Universität Utrecht Gebäude
Die Universität Utrecht war in den vergangenen Jahren in globalen Rankings stets in den Top 100. Trotzdem hat die niederländische Hochschule heuer die Kooperation mit der Ranglisten-Industrie aufgekündigt.
IMAGO/Panthermedia

Es sind Platzierungen, die in der heimischen Bildungspolitik euphorischen Jubel auslösen würden. Jahr für Jahr schaffte es die Universität Utrecht bei Rankings unter die hundert weltweit bestgereihten Unis, der Trend zeigte nach oben. In der prominenten Rangliste von "Times Higher Education" (THE) schob sich die niederländische Uni schrittweise voran und und errang zuletzt Platz 66 – für eine kontinentaleuropäische Uni ein beachtliches Ergebnis in den von US-amerikanischen und britischen Elitehochschulen dominierten Rankings. Zum Vergleich: Den vordersten Platz in Österreich belegt mit 119 die Uni Wien, alle anderen finden sich nicht einmal unter den Top 200.

Doch heuer ging der Höhenflug der Uni Utrecht zu Ende, sie verschwand schlichtweg aus der Liste. Mit voller Absicht: "Wir haben uns entschieden, nicht mehr am THE-Ranking teilzunehmen", verkündeten die Verantwortlichen aus Utrecht. Dass solch ein Ausstieg überhaupt möglich ist, liegt an der Art, wie das Ranking berechnet wird. Das Ranking-Unternehmen verwendet nämlich nicht nur öffentlich abrufbare Statistiken, es verlangt zusätzlich auch von jeder Uni die Lieferung eigener Daten – etwa über den Personalbestand und ökonomische Kennzahlen. Die Uni Utrecht hat diesen Informationsfluss gestoppt und argumentiert, dass das Aufbereiten der Daten für die privaten Agenturen zu viel Zeit und Ressourcen verschlingt.

Times Higher Education Ranking 2024 österreichische Unis
Die Regierung hat sich vorgenommen, bis 2030 zwei heimische Unis in die Top 100 des THE-Rankings zu bringen. Davon sind wir momentan weit entfernt, der auffällige Rückfall der Med-Unis für 2024 dürfte allerdings auch mit der – leichten – Veränderung der THE-Indikatoren zusammenhängen.
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Kein Interesse an Wettkampf

Die Utrechter haben ihren Boykott zudem mit grundlegenden Einwänden gegen die Methodik der etablierten Rankings und deren Bild von Wissenschaft unterfüttert. Die Inszenierung eines ständigen Wettkampfs zwischen Unis sei verfehlt, weil damit die Bedeutung von Kooperation und wechselseitig befruchtender Forschung in den Hintergrund gedrängt werde. Überhaupt werde das Schielen auf quantitative Indikatoren, die eine Hochschule letztlich in einer Zahl zusammenfassen sollen, der Vielfalt akademischer Disziplinen und den gesellschaftlichen Herausforderungen von Unis nicht gerecht – so falle etwa das Thema Nachhaltigkeit völlig unter den Tisch.

Auch die Messung von Forschungsleistungen anhand von Artikeln und Zitationen in einflussreichen Journals sei fragwürdig, weil die kommerziellen Publikationsdatenbanken mitunter nicht englischsprachige Zeitschriften und Bücher ignorierten.

Fragen des Rufes

Der radikale Schritt der Utrechter ist zwar neu, die inhaltlichen Kritikpunkte kursieren aber schon seit dem Aufblühen der Ranking-Industrie Anfang des Jahrtausends. Seither hat sich auch die wissenschaftliche Forschung an den diversen Ranglisten und ihrer Konstruktion abgearbeitet. Eine jüngere Untersuchung in Scholarly Assessment Reports kam etwa zum Befund, dass große Ranking-Unternehmen wie THE und QS, die zugleich Beratungsleistungen anbieten, mit potenziellen Interessenkonflikten intransparent umgehen und ihre Einnahmequellen nicht offenlegen. Unter methodischen Gesichtspunkten kommen besonders jene Rankings schlecht weg, die dem Faktor Reputation ein großes Gewicht für das Gesamtergebnis beimessen.

Um die Reputation zu ermitteln, schicken die Agenturen Fragebögen an Wissenschafter aus, die dann ankreuzen sollen, wie gut sie den Ruf anderer Unis einstufen. "Ich bekomme selber solche Fragebögen, aber ich halte die für wenig sinnvoll", sagt der Hochschulexperte Jürgen Janger vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im STANDARD-Gespräch. Es sei selbst für ihn als Uni-Kenner unmöglich, die wissenschaftliche Reputation dutzender internationaler Hochschulen seriös zu bewerten, zumal er den Großteil der Einrichtungen nicht von innen kenne: "In Wahrheit messen diese Fragebögen nur die Bekanntheit einer Uni, aber nicht ihre Qualität. Ältere Unis und solche, die eh schon weit oben im Ranking sind, sind bei solchen Umfragen im Vorteil."

