Nach unten hin sind Grundstücke in Österreich rechtlich nicht begrenzt, sie reichen bis zum Erdkern rund 6000 Kilometer in die Tiefe. Was kurios klingt, bekommt derzeit neue Relevanz: Damit die Tiefengeothermie, also die Nutzung von heißem Wasser zur Energiegewinnung, unter Wien wie geplant erschlossen werden kann, müssen Hunderte von Menschen zustimmen. Die Bohrungen würden auch durch ihre Grundstücke verlaufen. Zusätzlich haben auch jene, durch deren Grundstücke das heiße Wasser fließt, ein Einspruchsrecht.

Das kann die Genehmigung solcher Projekte um mehrere Jahre verzögern. Vor dieser Hürde stehen auch OMV und Wien Energie, die bis zu sieben neue Tiefengeothermieanlagen planen. Sie sollen Fernwärme für 200.000 Haushalte in Wien liefern. Das ist knapp ein Viertel der Wiener Haushalte.

In fast einem Viertel der Wiener Haushalte könnte bald mit Erdwärme geheizt werden.
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Eine Reform könnte den Ausbau deutlich beschleunigen: Würde die Erdwärme, die mithilfe des Wassers an die Oberfläche gefördert wird, denselben Status zugesprochen bekommen wie Erdöl und Erdgas, könnten die Projekte deutlich schneller umgesetzt werden.

Erdöl und Erdgas sind nämlich im sogenannten Mineralrohstoffgesetz, kurz MinroG, als bundeseigene Rohstoffe definiert – sie gehören dem Staat, damit wird das Genehmigungsverfahren deutlich erleichtert. Um sie zu fördern, braucht es keine Zustimmung der Grundeigentümerinnen und -eigentümer. Außerdem werden für ihre Förderungen ganze Konzessionsgebiete vergeben – statt dass wie im Fall der Tiefengeothermie die einzelnen Projekte genehmigt werden müssen.

Langsamer Ausbau

Eine ähnliche Vereinfachung fordern Fachleute nun auch für die Tiefengeothermie. "Der bürokratische Aufwand schreckt oft davon ab, Projekte zu entwickeln", sagt Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur. Die Geothermie habe politisch bislang wenig Priorität gehabt, Genehmigungsprozesse müssten vereinfacht werden, kritisiert er. "Dabei ist sie entscheidend, damit wir fossile Energien in der Fern- und Prozesswärme möglichst schnell loswerden können."

"Wir haben im Untergrund hohes geothermales Potenzial. Das sollten wir auch nutzen", sagt auch Holger Ott von der Montanuniversität Leoben. Natürlich sei es wichtig, sehr gründlich zu prüfen, ob ein Standort für die Bohrung geeignet sei – oder es zu seismischen Aktivitäten kommen könne, die dann als Erschütterung wahrgenommen werden könnten. "Wir haben dazu sehr hohe Standards, selbst wenn nur kleine Risiken bestehen, wird ein Projekt überdacht." Die Technik sei längst nicht mehr der limitierende Faktor bei der Umsetzung der Projekte, so Ott.

Paris legt vor

In anderen europäischen Städten wird die Geothermie längst im großen Stil genutzt, allen voran in Paris. In der französischen Hauptstadt werden rund 250.000 Haushalte mit geothermischer Wärme beheizt. Und auch in München wird die Geothermie bereits stark genutzt, hier entsteht derzeit eines von Europas größten Geothermie-Kraftwerken.

Inwiefern Österreich nachziehen könnte, wollen das Finanzministerium und das Landwirtschaftsministerium – beide ÖVP – Anfang kommenden Jahres bei einem erneuten Round Table diskutieren, die Debatte läuft bereits seit vielen Monaten. Reformentwürfe wurden bisher nicht vorgelegt.

Aus dem Finanzministerium, das für das Mineralrohstoffgesetz zuständig ist, heißt es, die Möglichkeiten für Erdwärme würden gerade geprüft. Die zuständige Sektion arbeite an der Verbesserung der Rahmenbedingung für die tiefe Geothermie, so das Ministerium.

Das Landwirtschaftsministerium, bei dem wiederum das Wasserrecht angesiedelt ist, verweist auf Hürden, wenn Vereinfachungen im Genehmigungsprozess auf die "entschädigungslose Verfügung über die Ressource Wasser" abzielen würden – das Wasser wird genutzt, um Wärme an die Oberfläche zu transportieren, danach wird es wieder zurückgeleitet. Grundsätzlich stehe man der Verfahrensbeschleunigung aber offen gegenüber, so das Landwirtschaftsministerium.

Der grüne Regierungspartner fordert unterdessen vom Finanzministerium eine möglichst schnelle Novelle des Mineralrohstoffgesetzes. "Wir brauchen gesetzliche Änderungen, damit wir diesen enormen Schatz für die klimaneutrale Wärmeversorgung aus der Tiefe heben können", sagt dazu Energiesprecher Lukas Hammer. Mit den vorhandenen Förderungen für die Tiefengeothermie allein ohne gesetzliche Änderungen könne nur ein Bruchteil des Potenzials gehoben werden.

Zukunftsmodell für OMV

Die Forderung nach einer schnellen Reform kommt auch von der Wien Energie, die zusammen mit der OMV Projekte im Wiener Becken plant. Die Änderungen des Mineralrohstoffgesetzes seien dafür entscheidend. "Nur durch die Nutzung der Tiefengeothermie kann die Wärmewende gelingen und die Abhängigkeit von Erdgas reduziert werden", sagt Wien-Energie-Sprecher Alexander Hoor. Dennoch sei die Erdwärme schlechtergestellt als Erdöl und Erdgas, kritisiert er.

Die Rahmenbedingungen für die Suche und Förderung von Tiefengeothermie seien nicht eindeutig geregelt und über mehrere Gesetze verteilt, ergänzt er – das bedeute umfangreiche Genehmigungsverfahren. Dabei sei die Technologie bereits gut erprobt und angewendet, unter anderem auch in Oberösterreich und der Steiermark.

Für OMV wiederum ist die Tiefenwärme ein Zukunftsgeschäft, so hat sie es in ihre Strategie für die Dekarbonisierung geschrieben. Mit tiefen Bohrungen nach Ressourcen im Untergrund hat sie Erfahrung. Dazu hat die OMV erst im Juli für 34 Millionen Euro Anteile von 6,5 Prozent der kanadischen Eavor gekauft, welche Geothermie-Technologien entwickelt. Einsetzen will OMV die Technologien unter anderem auch in Österreich – fragt sich nur, wie lange es dauern wird, bis die Projekte starten. (Alicia Prager, 24.11.2023)