Blick auf Lunzer See
Wo sich heute eine Naturidylle rund um den Lunzer See erstreckt, spielte sich vor rund 233 Millionen Jahren mit der Karnischen Krise eine Klimakatastrophe mit enormen Ausmaßen ab.
NHM Wien/Alexander Lukeneder

Die Geschichte des Klimas auf der Erde ist eine Geschichte dramatischer Umwälzungen. Mehrere Male schon stand das Leben auf der Kippe: Verursacht durch Vulkanismus oder Impakte aus dem All und in Verbindung mit anderen Faktoren entwickelte sich der Planet immer wieder zu einer lebensfeindlichen Welt. Dokumentiert ist all dies in den irdischen Gesteinen, die in gewisser Weise ein Buch des Lebens bilden. Die fossilen Überreste von Tieren und Pflanzen in den wechselnden Gesteinsschichten zeugen vom Auftreten und Verschwinden zahlloser Arten. Zumindest fünf große Aussterbeereignisse – meist markieren sie die Grenzen zwischen zwei Erdzeitaltern – werden in den vergangenen 450 Millionen Jahren unterschieden. Und es wird davon ausgegangen, dass die Erde gerade am Beginn eines sechsten Massenaussterbens steht.

Doch auch zwischen diesen großen Ereignissen kam es immer wieder zu globalen Krisen in der Biodiversität. Der Paläontologe Alexander Lukeneder versucht, eines dieser Kapitel im Buch des Lebens zu lesen. Der Forscher beschäftigt sich im Rahmen eines auf drei Jahre angelegten Projekts am Naturhistorischen Museum Wien mit den Folgen der Karnischen Krise vor etwa 233 bis 235 Millionen Jahren. Bei dieser Episode des Erdmittelalters handelt es sich um einen Abschnitt des Karniums, einer Stufe der späten Trias. Lukeneder hat nun, gefördert vom Land Niederösterreich und der Freunde des NHM, mithilfe einer Tiefenbohrung eine komplette Folge der Schichten aus dem betreffenden Zeitraum ans Tageslicht geholt.

Von Alaska bis nach Lunz

Während sich an einem anderen Ende des Superkontinents Pangaea gerade die ersten Dinosaurier entwickelten, lag das Gebiet des heutigen Österreich in einer Randzone des Ozeans Tethys. Hier wirkte sich der Klimawandel dramatisch aus, doch der Verursacher für das karnische Massensterben wird weit entfernt vermutet. An der nordamerikanischen Pazifikküste liegt in Form von mächtigen Basaltschichten einer sogenannten magmatischen Großprovinz der Beweis für ein gewaltiges vulkanisches Ereignis.

Mit diesem Bohrturm wurden dreißig Meter Gestein aus der Trias ans Tageslicht befördert
Mit diesem Bohrturm wurden dreißig Meter Gestein aus der Trias ans Tageslicht befördert.
Foto: NHM Wien / Lukeneder

Innerhalb von rund fünf Millionen Jahren lagerten sich in einem mehr als 2500 Kilometer langen Gebiet des heutigen Alaska und British Columbia die Wrangellia-Flutbasalte ab. Der enorme Ausstoß von Treibhausgasen sorgte für eine globale Erwärmung. Dies führte zu stärkeren Niederschlägen, weshalb auch von der "Carnian Pluvial Episode" die Rede ist. Sintflutartige Regenfälle verstärkten die Erosion an Land, was zu einem erhöhten Eintrag von Schlamm und Nährstoffen in die Meere führte. Die Folge: Die Riffe wurden zugedeckt und erstickten, am Meeresboden breiteten sich sauerstofflose Wüsten aus. Das Reiflinger Becken ist einer der Orte, an dem sich die triassische Klimakatastrophe manifestierte.

Konservat-Lagerstätte

Durch die abgeschlossene Beckenlage konnten sich die Sedimente dank kaum vorhandener Strömungen ungestört in feinsten Gesteinsschichten ablagern. Bei solchen Bedingungen ist auch eine Erhaltung der Weichteile eingebetteter Organismen möglich – es handelt sich um eine sogenannte Konservat-Lagerstätte.

