Klaus Weyerstraß vom Institut für Höhere Studien legt im Gastkommentar dar, wie Europa auf den Boom chinesischer E-Autos reagieren sollte.

Autos auf einem Parkplatz
Elektroautos aus China sind oft deutlich preiswerter als vergleichbare Modelle europäischer Hersteller. Der Staat hilft dabei allerdings kräftig.
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China drängt auf den europäischen Elektroautomarkt. Laut der Elektrofahrzeugdatenbank EV-Volumes wurden im Jahr 2022 weltweit 10,5 Millionen Elektroautos verkauft. Das ist ein Anstieg von 55 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei konnte der chinesische Konzern BYD mit 1,8 Millionen Fahrzeugen, einer Steigerung von 211 Prozent, den bisherigen Marktführer Tesla (1,3 Millionen Fahrzeuge) überholen. Allerdings stellt Tesla ausschließlich rein elektrische Fahrzeuge her, während es sich bei den BYD-Fahrzeugen zu mehr als der Hälfte um Plug-in-Hybride handelt. Die deutschen Hersteller VW, BMW und Mercedes kommen zusammen auf 1,1 Millionen Elektrofahrzeuge.

Chinesische Staatshilfen

Die Elektroautos chinesischer Hersteller sind oft deutlich preiswerter als vergleichbare Modelle europäischer Produzenten. Daher hat die EU-Kommission Anfang Oktober eine Antisubventionsuntersuchung zu Importen aus China eingeleitet. Begründet wird dies mit dem Verdacht auf Dumpingpreise durch Staatsbeihilfen. Die chinesische Regierung fördert die Produktion von Elektroautos und die Nachfrage mit direkten Hilfen sowie günstigen Krediten für Hersteller, Unterstützung in den Lieferketten sowie Prämien und Steuererleichterungen für Konsumentinnen und Konsumenten. Zudem sind viele Hersteller staatseigene Unternehmen. Wie hoch die Subventionen insgesamt ausfallen, ist kaum abzuschätzen.

Die deutsche Automobilindustrie hat sich dennoch skeptisch zu der Ankündigung der Antisubventionsuntersuchung geäußert. Sie befürchtet, dass künftig Strafzölle auf Kfz-Importe aus China verhängt werden könnten, worauf die chinesische Regierung mit Gegenmaßnahmen reagieren könnte. Das würde die deutschen Hersteller und die österreichischen Zulieferer hart treffen, denn China ist der weltweit größte Automobilabsatzmarkt.

Ob mit oder ohne Staatsbeihilfen, die Expansion chinesischer Hersteller stellt eine ökonomische Herausforderung für die europäische Industrie dar. Während chinesische Elektroautohersteller im Jahr 2019 in der EU noch einen Marktanteil von weniger als ein Prozent hatten, belief sich dieser im Jahr 2022 bereits auf acht Prozent. Der Versicherungskonzern Allianz analysiert in einer Studie den Einfluss des wachsenden Marktanteils chinesischer Hersteller auf die europäische Automobilindustrie. Demnach könnten im Jahr 2030 1,5 Millionen in der EU verkaufte Elektroautos aus China kommen, was 13,5 Prozent der EU-Produktion im Jahr 2022 entspricht.

Hohe Einbußen

Sofern dies zulasten der europäischen Automobilproduktion geht und im Gleichklang auch die EU-Kfz-Exporte nach China zurückgehen, könnte dies – bei einer geschätzten durchschnittlichen Wertschöpfung von 14.200 Euro pro Auto – zu einem Wertschöpfungsverlust von 24,2 Milliarden Euro (0,15 Prozent) in der EU führen. Für Deutschland kommt die Allianz-Studie zu einem Bruttoinlandsproduktverlust von 0,35 Prozent, nur für die Slowakei und Tschechien wären die Verluste noch größer.

Hinzu kommen Einbußen von 21 Milliarden Euro, die bei den europäischen Autozulieferern wegfallen. Das würde auch Österreichs Industrie betreffen, die der deutschen, momentan noch hauptsächlich auf Verbrennungsmotoren ausgerichteten Automobilindustrie zuliefert.

Komplexitätsforscher Peter Klimek und Ökonom Klaus Friesenbichler ist zuzustimmen, dass die Lösung dieses Problems nicht in einer Abschottung des Markts mit Zöllen liegen kann (siehe "Chinas E-Autos kommen, und Europa darf nicht naiv sein", DER STANDARD, 9. 10. 2023). Was ist also zu tun?

Ein schnellerer Aufbau der Batteriefertigung in Europa muss Priorität haben. So plant die Automotive Cells Company (ACC), ein Gemeinschaftsunternehmen von Stellantis, Mercedes-Benz und Total Energies, bis 2030 in drei Fabriken in Frankreich, Deutschland und Italien jährlich eine Produktionskapazität von 120 Gigawattstunden zu erreichen. Das würde für zwei Millionen Elektroautoakkus reichen. Der Wermutstropfen: Allein Mercedes-Benz würde bei einer kompletten Umstellung auf Elektroautos bis 2030 jährlich Batterien mit einer Gesamtkapazität von 200 Gigawattstunden benötigen. Daher ist zusätzlich eine Kooperation mit dem chinesischen Weltmarktführer CATL geboten.

Gezielte Forschung

Und es gibt ein weiteres Problem: China beherrscht den Markt für seltene Erden, die für die Produktion der herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterien benötigt werden. Notwendig ist daher verstärkte Forschung an der Entwicklung von Batterien, die mit in Europa verfügbaren Rohstoffen produziert werden können. Erste Erfolge wurden hier bereits erzielt. So entwickelt ein Forschungsteam unter Leitung der ETH Zürich wasserbasierte Zink-Batterien. Zink ist in Europa reichlich vorhanden, und es besteht eine gut ausgebaute Zink-Recycling-Infrastruktur. Bis Zink-Batterien marktreif sind, müssen allerdings noch einige technische Herausforderungen überwunden werden.

Eine weitere Alternative sind Feststoffbatterien. Einige sind bereits vereinzelt in Bussen im Einsatz. Der Haken: Bei diesem Batterietyp ist eine Betriebstemperatur von 50 bis 80 Grad Celsius notwendig, was für Autos, die längere Zeit parken, nicht optimal ist. Diese Beispiele zeigen, dass die Alternativen zu herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterien mit technischen Problemen und Umweltbelastungen verbunden sind. Mindestens ebenso wichtig ist daher das Recycling bereits im Umlauf befindlicher Akkus. Auch in diesem Bereich muss die europäische Automobilindustrie investieren. (Klaus Weyerstraß, 12.11.2023)