Mehr Geld für gute Plätze gefordert

Aller Kritik zum Trotz ist die Bedeutung der Platzierungen für das österreichische Uni-System in der jüngeren Vergangenheit eher gestiegen. Die türkis-grüne Regierung hat die Devise ausgegeben, bis 2030 zwei heimische Unis in die Top 100 des THE-Rankings zu bugsieren. THE hat sich als westliche Antwort auf das chinesische Shanghai-Ranking zu einem der weltweit wichtigsten Rankings entwickelt, allerdings spielt bei THE der Reputationsfaktor ebenfalls eine große Rolle (siehe Abbildung unten).

Grafik THE-Indikatoren
Übersicht über die Indikatoren und deren jeweiliges Gewicht für den Gesamtwert in der Berechnung des THE-Rankings. Sowohl im Bereich Lehre als auch im Bereich Forschung spielen Umfragen zur Reputation eine erhebliche Rolle.
Times Higher Education

Angetrieben durch die Regierungsvorgabe hat sich in letzter Zeit auch die Universitätenkonferenz (Uniko) stärker auf die Rankings eingeschworen, um ihren Budgetforderungen Nachdruck zu verleihen – nach dem Motto: Wir sollen exzellente Plätze erzielen, also brauchen wir viel mehr Geld, um uns den besser finanzierten Unis im Spitzenfeld anzunähern. Was also löst der Anti-Ranking-Beschluss aus den Niederlanden bei den österreichischen Unis aus?

Nützlich für Marketing

"Die Kritikpunkte aus Utrecht sind im Prinzip alle valide", sagt Johannes Sorz. Er ist im Rektorat der Uni Wien für Rankings zuständig und will der Argumentation der niederländischen Kollegen nicht widersprechen: "Die Rankings taugen tatsächlich weder zur Bewertung wissenschaftlicher Qualität noch zur Bestimmung einer Universitätsstrategie." Nur folge daraus nicht, dass sie keinen Nutzen für eine Uni haben können: "Für uns sind sie in erster Linie ein Marketingtool, und als solches kann man sie sinnvoll verwenden, wenn man sich der begrenzten Aussagekraft bewusst ist. Die Rankings erzeugen Sichtbarkeit."

Jede Veröffentlichung eines wichtigen Rankings beschere der Uni Wien – gerade als oftmals bestgereihter heimischer Hochschule – mediale Aufmerksamkeit, erklärt Sorz. "Als Arbeitgeberin müssen wir präsent sein, damit wir im internationalen Wettbewerb um die besten Wissenschafterinnen und Wissenschafter wahrgenommen werden." Nicht umsonst würden jährlich dutzende Unis darauf drängen, überhaupt in die Rankings aufgenommen zu werden.

Dennoch bringt der Fall Utrecht auch für Sorz eine andere Dynamik in die Diskussion: "Mir war neu, dass man tatsächlich aus den Rankings wieder aussteigen kann. Bisher dachten wir, dass die Agenturen das Ergebnis eben anhand der öffentlichen Informationen berechnen, wenn wir ihnen keine eigens aufbereiteten Daten schicken." Insofern habe seine Uni den Aufwand für die Datenlieferung bisher als Maßnahme der Qualitätssicherung begriffen.

Gamechanger auch in Österreich?

Die Uni Graz verfolgt die neuen Entwicklungen ebenfalls mit Interesse. Sie hat als einzige große österreichische Uni – wie die Uni Utrecht – die Vereinbarung der Coalition for Advancing Research Assessment (Coara) unterschrieben. Darin verpflichten sich Hochschulen zu einer Reform der Maßstäbe für die Bewertung von Wissenschaft. "Es geht in der Coara darum, dass wir von der rein quantitativen Erbsenzählerei wegkommen", erklärt Vizerektor Joachim Reidl. Der Fokus auf Rankings sowie Publikations- und Zitationszahlen solle durch eine "gesamtheitliche" Berücksichtigung akademischer Leistungen abgelöst werden, wie Reidl sagt. Dazu gehörten etwa auch das Engagement in der Lehre und öffentliche Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Debatten.

Seine Uni treibe diese Umstellung auf qualitative Kriterien gerade intern voran. Einen Grazer Alleingang innerhalb Österreichs mit einem Ranking-Exit kann sich Reidl derzeit allerdings nicht vorstellen. Würden sich jedoch andere österreichische Uni der Coara anschließen, "dann können wir uns die Frage stellen, ob wir als Nation noch bei den Rankings mitmachen wollen. Das müsste dann eine gemeinsame Entscheidung sein." Der Vizerektor wagt zwar keine Prognose, doch die Branche sei merklich in Bewegung: "Der Utrechter Entscheid könnte ein Gamechanger sein." (Theo Anders, 15.11.2023)