Die Bohrkerne sind je nach Lage in unterschiedlichen Zuständen
Die Bohrkerne sind je nach Lage in unterschiedlichen Zuständen.
Foto: NHM Wien / Lukeneder

Im Gebiet der Kalkalpen Niederösterreichs und der Steiermark treten Sedimente der Karnischen Krise in einem schmalen Band zwischen Mödling und Großreifling zutage. Dass hier Fossilien in außergewöhnlicher Erhaltung gefunden werden können, ist schon lange bekannt. In der Region um Lunz am See wurde infolge des Kohlebergbaus bereits im 19. Jahrhundert massenweise mesozoische Relikte geborgen. Dem Stand der Forschung der Zeit geschuldet kann die Aufarbeitung der Altfunde jedoch niemals modernen wissenschaftlichen Standards genügen. Deshalb arbeitet Lukeneder schon seit mehreren Jahren daran, mithilfe neuer Funde die Veränderungen der Ökosysteme an Land und im Meer während der zwei Millionen Jahre andauernden Krise nachzuvollziehen.

Die Bohrkerne wurden in zahlreiche Kisten verpackt
Die Bohrkerne wurden in zahlreiche Kisten verpackt.
Foto: NHM Wien / Lukeneder

Diese Forschungsarbeiten können natürlich nicht von einer Person alleine getragen werden. Die Bohrkerne werden von verschiedenen Instituten analysiert. Das Netzwerk erstreckt sich von Frankreich, Italien und Deutschland über die USA bis nach China. Bei den Analysen werden die Proben auf den Kalk- und Schwefelgehalt, Spurenelemente, Isotope, Gammastrahlung, Tonmineralien und magnetisierbare Mineralien sowie organische Materialien untersucht.

Im Rahmen des Projekts werden Fossilien von Muscheln, Schnecken, Ammoniten, Tintenfischen und Fischen ebenso untersucht wie die unscheinbaren Überreste von Foraminiferen, Radiolarien, Conodonten und auch Pollen und Sporen von Pflanzen.

Verschiedene Fossilien aus den Schichten der karnischen Krise vor dem Tiefenbohrer
Verschiedene Fossilien aus den Schichten der karnischen Krise vor dem Tiefenbohrer
Foto: NHM Wien / Lukeneder

Auch ein Lungenfisch konnte in der Vergangenheit an den Fundstellen bereits gefunden werden. Im vergangenen Jahr gelang Petra Lukeneder, der ebenfalls als Paläontologin an der Universität für Bodenkultur tätigen Partnerin des NHM-Forschers, der weltweit erstmalige Nachweis von fossil erhaltenen Knorpeln von Tintenfischen.

Dreißig Meter Trias

Doch da insbesondere die tonigen Reingrabener Schichten in Oberflächennähe von rascher Verwitterung betroffen sind, entschied Lukeneder, die üblichen Grabungen mit einer Kernbohrung zu ergänzen.

Alexander Lukeneder bei der Bohrung
Alexander Lukeneder bei der Bohrung
Foto: NHM Wien / Lukeneder

Aus verschiedenen Gründen war eine Bohrung an der klassischen Fundstelle auf dem Polzberg nicht möglich. Lukeneder suchte also intensiv nach einer passenden Lokalität für sein Projekt – ein für den Projekterfolg maßgebliche Entscheidung, schließlich sind die Schichten an vielen Stellen verformt, für einen brauchbaren Bohrkern müssen diese jedoch senkrecht getroffen werden.

Fündig wurde Lukeneder schließlich in einem alten Steinbruch zwischen Lunz am See und Göstling. Hier konnte er sich die benötigten Schichten erbohren – zwar durch tektonische Ereignisse in gestürzter Reihenfolge, aber vollständig erhalten. Mit den auf diese Weise gewonnenen insgesamt dreißig Meter langen Bohrkernen können nun die Gesteine frisch und seit ihrer Ablagerung ungestört und chemisch unverändert Schicht für Schicht untersucht werden. (Michael Vosatka, 18.11.2023)