Andreas Babler am Parteitag
Hand aufs Herz: Als Garant gegen "Ellbogen-Politik" stilisierte sich Babler beim roten Hochamt in Graz.
Heribert Corn

"Der Neuner muss vorne stehen": Wer Samstagfrüh im Dachgeschoss der Messehalle von Graz die Stimmung einfängt, bekommt diesen Satz immer wieder zu hören. Hoch legen die Genossen die Latte für den Mann, der die Sozialdemokratie wieder an die Spitze bringen soll. Andreas Babler ist angetreten, um sich nach der gewonnenen Kampfabstimmung gegen Hans Peter Doskozil im Juni möglichst breite Bestätigung für seinen Anlauf auf die Kanzlerschaft zu holen. Dass er die Partei weiterführen wird, steht mangels ernstzunehmendem Gegenkandidaten fest. Die Frage ist nur, mit wieviel Rückhalt.

Die Wiederwahl am Parteitag gerät somit auch zur demokratischen Reifeprüfung für die SPÖ. Werden die Doskozil-Anhänger trotz des Frusts über die eigene Niederlage mit Babler an einem Strang ziehen? Oder dürstet sie nach Revanche?

"Wir werden doch nicht dem Pferd jetzt die Hufe abschlagen", sagt ein Delegierter, der aus Kärnten angereist ist. Sicher stoße nicht jede Position des Vorsitzenden auf uneingeschränkte Gegenliebe, man denke etwa an Tempo 100 auf Autobahnen, stellt ein Oberösterreicher fest, aber jetzt sei gemeinsam ein "roter Faden" zu finden. Er rate niemandem, so dumm zu sein, eine Sabotageaktion gegen Babler anzuzetteln, meint ein Wiener: "Wollen wir im Wahljahr untergehen?"

Eine Stimme aus dem Burgenland bietet einen Kontrapunkt. Entmutigt seien die Funktionäre, sagt ein Delegierter, der nicht namentlich genannt werden will. Angesichts der antisemitischen Exzesse seit Ausbruch der Nahost-Krise habe Babler die Chance verpasst, sich beim Thema Migration klar gegen einen laschen Kurs zu positionieren - aus Angst, sich auf das Spielfeld der FPÖ zu begeben. In Doskozils Reich habe sich ein fataler Eindruck verfestigt: Mit diesem SPÖ-Chef sei keine Wahl zu gewinnen.

Die Regie am Parteitag sah naturgemäß viel Jubel vor. Doch kann die SPÖ mit Babler auch Wahlen gewinnen? Nicht jeder rote Delegierte glaubt das.
Heribert Corn

Schon Bablers Einmarsch spricht für die Version der Optimisten. Der sphärische Blues, der vor Beginn durch den Saal geschwebt war, weicht den funkigen Riffs der Red Hot Chilli Peppers ("Can't Stop"). Der Applauspegel lässt nicht auf weit verbreitete Proteststimmung schließen.

Dennoch sucht Babler zu Beginn seiner Rede die Opferrolle. "Kampagnenartig, mit voller Härte" seien die Gegner via Medien vor dem Parteitag auf die SPÖ losgegangen, behauptet er. Aber so sei das eben, wenn man klare Kante zeige und Mächtigen im Weg stehe. Es bleibt nicht das einzige Mal, dass sich Babler über "Kommentatoren und so genannte Experten" echauffiert.

Von der Arbeitszeitverkürzung bis zur Beschäftigungsgarantie, vom Plädoyer für Kinderrechte bis zum Rechtsanspruch auf einen Facharztbesuch binnen zwei Wochen: Lückenlos referiert der Schnellsprecher seine in zwölf Leitanträge gepackten Visionen zum Umbau Österreichs.

Babler beim SPÖ-Parteitag
Düstere Bilder über den heutigen Zustand der Republik: Die SPÖ müsse die Wunden heilen, die ÖVP und FPÖ aufgerissen hätten, sagte Babler.
Heribert Corn

Wer ihm dabei zuhört, könnte meinen, es sei immer noch die türkis-blaue Regierung an der Macht. Die Grünen erwähnt Babler kein einziges Mal, stattdessen stilisiert er die SPÖ zur Antithese zu einer rechtskonservativen Koalition. Lösung statt Schreien, Aufbau statt Abriss, Herz statt Ellbogen, propagiert er, wenn auch inklusive einem rhetorischem Stolperer: Nur die SPÖ könne heilen, "was ÖVP und FPÖ an Wunder, äh, Wunden gerissen haben."

Gegen Scharia und Kalifat

Zur DNA der Sozialdemokratie gehöre es überdies, Antisemitismus zu bekämpfen, sagt Babler: Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung, es gebe keine andere Position, als die Hamas als Terrororganisation einzustufen. Allerdings setze er nicht alle Palästinenser mit selbiger gleich, unschuldige Opfer gebe es auf dieser Seite ebenso. Die SPÖ dürfe sich nicht zurückdrängen lassen, wenn es um den Einsatz für eine Zweistaatenlösung gehe.

