Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Politisch sowie emotional lässt diese Idee regelmäßig die Wogen hochgehen, doch dieser Tage noch ein bisschen mehr. Es laufen Kollektivvertragsverhandlungen bei den Metallern, im Handel und der Sozialwirtschaft, nirgends scheint ein Abschluss in Sicht. Und am Wochenende findet der Parteitag der Sozialdemokraten in Graz statt. Kürzere Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gehört zu den Forderungen des SPÖ-Chefs Andreas Babler.

Der unternehmernahe Thinktank Agenda Austria hat am Mittwoch – der Zeitpunkt ist wohl kein Zufall – eine Berechnung (siehe Grafik) präsentiert, wie sich eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf die Lohnkosten für Unternehmen auswirken würde. So viel vorab: Es gibt viele Modelle, viele Szenarien, und eine pauschale Antwort ist auf die Kostenfrage de facto nicht zu geben.

Die Agenda beschränkt sich mit ihrer Berechnung auf ein konkretes Szenario: Die wöchentliche Arbeitszeit wird von 40 auf 32 Stunden gekürzt, der Lohn bleibt gleich. Die Personalkosten für vier Mitarbeiter (Bruttolohn pro Person 3.446 Euro) belaufen sich für ein Unternehmen im Jahr 2023 auf 250.000 Euro.

Grafik mit Balken
Die Agenda Austria hat berechnet, was es Unternehmen kostet, wenn die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich reduziert wird. Ökonomen bezeichnen die Annahme als "verkürzt".
DER STANDARD, Agenda Austria

Höhere Lohnkosten

"Um die weggefallenen Stunden zu kompensieren, müssten die Menschen um ein Viertel produktiver werden. Andernfalls braucht es eine zusätzliche Person, wodurch die Lohnkosten für das Unternehmen innerhalb von drei Jahren um mehr als 44 Prozent steigen", sagt Agenda-Ökonom Dénes Kucera.

Das klingt im ersten Moment sehr teuer und nach sehr viel. Aber: Die Agenda Austria geht davon aus, dass es durch die verringerte Arbeitszeit zu keiner Produktivitätssteigerung kommt. Zudem wird die Inflationsprognose der kommenden drei Jahre miteinbezogen.

Ulrike Huemer ist Arbeitsmarktökonomin beim Wifo, Jörg Flecker Soziologe an der Uni Wien – beide bezeichnen diese Berechnung als "sehr verkürzt" und "gewagt". Dass es zu keinen Produktivitätssteigerungen komme, ließe sich nicht über einen Kamm scheren.

Produktivität nimmt zu

"Man hat bei Arbeitszeitverkürzungen immer festgestellt, dass die Produktivität zugenommen hat – schlichtweg weil die Menschen weniger ermüden", sagt Flecker zum STANDARD. "In Frankreich wurde als Versuch die 35-Stunden-Woche eingeführt, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das hat aber nicht funktioniert, weil die Menschen produktiver wurden." Man könne diese Steigerung zwar nicht kalkulieren, könne sie aber auch nicht ignorieren, weil man wisse, dass es sie gebe, meint Flecker.

Menschen gehen eine Straße entlang und der Fokus ist auf die Füße gerichtet.
Früher nach Hause gehen? Viele Projekte zeigen zwar, dass kürzere Arbeitszeiten die Produktivität steigern. Es braucht aber Innovationen und ein durchdachtes Konzept.
REUTERS

Zudem gibt es in einigen Ländern Europas Pilotprojekte für die Viertagewoche, die eindeutige Produktivitätszuwächse zeigen. Wifo-Forscherin Huemer argumentiert ähnlich: "Die Frage ist, ob ich die Arbeit anders organisieren kann. Technische Innovationen bieten viele Möglichkeiten. Dass es nirgendwo mögliche Reserven gibt, kann nicht sein." Zudem zeigten die Daten, dass kürzere Arbeitszeit zu weniger Krankenständen führt, sagt Huemer. Weniger Ausfälle fließen direkt in die Produktivität.

Was sagt die Agenda dazu? "In vielen Bereichen wie der Pflege oder Bildung müssen Menschen da sein, da gibt es keine Alternative. Wenn Innovation eine Reduktion zulässt, sind Unternehmen gut beraten, weniger Stunden anzubieten. Aber sie müssen das selbst entscheiden", sagt Kucera.

Inflation rausrechnen

Scharfe Kritik kommt von der Arbeiterkammer (AK). "Diese Grafik ist dazu gemacht, um die Arbeitszeitverkürzung teuerzurechnen", sagt AK-Statistik-Experte Josef Zuckerstätter. In einem Punkt sind sich Zuckerstätter, Huemer und Flecker einig: Es sei wenig zielführend, die Inflation in diese Berechnung miteinzubeziehen. Somit gehe man von nominellen Kosten aus, in dem Fall würde es allerdings eine inflationsbereinigte Berechnung brauchen.

Ein Thema bleibt in der Debatte größtenteils außen vor: Müsste eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu einer Gehaltserhöhung für Teilzeitkräfte führen? "Ja", sagt Ulrike Huemer. "Die Gehälter von Teilzeitkräften müssten aliquot angehoben werden."

Drohende Ungleichheit

Andernfalls käme es zu Ungleichheiten beim Einkommen. Bekämen bisherige Vollzeitkräfte weiter ihren Lohn für weniger Stunden und jener von Teilzeitkräften würde nicht angepasst, fielen diese um einen veritablen Betrag um – wenig förderlich für das Betriebsklima.

Eine solche Anpassung war einer der Effekte bei der letzten Arbeitszeitverkürzung in der Sozialwirtschaft im Jahr 2020. Ziel war es damals, der Überlastung der Vollzeitbeschäftigten gegenzusteuern und den Teilzeitkräften höhere Löhne zu zahlen, um die Berufe attraktiver zu machen. Zur Erinnerung: In der Sozialwirtschaft arbeiten mehr als 70 Prozent Frauen und das Gros von ihnen Teilzeit. Die wöchentliche Normalarbeitszeit wurde jedenfalls von 38 Stunden auf 37 Stunden verringert, gefordert hätte die Gewerkschaft eigentlich 35 Stunden.

Mehr Teilzeit, weniger Geld

"Teilzeitarbeit ist gewissermaßen ein Problem. Die Leute bekommen einerseits proportional weniger Geld, andererseits sind die Stundenlöhne dort niedriger, wo eine höhere Teilzeitquote herrscht", sagt Uni-Professor Flecker. Teilzeit sei eine massive Benachteiligung, insofern sei es Absicht, die Arbeitszeit zu verkürzen, um Teilzeitkräfte besserzustellen. (Andreas Danzer, 8.11.2023)