China Welthandel Hafen
Chinas Automobilindustrie ist längst auf der Überholspur. Was setzt die Europäische Union dem entgegen?
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Muss Europa wirklich keine Angst vor chinesischen Elektroautos haben, wie es jüngst in einem STANDARD-Kommentar (27.9.) hieß? Günstige E-Autos seien eine Chance für den Klimaschutz, Strafzölle ungerechtfertigt, man wolle keinen Handelskrieg und keine Abkopplung. Angst ist kein guter Ratgeber, aber Europa darf im Umgang mit China nicht naiv sein. Die Einbettung des chinesischen Staatskapitalismus in das multilaterale, regelbasierte Handelssystem gestaltet sich als schwierig. Der internationale Wettbewerb sollte fair sein und die Unternehmen mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis identifizieren. Gerade unter Staatschef Xi Jinping wurden marktwirtschaftliche Elemente zurückgefahren.

Aus dem Markt gedrängt

Das Beispiel Magnesium verdeutlicht Chinas Praktiken. Bis in die 2000er-Jahre wurde die Produktion primär von westlichen Firmen bereitgestellt. Unterstützt durch staatliche Subventionen haben chinesische Firmen die Produktion hochgefahren und die Weltmärkte geflutet. Chinesisches Magnesium wurde unter den Produktionskosten verkauft und Mitbewerber aus dem Markt gedrängt. Seit den 2010er-Jahren dominiert Magnesium aus China den Markt, worauf umgehend die Produktion gedrosselt wurde und Preissteigerungen einsetzten. Ohne Magnesium kein verfestigtes Aluminium, ohne Aluminium keine Autos. Dies bekamen die europäischen Autobauer 2021 zu spüren. Eine chinesische Lokalregierung ließ die Magnesiumproduktion aus Energiespargründen zurückfahren und brachte die europäische Automobilproduktion ins Wanken.

Magnesium ist kein Einzelfall. Insbesondere durch Energiesubventionen greift China in die Preisgestaltung ein und verzerrt den Weltmarkt. Überkapazitäten entstehen. Diese Strategie ist bei chinesischen Unternehmen der Nichteisenmetallindustrie nachgewiesen. Die staatlich koordinierte Marktverzerrung beschränkt sich nicht nur auf Rohstoffe, sondern betrifft auch strategische Produkte. Ziel ist es, nationale Champions zu schaffen, die den Weltmarkt als Quasimonopolisten beherrschen. Dies ist Teil einer Welle industriepolitischer Initiativen, die im Programm "Made in China 2025" zusammengefasst sind. Dadurch wird der Gestaltungsspielraum der "Twin Transition", der grünen und digitalen Transformation, außerhalb Chinas beschnitten.

Die Rolle der Subventionen

Subventionen spielen in Chinas Policy-Mix eine große Rolle. Schätzungen zeigen, dass seit der Einführung des China Government Guidance Fund im Jahr 2012 die Unterstützung für regierungsnahe Unternehmen von 7,9 auf 850 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 gestiegen ist. Auch Marktabschottung ist relevant. China gewährt zwar Marktzugang, der Staatskapitalismus ermöglicht aber kaum freies unternehmerisches Handeln. Wichtig ist auch der Wissenstransfer. China ist Hightech-Exporteur und in vielen Technologien Marktführer. Dies ist nicht nur das Ergebnis marktlicher Prozesse. Westliche Technologien wurden kopiert, manchmal ohne Rücksicht auf geistiges Eigentum. Unternehmen konnten in China nur tätig werden, wenn sie Joint Ventures eingingen und ihre Technologie offenlegten. Dadurch entstand Wettbewerbsdruck auf der Kosten- wie auch auf der Technologieseite. Was sich vor 20 Jahren bei Magnesium abspielte, wiederholte sich bei Photovoltaik und Solarpaneelen. Nun ist die Autoindustrie im Fokus.

Auch die USA und die EU verfolgen industriepolitische Strategien, die den Freihandel aufweichen. Die EU weist selbst eine hohe Förderintensität auf. Auffallend lange wurden die chinesischen Praktiken nicht thematisiert, wohl um einen Bumerang-Effekt im Streitfall zu vermeiden.

"Freihandel braucht Spielregeln, die durch die hegemonialen Ansprüche Chinas zunehmend verletzt werden."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Fehlentwicklungen im Wettbewerb mit China richtigerweise angesprochen. China ist Partner und Rivale. Durch die wirtschaftliche Vernetzung sind gegenseitige Abhängigkeiten entstanden. Der Versuch einer Rückabwicklung in einem Förderwettbewerb wäre höchst ineffizient. Nicht zu reagieren genauso gefährlich für den hiesigen Standort.

Marktverzerrende Praktiken sind von der Welthandelsorganisation (WTO) eigentlich verboten. Eine Untersuchung der Europäischen Union wegen einer Verletzung des Subventionsrechts mit anschließender Verhängung von Anti-Dumping-Zöllen ist nun angebracht. Eine ordnungspolitische Lösung wäre der beste Weg, nur zeichnet sich die nicht ab. Seit 2019 ist die WTO aufgrund der Nichtbesetzung von Berufungsrichtern gelähmt, auch wenn eine Übergangslösung etabliert wurde, die sowohl die EU als auch China unterzeichnet haben. Eine Stärkung der WTO wäre wünschenswert, benötigt aber das Mitziehen der größten Handelspartner. Der Welthandel steckt damit im Gefangenendilemma.

Zu eng verflochtene Volkswirtschaften

Eine vollständige Abkopplung von China ist weder wünschenswert noch möglich, dazu sind die Volkswirtschaften zu eng verflochten. Aber Freihandel braucht Spielregeln, die durch die hegemonialen Ansprüche Chinas zunehmend verletzt werden. Es herrscht bereits ein Wettbewerb auf schiefer Ebene. Konsumentinnen und Konsumenten können zwar über niedrige Preise jubeln, europäische Produktionskapazitäten kommen aber unter Druck. Die Autoindustrie ist eine Schlüsselbranche und ein wichtiger Arbeitgeber. Zwar haben die europäischen Produzenten strategische Fehler gemacht und den Trend zu Elektroautos falsch eingeschätzt. Sie jetzt einfach durch chinesische Produzenten zu ersetzen führt jedoch in eine Sackgasse. (Peter Klimek, Klaus Friesenbichler, 9.10.2023)