Beide Seiten sind inzwischen hörbar entnervt. Die bisherigen Angebote der Arbeitgeber nennt Reinhold Binder, Chefverhandler der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, "respektlos und verächtlich". Sein Gegenüber, Arbeitgeberobmann Christian Knill, ließ seinem Frust so freien Lauf: Die Gewerkschaft wolle einfach nicht verstehen, dass die Industrie die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate nicht in Form von entsprechenden Lohnsteigerungen abdecken könne. Mehr, als das sechs Wochen zu erklären, könnten die Arbeitgeber auch nicht tun.

Und so herrscht Patt in den Verhandlungen. Die Gewerkschaft fordert 11,6 Prozent mehr Lohn. Sechs Prozent und dazu eine Einmalzahlung von 1.200 Euro bieten die Arbeitgeber. Nach dem Streik in der vergangenen Woche wollen beide Seiten am Montag noch einmal eine Einigung suchen. Grund genug, einen Blick darauf zu werfen, was die ökonomischen Rahmenbedingungen in der Branche sind. Keine Frage: Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern tobt ein Verteilungskampf, da spielen Fakten in den Verhandlungen am Ende des Tages eher eine untergeordnete Rolle. Für Beobachter sind sie dennoch relevant.

Realistisch ist wohl, in der Diskussion nicht über die Forderung von 11,6 Prozent zu sprechen, sondern eher bei der Unterkante dessen anzusetzen, was aus Sicht der Gewerkschaft als Kompromiss möglich scheint. Das wäre die Abdeckung der Inflation der vergangenen zwölf Monate, was ein Lohnplus von 9,6 Prozent ergeben würde. Laut der alten Faustregel, wonach bei Lohnverhandlungen die Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate plus die gesamtwirtschaftliche Produktivität abzugelten ist, würde etwa das herauskommen. Das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum lag über die vergangenen Jahre bei etwa null.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, den Zustand der Industrie zu betrachten: Gewinn, Produktivität, Beschäftigung, Arbeitslosenzahlen. Jede einzelne zeigt das Bild einer robusten Branche.

Ein lange anhaltender Boom

Der Rückblick ist schnell abgehandelt. Österreichs Industrie ist über die vergangenen zwanzig Jahre effizienter, produktiver und wettbewerbsfähiger geworden. Ökonomen der Bank Austria haben vor einigen Monaten einen Branchenüberblick herausgebracht, dessen Aussagen laut den Autoren auch heure unverändert gelten. Ein paar Stichworte daraus: Nicht nur während der Pandemie, sondern in den vergangenen 20 Jahren insgesamt wuchs Österreichs Industrieproduktion stärker als der Euroraum-Durchschnitt. Dabei haben alle wichtigen Branchen ihren Output mehr erhöht als die übrigen Euroländer im Schnitt, und die Entwicklung war auch besser als in Deutschland. Hauptverantwortlich dafür war der Maschinenbau. Aber "auch Metallerzeugung, die Metallverarbeitung, die Elektroindustrie und die Kfz-Herstellung trugen überdurchschnittlich dazu bei". All das sind die Branchen, die aktuell den Kollektivvertrag verhandeln. Die Wertschöpfung in der Industrie liegt heute um 60 Prozent über dem Wert des Jahres 2000.

Das ist einer der Gründe dafür, warum die Industrie deutlich höhere Löhne als andere Branchen zahlt. In der metalltechnischen Industrie liegen monatliche Bruttolöhne im Schnitt bei 3.600 Euro laut den Arbeitgebern. Auch für ungelernte Arbeiter lässt sich in der Industrie gut verdienen, wer es in der Branche in die Produktion schafft, darf im Regelfall mit einem guten Lebensstandard rechnen.

Bemerkenswertes zeigt eine aktuelle Auswertung des Forschungsinstituts Wifo: Die Lohnstückkosten entwickelten sich in Österreich bis einschließlich 2022 etwas vorteilhafter als im Euroraum. Unternehmen produzieren die gleiche Menge an Gütern heute also tendenziell sogar mit etwas geringeren Personalkosten. Sie sind produktiver geworden.

