung aus Japan zeigt: Wenn Kinder unter einem Jahr regelmäßig vor den Fernseher, das Tablet oder das Handy gesetzt werden, stellt man später bei ihnen Entwicklungsverzögerungen fest. Sie brabbeln und kommunizieren weniger und später, ihre grob- und feinmotorischen Fähigkeiten sind geringer ausgeprägt, und sie sind langsamer und weniger geschickt dabei, beim Spielen einfache Aufgaben zu lösen.

Forscherinnen glauben außerdem, dass die schnelle Bild- und Tonfolge in Fernsehsendungen dazu führen kann, dass Kinder langfristig Schwierigkeiten haben, sich auf Aufgaben wie Lesen und Schreiben zu konzentrieren. Auch Schlafstörungen, Gewichtsprobleme und Lernstörungen sehen sie als Folge längerer Bildschirmzeit.

Digitale Medien zur Gänze aus dem Familienalltag auszuschließen, ist für Medienpädagogin Sonja Messner dennoch unrealistisch. Wichtig sind für Kleinkinder deswegen drei Punkt: 1. Was schauen sich die Kinder an? 2. Ist jemand da, um sie dabei zu begleiten? 3. Was macht das Kind in der restlichen, bildschirmfreien Zeit?

Eltern sind Vorbilder

Für die Medienpädagogin steht fest: "Kleinkinder lernen mehr, wenn sie eine halbe Stunde in einer Pfütze herumspringen, als wenn sie eine halbe Stunde fernsehen." Aus der Entwicklungspsychologie weiß man, dass Kinder viele Sinneserfahrungen wie riechen, schmecken, hören, sehen, fühlen benötigen, um sich gesund zu entwickeln. Das Problem: Bildschirme sprechen nur Augen und Ohren an. "Aus medienpädagogischer Sicht hat Fernsehen für unter Dreijährige keinen Mehrwert", sagt Messner.

Doch nicht nur die Bildschirmzeit der Kinder selbst wirkt sich auf ihre Entwicklung aus. Wissenschafter weisen darauf hin, dass vor allem Eltern oder andere Bezugspersonen, die permanent mit dem Smartphone, Tablet oder Computer beschäftigt sind, die Eltern-Kind-Bindung beeinträchtigen. Eltern, die "nur" körperlich anwesend sind, daneben aber ständig telefonieren oder im Netz surfen, sind für Kinder schlichtweg nicht greifbar. Das haben bereits die "Still Face Experimente" von Edvard Tronick der Universität Harvard in den 70ern gezeigt. Dabei zeigt die Mutter dem Baby ein versteinertes, ausdrucksloses Gesicht, ohne jegliche Mimik oder Emotion. Die Kinder versuchten zunächst die Aufmerksamkeit ihrer Mutter über die eigene Mimik und Gestik wiederzuerlangen. Gelang dies nicht, begannen sie zu quengeln oder weinen.

Warum ist die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern für kleine Kinder so essenziell? "In den ersten Lebensjahren machen Kinder enorme soziale, kognitive und motorische Entwicklungsschritte durch", sagt Messner. "Für eine gesunde Entwicklung benötigen Kinder vor allem stabile Bindung zu den Eltern." Und diese entwickelt sich im Wesentlichen durch ein anregendes Miteinander, in einem intensiven Austausch über körperliche Nähe, Kuscheln, Trösten, Singen, Spielen, Essen u. v. m. Digitale Geräte können regelrecht zwischen Kind und Eltern stehen und damit die Beziehung gefährden.

Was noch passiert: Kinder lernen durch Nachahmung. Die Eltern ständig mit dem Handy in der Hand zu sehen, führt dazu, dass sie sehr früh nach dem Handy verlangen – und Eltern diesem Wunsch nachgeben, obwohl viele dabei ein schlechtes Gewissen haben.

"Peppa Wutz" besser als "Paw Patrol"

Messner möchte Eltern das schlechte Gewissen nehmen: "Eine halbe Stunde 'Peppa Wutz' am Tag schadet nicht per se!" Wichtiger sei, die Bildschirmzeit in ein richtiges Verhältnis zu setzen und sich zu fragen, was das Kind vor und nach "Peppa Wutz" macht: War es an der frischen Luft? Hat es auf dem Spielplatz getobt? Gab es Interaktionen mit Gleichaltrigen? Hat es ein Bild gezeichnet oder Türme aus Holzbausteinen gebaut? "Man darf Eltern mit Studien und Richtlinien keinen Druck machen, denn wir alle wissen, wie schwierig es heutzutage ist, Job, Haushalt, Kinder, Beziehung, Hobbies, Freundschaften zu schupfen."

