Nur ein bisserl die Augen ausrasten, wie die Oma es genannt hatte, wenn sie ein kurzes Napserl machte. Genau das wollte ich, nach der Abfahrt des neuen Nightjets in Innsbruck. Es war kurz nach 22 Uhr, und gegen Mitternacht sollten wir in Bregenz sein.

Nightjet im Bahnhof
Der Nightjet der neuen Generation, vor dem Beginn seiner Premierenfahrt.
Marek Knopp

Im Ohr hatte ich noch die Blasmusikkapelle, die gerade noch am Bahnsteig aufspielte. So begrüßt man in Tirol einen Premierenzug. Klar waren wieder die wichtigsten Politiker da. Ein Foto mit einem neuen, modernen Zug ist dieser Tage fast so gut wie ein Bild mit rotzigem Kind oder sabberndem Hund. Und dann waren da, im ziemlich kalten Innsbruck, am späten Abend, zahlreiche Menschen, die endlich den neuen Zug sehen wollten. Für einige von ihnen hatte die ÖBB schon vorab Karten für einen Rundgang im Nightjet vergeben. Nicht alle, die es wollten, kamen zum Zug.

Blasmusikkapelle am Bahnhof.
In Innsbruck wurde der neue Nightjet mit viel Trara empfangen.
Guido Gluschitsch

Oder anders, nicht alle, die zum Zug kamen, konnten auch in den Zug und durchspazieren. In St. Pölten erzählten zwei Männer, dass sie mit dem Zug vor dem Nightjet aus Wien angereist seien, weil sie am Hauptbahnhof keine Besichtigungstickets mehr erhalten haben. Am Abend würden sie wieder zurückfahren. Bis dann sind wir schon auf dem Weg nach Innsbruck, vermutlich irgendwo südlich von Salzburg. Denn die Premierenfahrt des neuen Nightjets durch ganz Österreich – das Burgenland ausgenommen, weil man dort ja die Gleise inzwischen unter Radwegen suchen muss – ging nicht übers Deutsche Eck.

33 neue Nightjets

Nicht weil man die Deutsche Bahn mit dem neuen Zug noch weiter demütigen wollte. Wäre die Deutsche Bahn nicht aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen, wäre es für die ÖBB heute nicht so eine Erfolgsgeschichte. Die Reise ging nicht über Deutschland, weil der Zug so neu ist, dass er fürs Nachbarland noch keine Genehmigung hat. Es kam zu Verzögerungen bei der Auslieferung der Nightjets. Pandemie und Lieferkettenprobleme sind die am schnellsten genannten Gründe dafür. Aber jetzt geht es eben los.

Anzeigetafel am Bahnsteig auf der steht:
Weltpremiere steht auch nicht auf den Anzeigentafeln der ÖBB.
Marek Knopp

Der erste von am Ende 33 Nightjets ist am späten Montagvormittag in Wien gestartet und soll am nächsten Tag um 15.55 Uhr wieder in Wien ankommen. So denn alles läuft.

Für die feierlichen Zwischenstopps ist genug Zeit eingeplant. Die wichtigsten Politiker werden sich mit den wichtigsten Bahnvertretern im Sitzwagen auf ein Plauscherl zusammhocken. Also die ganz Wichtigsten sind in Innsbruck schon länger nicht mehr dabei. Umweltschutzministerin Leonore Gewessler konnte nur bis St. Pölten mitfahren, ÖBB-Vorstandsvorsitzender Andreas Matthä bis Salzburg. Beide sprechen beim neuen Nightjet von einem "Quantensprung".

Mini Cabins

Durch die Bank begeistert sind auch die Menschen, die den Zug in den Bahnhöfen besichtigen. Nur bei den neuen Mini Cabins sind sich nicht alle sicher, ob sie in denen eine lange Reise verbringen möchten.

In der Mini Cabin sitzt der Autor der Geschichte.
So eng die Mini Cabin von außen auch wirkt: Drinnen ist es sehr gemütlich.
Marek Knopp

Die Kojen, eigentlich abschließbare Schlafplätze, die für mehr Privatsphäre sorgen sollen, wirken von außen recht klein und eng. Hat man es aber erst einmal hineingeschafft, ist man erstaunt, wie gemütlich und geräumig es drinnen ist. Das Gepäck und die Schuhe finden ihren Platz in verschließbaren Fächern zwischen den Kojenreihen.

