Flüchtlinge in einem Aufnahmezentrum auf der Insel Lampedusa
Von einer Willkommenskultur ist in Europa schon lange keine Rede mehr: Flüchtlinge in einem Aufnahmezentrum auf der Insel Lampedusa.
EPA/VINCENZO LIVIERI

Die große Flüchtlingskrise in Europa, die 2015 ihren Anfang nahm, werde den Kontinent von Grund auf verändern, prophezeiten diverse Akteure unterschiedlicher Couleur. Nun, acht Jahre später, muss man ihnen uneingeschränkt recht geben. Von der anfänglichen Willkommenskultur ist kaum noch etwas zu spüren, die inhumane Migrationspolitik eines Viktor Orbán dagegen ist fast schon im politischen Mainstream angekommen. Angesichts fehlender gemeinsamer Lösungsansätze greifen Länder mit EU-Außengrenzen vermehrt zu illegalen Mitteln, um Ankommende abzuwehren: Pushbacks oder gar Entführungen beispielsweise.

Die EU scheint diese Aushöhlung des Asylrechts resignierend zur Kenntnis zu nehmen. Mit immer stärker werdenden rechten Kräften in Europa – und konservativen Parteien, die man in Sachen Asylpolitik kaum noch von FPÖ, AfD oder RN unterscheiden kann – scheint nun auch ein Szenario in Reichweite, das lange als vollkommen unrealistisch abgelehnt wurde: die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten.

In Australien wird die Idee schon länger umgesetzt: Bootsflüchtlinge werden auf offener See zur Umkehr bewegt oder ansonsten in Internierungslager auf extraterritorialen Inseln gebracht – ohne Möglichkeit, je Australien zu betreten.

Vorbild Australien

Dieses Modell erntet Dauerkritik, vor allem wegen der unmenschlichen Bedingungen in den Lagern. Trotzdem – oder vielleicht gerade auch deshalb? – hat es für viele Politiker in Europa Vorbildcharakter, denn die Zahl der Ankünfte in Australien liegt offiziell oft bei null. Tatsächlich könnte es das Dilemma im Mittelmeer wohl beenden: Dort müssen viele von Schleppern mit kaum seetauglichen Gefährten auf die Reise geschickte Menschen aus Seenot gerettet werden. Sie landen danach in Europa – und können mangels Rückführungsabkommen auch nach einem negativen Asylbescheid nicht in ihre Heimat abgeschoben werden.

Wenn nun aber eine Rettung nicht mehr verbunden ist mit einem Transport in die EU, sondern in einen Drittstaat wie Albanien, wie es ein Deal Italiens nun vorsieht, oder gar in ein Land in Afrika, wie es Großbritannien plant, könnte dies tatsächlich dazu führen, dass die Menschen die lebensgefährliche Fahrt nicht mehr auf sich nehmen.

Allerdings scheiterte das Vorhaben bisher an zwei Hürden: Einerseits fand man lange keine Länder, die Asyleinrichtungen auf ihrem Territorium zulassen, andererseits würde man mit den aktuellen Gedankenspielen auf Frontalkurs zu EU-Recht und den Menschenrechten gehen. Bezüglich der ersten Hürde sieht man bei Italien und Großbritannien nun, dass man sehr wohl Drittstaaten finden kann, die dabei kooperieren. Und in rechtlicher Hinsicht könnte man an einer softeren Lösung feilen, die zumindest die gröbsten Härten verhindert. Schon das italienische Modell ist gegenüber dem britischen Plan diesbezüglich deutlich besser konzipiert.

Das wäre zwar immer noch ein Armutszeugnis für Europa und würde wohl den Kontinent endgültig zu einer Festung werden lassen. Doch angesichts des immer stärker werdenden Antimigrationsklimas in den europäischen Ländern scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Auslagerung von Asylverfahren auch hier zur Anwendung kommen wird. Dann sollte sie wenigstens einen humanen Anstrich haben. (Kim Son Hoang, 9.11.2023)