In der alten Bauernstube inmitten der Hightech-Fleischproduktion scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Bis ins Alter von 90 Jahren sah Maria Wiesbauer, die Witwe des Firmengründers, von hier aus täglich nach dem Rechten, erzählt Thomas Schmiedbauer, der den Wursterzeuger in Familienhand hält. Sein Vater übersiedelte die ehrwürdige Stube vom einstigen Unternehmenssitz in Wien-Hietzing nach Liesing, damit sich die alte Dame auch hier zu Hause fühle.

Wurstproduzent Thomas Schmiedbauer warnt vor Handelskriegen auf dem Rücken der Lieferanten. "Auf der anderen Seite schimpft man uns Tiermörder und Umweltverpester. Das passt alles nicht mehr zusammen."
Regine Hendrich

STANDARD: Die Fleischwarenindustrie hat aufgrund hoher Verluste einen Hilferuf abgesetzt: Lebensmittelhändler seien nicht bereit, ihre gestiegenen Kosten abzudecken. Drohen Pleiten?

Schmiedbauer: Mehr als 80 Prozent der Unternehmen unserer Branche schreiben heuer rote Zahlen. Das gilt auch für uns als einen an sich gesunden Familienbetrieb. Die Rohstoffe haben sich um 25 Prozent verteuert. Für die Löhne unserer Arbeiter und Arbeiterinnen bezahlen wir um knapp zehn Prozent mehr. Allein das rechtfertigt um mindestens fünf bis sechs Prozent höhere Preise. Diese haben wir vom Handel definitiv nicht bekommen.

STANDARD: Die meisten großen Handelsketten sind selbst große Fleischproduzenten mit eigenen Marken, haben also Einblick in die Kalkulationen der Verarbeiter. Sitzen externe Lieferanten auf dem schwächeren Ast?

Schmiedbauer: Der Handel forciert in seinen eigenen Produktionen lukrative Artikel und lagert schwächere aus. Ich habe noch nie zuvor so viele Ausschreibungen erhalten wie heuer. Unser Markt besteht aus vier Handelsketten als Ansprechpartner. Zwei haben über 60 Prozent Marktanteil. Hat man mit einem Probleme, hat man bald selbst welche. Die Industrie will nur ihre Kosten abgedeckt bekommen und ein bisserl Geld, um sich über Investitionen zu trauen. Ich hatte einen Zubau um 30 Millionen Euro geplant. Ich habe ihn zurückgestellt, und das tut weh.

STANDARD: Fleisch hat sich in Österreich innerhalb eines Jahres um ein Fünftel verteuert. Wurde damit nicht auch die Schmerzgrenze vieler Konsumenten überschritten?

Schmiedbauer: 2022 wurden unsere Preise erhöht. Die Verkaufspreise im Handel gingen jedoch um ein Vielfaches nach oben. Bei Fleisch wurden damit wohl Schmerzgrenzen erreicht. Verdient aber hat der Handel.

STANDARD: Der Handel hat von der Teuerung selbst nicht profitiert, attestierte jüngst die Bundeswettbewerbsbehörde.

Schmiedbauer: 2022 wurden unsere Preise erhöht. 80 Gramm Wurst liegen um 2,99 Euro im Regal. Ich bekomme dafür einen guten Euro und mache rote Zahlen. Ziehen Sie vom Rest die Mehrwertsteuer ab, und sehen Sie sich die Spannen an. Aber man stichelt hier in heikle Themen.

Thomas Schmiedbauer: "Kein Mensch auf der Welt braucht jeden Tag ein Stück Fleisch."
RegineHendrich

STANDARD: Für Schweinsohren als Hundefutter geben Konsumenten fast 40 Euro für das Kilo aus. Lungenbraten für den eigenen Teller kostet ein Drittel davon. Was läuft hier falsch?

Schmiedbauer: Tierliebhabern ist die Beziehung zu Hunden und Katzen so viel wert, dass der Preis des Futters vielen egal ist. Zum eigenen Nachteil. Denn an der Wursttheke greifen sie zum billigeren Produkt. Es wäre für uns nicht so abwegig, Tiernahrung zu produzieren. Letztlich wäre es eigentlich lukrativer.

STANDARD: Die Österreicher essen im Schnitt 1,2 Kilo Fleisch in der Woche – das Dreifache dessen, was empfohlen wird. Gehört Fleischkonsum in Summe deutlich beschnitten?