Außerdem sei "Peppa Wutz" gar keine schlechte Babysitterin: "Im Gegensatz zu vielen anderen Kinderserien ist 'Peppa Wutz' nicht sehr hektisch, laut oder gewaltvoll." Die Sendung mit den rosa Schweinchen behandelt zudem Themen, die viele Kleinkinder aus dem Alltag kennen: in den Kindergarten gehen, bei Oma und Opa übernachten, der erste Zahnarztbesuch. Auch "Bobo Siebenschläfer" oder die "Sendung mit der Maus" hält die Medienpädagogin für ansprechend.

Zum Vergleich: Bei "Paw Patrol" oder "Super Wings", die ebenfalls für Kleinkinder gemacht werden, passiert wesentlich mehr als bei "Peppa Wutz": Da gibt es gefährliche Rettungsaktionen, Roboterkämpfe oder Aliens, die Hunde entführen. "Viele modernen Zeichentrickserien sind für kleine Kinder zu schnell geschnitten und zu vollgepackt mit Handlungen", sagt Messner. Das kindliche Gehirn sei aber gar nicht in der Lage, all diese Informationen zu verarbeiten und die bunten Bilder auf dem Bildschirm von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Für Eltern ist es nicht immer leicht einzuschätzen, welche Serien geeignet sind und welche nicht. Ein einfacher Tipp von Messner: "Je langweiliger die Sendung, desto besser für Kleinkinder!"

Checkliste: Kindersendung für Kleinkinder

Tipp: "Kinder sehen sich die gleichen Sendungen gerne öfter an, das macht den meisten nichts aus", sagt die Medienpädagogin. "Die Wiederholung fördert das Erkennen von Inhalten und das wiederum führt zu Entspannung im Gehirn."

Nicht alleine schauen lassen

Entscheidend sei außerdem, ob das Kind einfach nur vor dem Bildschirm geparkt wird oder ob jemand da ist, der es begleitet. Selbst bei harmlos anmutenden Trickfilm-Serien wie "Biene Maja" reagieren manche Kinder ängstlich oder verwirrt. Wenn etwa die Blaumeise versucht, die Biene Maja zu fressen, kann das ganz schön dramatisch für die Kleinen sein. "Sollte Erwachsene keine Zeit haben, gemeinsam mit dem Kind fernzusehen, ist es dennoch wichtig, das Kind zumindest zu beobachten", sagt Messner. Wer schnell kochen muss, kann das Kind etwa mit Tablet in die Küche an den Tisch statt ins Wohnzimmer setzen. "Auf diese Weise kann man im Falle direkt eingreifen und das Kind beruhigen oder mit ihm über Szenen und Handlungen sprechen."

Hinweis: Grundsätzlich sollten Bezugspersonen einen Film oder eine Sendung immer zuerst selbst anschauen, um zu checken, ob die Inhalte für das Kind geeignet sind.

Regeln müssen sein

Wichtig sind für die Medienpädagogin klare Regeln, die Kinder schon von Beginn an lernen und damit verbundenen Hauptfragen: Was wird geschaut? Wie lange wird geschaut? "Es muss klar sein, dass nach 20 oder 30 Minuten das Tablet oder der Fernseher ausgeschaltet wird", sagt Messner. "Selbst wenn es zunächst Geschrei gibt."

Um die Zeit für kleine Kinder besser zu visualisieren, eignen sich etwa Sanduhren oder Stoppuhren, die man direkt neben den Bildschirm stellt. "Das kann ein wunderbares Familienritual sein, das Kinder sehr bald begreifen und auch akzeptieren", sagt Messner.

Auf keinen Fall würde die Medienpädagogin Kinder unter sechs Jahren frei auf Youtube surfen lassen: "Kinder lernen die Navigation auf einem Smartphone oder Tablet sehr schnell, sie switchen in der App dann zwischen den Sendungen hin und her und verlernen dabei, Handlungen bis zum Ende zu verfolgen und dranzubleiben." Bei Kindern sei es oft besser, Sendungen zur gleichen Zeit und am gleichen Ort "auf dem guten alten Fernseher anzusehen". (Nadja Kupsa, 11.11.2023)