Was tun, wenn man mit einer Regierung unzufrieden ist, mit sachlicher Kritik an ihr ein knappes Jahr vor der Nationalratswahl aber vor allem die eigene Partei ins Mark treffen würde? Um sich nicht dem Vorwurf parteischädigenden Verhaltens auszusetzen, aber dennoch deutlich zu machen, Karl Nehammer und seine Truppe mögen sich am Riemen reißen, haben zwei Politpensionisten der Volkspartei diese Woche zu einem Schlag ausgeholt, dem die Verzweiflung schon deshalb anzumerken war, weil er in Buchform erfolgte. Altbundeskanzler Wolfgang Schüssel versammelte 93 Ideengeber in dem Buch Ideen, die geh’n, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, die die Aktiven seiner Partei erzeugen. Das vermeldete Die Presse amMittwoch.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
Warb kürzlich wieder für das europäische Luftabwehrsystem Sky Shield, an dem sich Österreich beteiligt: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
APA/ROLAND SCHLAGER

Am selben Tag konnte die Kronen Zeitung von Altlandeshauptmann Erwin Pröll berichten, er habe als Herausgeber des Werkes Vertrauensfrage 17 Gastautoren (nicht gegendert) eingeladen, sich Gedanken über die von seiner Partei verursachte Vertrauenskrise zu machen. Darüber hinaus aber auch über dystopische Weltszenarien und multiple Krisen, daher die Anwesenheit des Krone-Herausgebers Christoph Dichand und Diözesanbischofs Alois Schwarz bei der Präsentation.

Was der Bundeskanzler mit den beiden Schmökern anfangen kann, wird man bald sehen oder auch nicht. Er ist ja eher ein Mann des Wortes, wie er am Nationalfeiertag bewiesen hat, als er mit der schon biblisch zu nennenden Macht seiner Rede achtzig Wehrmänner in eine Kreislaufkrise palaverte. Nicht ohne die rhetorische Mithilfe der Verteidigungsministerin. Die schwarzen Hells Angels, die sich mit Langstreckenraketen auf den Sky Shield heben, um im kommenden Wahlkampf als jene aufzutreten, die den Steuerzahlern einen Meilenstein für die österreichische Sicherheit an den Hals hängen – ob sich das als eine der "Ideen, die geh’n" herausstellt, wird das Wahlergebnis zeigen.

Verteilungsproblem

Die militärischen Ideen der Aufrüstungsministerin und des Bundeskanzlers dürften bei den gesammelten 110 Reformideengebern, die Schüssel und Pröll zur Rettung der Volkspartei mobilisierten, nicht zu den vorrangigen gehören. Anders sieht es da mit der Idee einer Erbschaftssteuer aus, von der ein Beiträger, Marc Elsberg, in Schüssels Sammelwerk meinte, man dürfe bei ihrer Erwähnung nicht sofort in Schnappatmung verfallen und über "Kommunismus" und die "Bestrafung der Fleißigen und Anständigen" schimpfen. Eine nähere Betrachtung zeige klar, dass das Teilen von Wohlstand langfristig dessen Wachstum optimiere.

Eine derartige Betrachtungsweise des Verteilungsproblems zeigt, wie das Gift des Marxismus von Traiskirchen aus sogar in aktuelle Ideensammlungen zu politischen Reformen einsickert. Es ist wie verhext, manche Ideen, die geh’n sollen, wollen einfach nicht gehen, sondern bleiben und tauchen plötzlich dort auf, wo sie den Schnappatmern der Leistungsideologie den Atem rauben.

Die von Schüssel und Pröll gewählte Form des Einsammelns von Ideen ist nicht neu und die Gefahr nicht groß, dass sie von denen, die sie aufwecken sollen, auch übernommen werden. Das Risiko, jemand könnte gar eine Vermögenssteuer fordern, lässt sich durch die Auswahl der Autoren begrenzen. Immer lobenswert ist das Bekenntnis zum Buch. (Günter Traxler, 16.11.2023)