Schmiedbauer: Kein Mensch auf der Welt braucht jeden Tag ein Stückerl Fleisch. Ich frage mich aber, ob diese Zahlen abbilden, was tatsächlich gegessen wird. Schauen Sie, was alles in Biotonnen landet. Da finden sich ganze frisch panierte Schnitzel. Ich bin mir sicher, es wird extrem viel weggeworfen. In Menschen steckt ein Jagdinstinkt. Mehr Würstel zu kaufen, als man braucht, nur weil sie billig sind, gibt halt was her.

STANDARD: Viel Fleisch belastet nicht nur die Gesundheit stark, sondern auch das Klima. Braucht es staatliche Eingriffe in den Markt, die über Bewusstseinsbildung hinausgehen?

Schmiedbauer: Macht doch die Leute nicht unmündiger, als sie sind. Investiert gehört in Aufklärung. Wo bleibt die Freiheit, für die so lange gekämpft wurde?

STANDARD: Einzelne Länder fahren die Tiermast bereits bewusst zurück.

Schmiedbauer: In Holland sperren Mastbetriebe infolge struktureller Probleme zu. Wer will sich diesen Job antun, wenn es nur Vorgaben gibt? Wenn einen Klimaaktivisten piesacken, weil man Tiere tötet? Das wird zu einer Verknappung des Rohstoffes Fleisch führen. Es wird extrem teuer. Der Branche fehlen ja auch in Österreich Nachfolger. Wir könnten in den nächsten zehn bis 15 Jahren Lebensmittelpreise wie in der Schweiz bekommen. Zumindest wird Fleisch dann geschätzt, weil man es als Spezialität kauft. Unsere Klimaprobleme wird es nicht lösen. Da muss man schon in andere Kontinente schauen.

Österreich plant eine freiwillige Kennzeichnung der Tierhaltung auf Fleischwaren. Umsetzen ließe sich alles, sagt Thomas Schmiedbauer. Aber es koste eine Stange Geld.
Regine Hendrich

STANDARD: Konsumenten wollen jedoch auch weniger Tierleid. Das geht nur über strenge Standards in der Tierhaltung. Warum passiert das in Österreich quälend langsam?

Schmiedbauer: Unter tausenden Betrieben gibt es wenige schwarze Schafe. An diesen hängt sich jedoch alles auf. Das Positive geht unter. Wir haben zu viele negative Bilder im Kopf. Wir selbst kaufen fast alle Rohstoffe in Österreich. Wir tun viel für unsere Mitarbeiter. Wir erzeugen rund 20 Prozent des Energiebedarfs selbst. Aber all unsere Nachhaltigkeitspreise interessieren keinen die Bohne.

STANDARD: Weil sich viele an Massentierhaltung stoßen? Das Gros der Schweine darf bis 2039 weiter auf umstrittenen Vollspaltenböden gehalten werden.

Schmiedbauer: Der Konsument verlangt von uns Nachhaltigkeit, kauft aber günstige Handelsmarken. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Tierwohl ist gut und schön. Aber ein Tierwohlschwein hat nur um wenige Quadratmeter mehr Lebensraum als ein konventionelles. Der Preisunterschied ist jedoch immens. Das zahlt einem keiner.

STANDARD: Händler werben mit immer neuen Tierwohl-Programmen. Viele Bauern scheuen vor Investitionen in artgerechtere Tierhaltung jedoch zurück.

Schmiedbauer: Der Konsument will Tierwohl sehen. Teure Flugblätter sind voll mit diesen Produkten bis hin zu Veganem. Ich kenne aber die Zahlen: Ihr Absatz ist gering. Händler geben sich gern modern und vegetarisch. Kunden sollen sich bei ihnen wohlfühlen. Andererseits erhöhen sie den Anteil an Eigenmarken, weil man dort den Reibach macht. Schauen Sie in die Einkaufswagen. Dort liegen keine Biomarken, sondern günstige Eigenmarken.

STANDARD: Wie wirkt sich das auf österreichische Lieferanten aus?

Schmiedbauer: Diskonter werben mit Einkauf ohne Mehrwertsteuer. Andere Supermärkte ziehen sofort nach und verlangen von uns hohe Rabatte. Sonst würden sie sich überlegen, mit uns zu arbeiten. Es droht ein Handelskrieg auf dem Rücken der Lieferanten. Auf der anderen Seite schimpft man uns Tiermörder und Umweltverpester. Das passt alles nicht mehr zusammen. Auch ich persönlich kämpfe hier mit meiner Motivation. Ein Stück weit macht einen das innerlich kaputt.