Babler beim SPÖ-Parteitag
Schnellredner in Fahrt: Für seinen energischen Auftritt erntete Andreas Babler streckenweise Standing Ovations.
Heribert Corn

Auch bei einem der umstrittensten Themen in der Partei versucht Babler, beide Seiten anzusprechen. "Wir wollen keine Leute, die für die Scharia und ein Kalifat schreien", sagt er, aber das dürfe in keinen Generalverdacht gegen Menschen ausarten, die einer bestimmten Religion anhängen. Aus einem fixen Humanismus heraus sei Schutzbedürftigen zu helfen. Denn die Flüchtenden seien genau jene, die Opfer des Islamismus seien. Damit Menschen aber nicht irregulär kommen, brauche es legale Fluchtrouten.

Etwa drei Minuten Applaus samt Standing Ovations gibt es für seine Rede, alles läuft für Babler nach Plan - bis zur Debatte über die Leitanträge. Zum ersten davon, jenem über Arbeit und Soziales, meldet sich prompt Thomas Schaden vom sozialdemokratischen Wirtschaftsverband Niederösterreich zu Wort.

Widerspruch gegen Kernprojekt

Unternehmensvertreter wie er hätten mit dem Leitantrag größere Probleme, hebt Schaden an. Forderungen wie die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, die sechste Urlaubswoche und das Nachholen von Feiertagen, wenn diese auf ein Wochenende fallen, würden kleinere Betriebe "in dieser geballten Form" überfordern: Er selbst würde dann als Unternehmer einen Mitarbeiter kündigen müssen. Froh sei er aber zumindest darüber, dass der dezidierte Ruf nach einer 32-Stunden-Woche verstummt ist.

Angenommen wurde der Antrag dennoch - allerdings bei vollständiger Enthaltung der burgenländischen Landesgruppe. Wie von Doskozil stets argumentiert, hält diese einen höheren Mindestlohn für dringlicher als eine Arbeitszeitverkürzung.

Die Auszählung der Stimmen
Die Auszählung der Stimmen wurde diesmal akribisch kontrolliert. Damit nicht wieder eine peinliche Panne passiert.
Heribert Corn

Noch ein heikles Thema für die SPÖ: Nach der Auszählungspanne bei der Kampfabstimmung im Juni, als erst fälschlicherweise Doskozil als Sieger verkündet wurde, sind die Organisatoren diesmal mit größter Akribie aber auch Nervosität bemüht, nur ja keinen Fehler zu machen. Für jede der zehn Urnenstraßen werden zwei Personen abgestellt, um die Ergebnisse zu notieren, analog wie auch digital in einer Exceltabelle. Alle Mitglieder der Wahlkommission sehen auf einem Bildschirm transparent sämtliche Eintragungen.

Für jede Urne wurde zuvor ein eigenes Protokoll angefertigt, das vom Vorsitzenden der neuen Wahlkommission und dessen Stellvertreter auf Plausibilität geprüft und dann unterschrieben wurde. Schließlich wurden alle Ergebnisse, die analogen und digitalen, miteinander verglichen. Diesmal dürfe wirklich nichts schiefgehen, heißt es in der Wahlkommission.

So weit bisher bekannt, ist das gelungen. Erleichtertes Klatschen, als gegen 18 Uhr endlich der Leiter der Wahlkommission die Bühne betritt. 88,76 Prozent von 587 abgegebenen Delegiertenstimmen hat Babler auf sich vereint, verkündet dieser. Dann ertönen bereits "Andi, Andi"-Sprechchöre. "Was für ein geiles Ergebnis. Was sind wir für eine coole Partei, nach fünf Monaten so etwas zu schaffen", ruft Babler mit tränenerstickter Stimme: "Wir sind wieder da."

Trotz einiger Unstimmigkeiten im Vorfeld zeigten sich Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Parteichef Andreas Babler am Parteitag demonstrativ verbunden.
Heribert Corn

Mit großer Mehrheit wurde auch Bablers Herzensprojekt einer Statutenreform samt Direktwahl der Vorsitzenden angenommen - trotz des Widerstandes des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig im Vorfeld. Letztlich stimmten aber nur Teile der Delegierten aus der Bundeshauptstadt dagegen.

Reicht so viel Rückendeckung, um trotz großen Vorsprungs der FPÖ in Umfragen noch einen Anlauf auf die Kanzlerschaft zu nehmen? Babler gibt sich überzeugt. "Die SPÖ ist die einzige Kraft, die Kickl verhindern und dieses Land jenseits eines Kanzlers Kickl in eine bessere Zukunft führen kann", sagt er in seiner Rede: "Gemma ausse und drahn ma des Match. Anpfiff. Los geht's." (Gerald John, Walter Müller, 11.11.2023)