Ein Obdachloser auf der Mariahilfer Straße in Wien
Obdachlose Menschen sollen nicht länger auf der Mariahilfer Straße schlafen, sondern betreut von Sozialarbeitern in eine Wohnung ziehen.
© Christian Fischer

Was lange von Experten der Wohnungslosenhilfe gefordert wurde, wird nun umgesetzt: Über 1.000 obdachlose Menschen sollen bis September 2024 eine eigene Wohnung erhalten. Damit steigt das Sozialministerium auf das Erfolgsmodell Housing First um, mit dem Finnland die Obdachlosigkeit seit 2008 halbiert hat, und nimmt dafür 6,6 Millionen Euro in die Hand.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (Bawo) wird das Projekt "Housing First Österreich – zu Hause ankommen" leiten. Statt in Notquartieren oder Übergangswohneinrichtungen unterzukommen, wird wohnungslosen Menschen direkt eine eigene Wohnung vermittelt. Sie unterschreiben den Mietvertrag und kommen selbst für die Miete auf. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter begleiten und betreuen Betroffene nach Bedarf. Krisen, Fragen zu Finanzen oder zur Bewältigung des Alltags werden in der eigenen Wohnung gelöst. Damit sollen mehr Menschen langfristig aus der Obdach- und Wohnungslosigkeit begleitet werden.

Gemeinnützige Bauvereinigungen stellen für das Projekt im kommenden Jahr 512 leistbare Wohnungen zur Verfügung. Mit den 6,6 Millionen Euro Förderung vom Sozialministerium sollen für Betroffene Finanzierungsbeiträge, Umzugskosten und Kautionen übernommen werden. "Obdach- und wohnungslose Menschen erleben eine der schlimmsten Formen von Armut und Ausgrenzung. So etwas ist in einem Land wie Österreich nicht zu akzeptieren", sagt Sozialminister Rauch.

Obdachlosigkeit abschaffen

In Österreich wird das Konzept bereits erfolgreich etwa von Vinzidach in der Steiermark und Salzburg sowie von Neunerimmo in Wien betrieben. Das Modell kommt aus den USA und hat sich mit einer niedrigen Rückfallquote bewährt. In Salzburg etwa gab es bei 100 Wohnzuweisungen in neun Jahren nur drei Delogierungen. Das entspricht einer Erfolgsquote von 97 Prozent.

Zudem gilt es als der beste Weg, Obdachlosigkeit langfristig abzuschaffen. Während in den meisten EU-Ländern die Zahl der Wohnungslosen steigt, ist sie in Finnland rückläufig. Seit der Einführung des Konzepts 2008 hat sich die Zahl der betroffenen Personen von 8.260 auf 3.686 im Jahr 2022 mehr als halbiert. Wohnen wird in Finnland als Grundrecht betrachtet, ohne Bedingungen. Bis 2027 soll dort niemand mehr ohne Wohnung sein. Auch in Deutschland soll laut Koalitionsvertrag die Obdachlosigkeit bis 2030 überwunden werden.

Ein Drittel unter 30 Jahre alt

In Österreich haben 20.000 Menschen kein Obdach. So viele, wie Finnland noch in den 1980er-Jahren hatte. 60 Prozent der Betroffenen leben in Wien. Erschreckend hoch ist in der Bundeshauptstadt der Anteil der wohnungslosen jungen Menschen: Ein Drittel der Betroffenen ist unter 30 Jahre alt, das sind 4.000 Menschen, die von der Wiener Wohnungslosenhilfe unterstützt werden. Die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches höher, berichtete der Verband der Wiener Wohnungslosenhilfe, da nur Menschen, die sich Hilfe suchen, erfasst werden können.

Am Housing-First-Projekt sind 25 Sozialorganisationen in ganz Österreich beteiligt. Das Projekt wird in sieben Bundesländern umgesetzt – nur nicht in Tirol und Vorarlberg, wo es eigene Projekte geben soll. (Stefanie Ruep, 14.11.2023)