Schuhe mit Comicfiguren drauf werden verstaut
Zwischen den Mini Cabins ist Stauraum für Schuhe und Gepäck.
Marek Knopp

Bei den Liegewagen – und erst recht bei den Schlafwagen – ist die Meinung eindeutig. Ja, so will man Zug fahren. Auch wenn einem etwas beleibteren Herren beim Anblick des Nassraumes eines Schlafwagenabteils der Spruch auskommt: "Umfallen kann ich da drinnen nicht, sollte ich es schaffen, überhaupt reinzukommen."

Zwei Frauen in der Mini Cabin beim Arbeiten.
In der Mini Cabin kann man gemütlich reisen oder wie das Social-Media-Team der ÖBB zu zweit arbeiten.
Guido Gluschitsch

Zwei Schlafwagen, zwei Liegewagen mit den Mini Cabins und zwei Sitzwagen gehören zu jedem Nightjet – wobei ein Sitzwagen ein Multifunktionswagen mit einem Abteil für zwei Personen im Rollstuhl und einer mit dem Rollstuhl befahrbaren Toilette, Platz für sechs Räder und einem elektronischen NFC-Gepäcksicherungsplatz ist. Wireless Charging gibt es quasi überall. 254 Plätze bietet der neue Nightjet. Bis zu 230 km/h schnell kann er fahren. Gesamtinvestition: 27 Millionen Euro.

Kein Schlaf weit und breit

Das alles geht mir durch den Kopf. Und dass die Besucher das Beste am neuen Nightjet gar nicht erahnen können: wie ruhig und komfortabel die Fahrt in diesem Zug ist. Aber meine Augen ausruhen geht nicht. An Schlaf ist nicht zu denken. Keine Ahnung, warum.

Zwei Männer vor einer Lok
Christoph Scheriau und Michael Hinterwallner waren die Lokführer auf der Premierenfahrt des neuen Nightjets.
Guido Gluschitsch

Den beiden Lokführern Michael Hinterwallner und Christoph Scheriau geht es gerade nicht viel anders. Sie haben Pause, suchen in je einer Mini Cabin Ruhe, bevor sie gegen fünf Uhr früh die beiden anderen Lokführer, die uns gerade nach Bregenz bringen, ablösen. Es ist einfach zu viel Getümmel in diesem Premierenzug. Journalisten, Blogger, Influencer, die diese Reise begleiten, wurrln die ganze Zeit durch die Waggons, senden live aus einem Abteil, filmen jedes kleine Detail. Die ÖBB selbst hat ein eigenes Social-Media-Team im Einsatz, das beinahe rund um die Uhr mehrere Kanäle mit den neuesten Infos füllt.

Auch vor meiner Kabine ist auf einmal ein Wirbel. Irgendwer versucht zu mir reinzukommen, schafft es aber nicht – ich habe zugesperrt. Und dann höre ich das Signal, das die Waggontüre macht, kurz bevor sie zugeht. Ich blicke aus dem Fenster. Bregenz.

Ein Blick in den Schlafwagen des neuen Nightjet.
Ein Blick in den Schlafwagen des neuen Nightjet.
ÖBB

Ich kann es kaum fassen, aber ich habe jetzt nicht wie gedacht zehn Minuten mit dem Einschlafen gekämpft, sondern zwei Stunden gemütlich durchgeschlafen, ohne es zu merken. Ich drehe mich beruhigt um. Bregenz sieht mich heute Nacht nicht. Ich werde erst eine Stunde, bevor wir in Klagenfurt sind, wieder die Augen aufmachen. Michael und Christoph, die zur Elite der heimischen Lokführer gehören, werden bis dahin wieder den Zug übernommen haben. Sie werden noch einigen glücklichen Trainspottern entlang der Strecke winken, bevor wir fast auf die Sekunde genau in Wien einfahren. (Guido Gluschitsch, 18.11.2023)