Wiesbauer blickt in Wien auf ein bald 100-jährige Geschichte zurück.

STANDARD: Österreich plant eine freiwillige Tierhaltekennzeichnung auf Fleischprodukten. Was spricht gegen verbindliche Regelungen, wie sie Deutschland vorsieht?

Schmiedbauer: Umsetzen lässt sich alles. Aber es kostet eine Menge Geld. In einer Bergsteigerwurst ist Rind, Schwein, Speck, Verarbeitungsfleisch. Für jede einzelne Abteilung braucht es einen Wareneingang und Warenausgang. Und all das soll hinten auf die Wurst. Ist es das, was Konsumenten wollen? Etiketten, die übers ganze Produkt gehen?

STANDARD: Sie beliefern auch 3500 Gastronomen. Verstehen Sie, warum sich viele Wirte gegen eine Herkunftskennzeichnung von Fleisch wehren?

Schmiedbauer: Weil dies von hundert Gästen nur einen interessiert.

STANDARD: Kälber aus Holland und Hendl aus Polen auf der Speisekarte machen vielen nicht Appetit auf mehr.

Schmiedbauer: Ich gebe Ihnen recht. Aber wo fängt man an, wo hört man auf? Soll man Pfeffer und Käse aufschlüsseln? Mit der Praxis haben viele Richtlinien nichts zu tun.

STANDARD: Wie groß ist der Lebensmittelpatriotismus anderer Länder? Läuft Österreich Gefahr, im Ausland an Absatz zu verlieren?

Schmiedbauer: Deutsche Produzenten wollen österreichische Lieferanten für Eigenmarken, verlangen dafür jedoch zusehends auch deutsche Rohstoffe. Als Exporteur weiß man oft nicht mehr, wo einem der Kopf steht. Das Ruder ist locker, wo die Richtung hingeht, ist offen.

STANDARD: Sie werben mit Ihrer Marke "Typisch österreichisch" und rot-weiß-roten Schleifen. Garant für österreichische Rohstoffe ist das nicht. Rechtlich möglich ist es, ist es Konsumenten gegenüber auch fair?

Schmiedbauer: Das "Typisch österreichisch" bezieht sich auf die Machart unserer Produkte. Da wir stark nach Deutschland exportierten, war es meinem Vater wichtig, die österreichische Produktionsmethode zu betonen, für Kümmelbraten etwa. Bauchfleisch ist unser stärkster Exportartikel. Die dafür notwendigen Mengen gibt es in Österreich nicht.

Fleischlose Fleischwürste findet Thomas Schmiedbauer "bescheuert". "Ersatzprodukte disqualifizieren sich von selbst."
Regine Hendrich

STANDARD: Wie halten Sie es mit veganen Würsteln? Viele Ihrer Branchenkollegen üben sich ja bereits emsig in pflanzlichen Ersatzprodukten.

Schmiedbauer: Befüllen Händler damit jede Woche Flugblätter, braucht es dafür Produkte. Ein Genuss sind sie für mich nicht. Auch wir haben uns damit befasst. Aus Erbsenprotein wird aber kein gut schmeckendes Lebensmittel. Wir bleiben bei dem, was wir gut können. Dazu stehe ich. Ich finde auch fleischlose Fleischwürste bescheuert. Ersatzprodukte disqualifizieren sich von selbst.

STANDARD: Auch Laborfleisch?

Schmiedbauer: Wir kommen daran nicht vorbei. Themen wie diese sind weiter vorangeschritten, als man so vermutet. Ich habe kein Problem damit. Zuvor muss man mir aber beweisen, dass Fleisch aus dem Labor um vieles nachhaltiger und besser ist als konventionelles Fleisch.

STANDARD: Wie oft kommt in Ihrer Familie Fleisch auf den Teller?

Schmiedbauer: Ich bin kein Fleischkaiser. Tagsüber halte ich mich mit Knäckebrot und Wurst über Wasser. Abends esse ich mit meiner Familie. Gestern gab’s Kürbisrisotto. Wir haben zwei-, dreimal die Woche keine Fleischgerichte. Es lässt sich ja alles gut verbinden. Kürzlich bin ich 216 Kilometer den Kitzbüheler Radmarathon gefahren. Statt der üblichen Safteln habe ich um unsere Würstel gebeten. Die waren weg wie nichts. (INTERVIEW: Verena Kainrath, 11.11.2023)