Nach einem holprigen Start den Blick unverwandt auf den Domplatz in Salzburg 2024 gerichtet:
Nach einem holprigen Start den Blick unverwandt auf den Domplatz in Salzburg 2024 gerichtet: "Buhlschaft" Deleila Piasko und "Jedermann"-Titelheld Philipp Hochmair.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Die selbstgestellte Frage, ob die hastige Ansetzung einer neuen Jedermann-Produktion 2024 "rund" verlaufen sei, wollte und konnte Markus Hinterhäuser nicht eindeutig beantworten. Der Intendant der Salzburger Festspiele war mit seinem Leitungsteam nach Wien geeilt. Hoch über dem Leopold-Museum wurde am Freitag das (mehrenteils offene) Geheimnis gelüftet: Wer verdient es – und in welcher attraktiven Sterbebegleitung –, als "Reicher Mann" auf dem Salzburger Domplatz pflichtgemäß entsühnt sein Leben auszuhauchen?

Philipp Hochmair gibt, wie berichtet, ab 2024 die Titelrolle des Jedermann. Sein Vertrag läuft vorderhand zwei Jahre. Als Buhlschaft steht ihm Deleila Piasko zur Seite. Die gebürtige Schweizerin gehörte von 2019 bis 2022 dem Burgtheater-Ensemble an. In der Rolle der antifaschistischen Kämpferin Lisa Fittko ist sie in der Netflix-Serie Transatlantic zu sehen, zuletzt wirkte sie in der TV-Serie Der Schatten auf ZDF neo mit.

Wahrer Verschleiß

Das eigentliche Herzstück der Neuunternehmung bildet der kanadische Regisseur Robert Carsen. Mit ihm, der im Opernfach reichlich Festspielerfahrung mitbringt, habe Hinterhäuser die eingehendsten Gespräche geführt. Vielleicht, so der Intendant, sei die zuletzt mehrfach neu aufgesetzte Jedermann-Inszenierung Michael Sturmingers – nach Verschleiß von nicht weniger als drei Jedermännern und fünf Buhlschaften in den vergangenen sieben Jahren – auch einfach "an einem Ende angekommen". Einiges sei "nicht ganz rund" gelaufen, sagte Hinterhäuser. Wenngleich auch nicht so "unrund", wie manche es hätten wahrhaben wollen.

Der Vorteil der prominenten Neueinsteiger: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Sie empfinden reihum eine "Riesenfreude" (Carsen). Sie vermögen zur Stunde "ihre Freude" noch nicht "auszudrücken" (Hochmair, ohne Hemd erschienen), oder ihnen kommt "die große Ehre" vorderhand noch "surreal" (Piasko, im Kleid) vor. Die Neo-Buhlschaft gab zudem bekannt, an ihre Rolle "frei und unvoreingenommen" herangehen zu wollen.

Video: "Jedermann": Carsen Regie, Hochmair Jedermann, Piasko Buhlschaft.
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Spürbar wurde im klinisch weißen Ambiente der MQ-Libelle über dem Leopold-Museum ein Geist der Rückbesinnung. Schauspielchefin Marina Davydova kommt der Hofmannsthal’sche Jedermann wie das Libretto zu einer Oper vor, die noch niemand komponiert hat. Carsen wiederum, der eine profunde Schauspielausbildung besitzt, zeigt sich berührt über die Wichtigkeit, die dem Spiel vom Sterben des reichen Mannes bei uns im Alpenvorland beigemessen wird. Einig zeigten sich alle Verantwortlichen darin, dass dem Jedermann, den Knittelversen zum Trotz, neue Nuancen abgelauscht werden sollen. Davydova hofft auf eine Eingliederung von Stück und Stoff ins Gegenwartstheater: eine vorsichtige Distanzierung von den allgegenwärtigen Ansprüchen der Tourismusindustrie.

Carsen beteuerte sehr sympathisch seine Nähe zur Kunst Hofmannsthals: An den Fingern zählte er alle fünf Strauss/Hofmannsthal-Opern her, die er schon inszeniert hat, darunter den Rosenkavalier 2004 in Salzburg. Nach dreimaliger Lektüre sei ihm das Stück nicht restlos klar gewesen. Aber mit solchen Erfahrungen steht Carsen bestimmt nicht allein da.

Kein "Hire and Fire"

Die abrupte Absetzung der letzten Jedermann-Inszenierung wird Nachspiele haben. Die Auflösung der vereinbarten oder schon abgeschlossenen Verträge erfolge nach Maßgabe jeder einzelnen Verabredung: "Wir wollen uns von unseren Verpflichtungen nicht freimachen", so Hinterhäuser unisono mit dem kaufmännischen Leiter Lukas Crepaz. Kein Betroffener solle sich im Nachhinein von den Festspielen "unkorrekt behandelt fühlen". Hinterhäuser: "Wir sind kein Hire-and-Fire-Unternehmen, definitiv nicht!"

Angeheuert wurde das neue Ensemble vielfach auf Vorschlag der Verantwortlichen: Carsen habe die ihm genehmen Mitwirkenden ausgewählt. Luis F. Carvalho wird die Ausstattung schaffen. Aus dem Ensemble sticht Christoph Luser hervor, der den "Guten Gesellen" und den Teufel auf sich vereinigt. Andrea Jonasson gibt Jedermanns Mutter, Kathleen Morgeneyer die "Werke" und den armen Nachbarn. Kristof van Boven darf als Mammon aus der Goldschatzkiste steigen.

Doch auch an Kontinuität ist man interessiert. Die alte "Tischgesellschaft" soll 2024 wiederum ihre Tafel aufschlagen. Alle anderen Verträge haben Spielraum. Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen. Für Hochmair wird damit ein Ablebenstraum wahr. Oder, wie der Einspringer von 2018 versichert: "Die Erfahrung wird mich inspirieren und beflügeln!" (Ronald Pohl, 17.11.2023)