Gut positioniert im Wettbewerb. Die blaue Kurve zeigt, dass die Lohnstückkosten tendenziell unter jenen der Mitbewerber liegen
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Warum die heimischen Betriebe sich produktiver entwickeln als der Mitbewerb, ist laut dem Chefökonomen der Bank Austria, Stefan Bruckbauer, nicht ganz klar. Eine Erklärung: Die Unternehmen haben "ineffiziente Teile" der Produktion ausgelagert, beziehen einen Teil ihrer Vorleistungen günstiger aus Osteuropa. So oder so: Lange lief es sehr gut.

Im vergangenen Jahr allerdings ist die Industrie nicht mehr schneller gewachsen als der Rest im Euroraum, Bruckbauer spricht von einer "Seitwärtsbewegung". Verantwortlich dafür war die Abkühlung der Konjunktur, allen voran in Europa. Die Industrieproduktion, also der Wert der hergestellten Maschinen und Autoteile, wird heuer sogar etwas rückläufig sein. 2021 stieg der Produktionswert nach dem Rückgang in der Pandemie noch um satte 12,7 Prozent an. 2022 folgte noch einmal ein Plus. Heuer soll um 2,7 Prozent weniger produziert werden.

Entwicklung von Produktion und Beschäftigung.
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Das bedeutet allerdings nicht, dass die Industrie aktuell nicht mehr erzeugt als im vergangenen Jahr. Ein Betrieb kauft Rohstoffe und Materialien ein, fertigt damit sein Produkt und verkauft es wieder. Auf Produktionszahlen zu blicken kann etwas verzerren, weil hier viele Preise für zugekaufte Leistungen hineinspielen. Das Forschungsinstitut Wifo hat sich daher in einem Paper die Bruttowertschöpfung in der Industrie angesehen. Dabei werden Vorleistungen herausgerechnet. So wird etwa abgezogen, was Unternehmen für den Einkauf von Energie und Rohstoffen bezahlt haben. Übrig bleibt eine Restgröße, die zeigt, welchen Mehrwert die Branche selbst generiert hat. Hier zeigt sich sehr wohl ein Plus. Die Bruttowertschöpfung in der Industrie lag im Halbjahr 2023 um 3,3 Prozent über dem Vorjahreswert, wobei es schon in den Jahren davor einen Anstieg gab.

Voest: Gewinn geht zurück, bleibt aber ordentlich

Was sagt das nun über die Gewinne aus? Hier wird es kniffliger, weil unabhängige Auswertungen fehlen. Die Gewerkschaft hat die Entwicklung bei 135 Kapitalgesellschaften in der Metallindustrie ausgewertet. Auf Basis der Jahresabschlüsse für 2022, die im ersten Halbjahr 2023 gelegt wurden, sei keine Gewinnzurückhaltung feststellbar. Gegenüber dem Vorjahr steigen die Ausschüttungen und Dividenden nominell um sieben Prozent. Das entspricht einer Ausschüttungsquote von 85 Prozent aller Gewinne. Der Ökonom Benjamin Bittschi vom Wifo sagt, dass diese Zahlen der Gewerkschaft plausibel klingen. Aber: Kleinere Unternehmen seien hier nicht berücksichtigt, was eine Verzerrung bedeutet, weil große Player im Regelfall auch profitabler sind.

Die börsennotierten Metallkonzerne, deren Aktien in Österreich gehandelt werden (Amag, Andritz, Palfinger, Pierer, RHI Magnesita, Rosenbauer, SBO und Voestalpine), konnten für das Geschäftsjahr 2022 ihre Konzernumsätze real erhöhen. Einzige Ausnahme: Rosenbauer.

Die Gewerkschaft argumentiert, hier seien üppige Gewinne verteilt worden.

Streik der Mitarbeiter der Firma Engel Austria in der vergangenen Woche.
APA/SIMON BRANDSTÄTTER

Nun ist unbestritten, dass es im laufenden Geschäftsjahr schlechter läuft. Aber einige Betriebe schreiben immer noch große Gewinne. Beispiel Voest, der immerhin mit Abstand größte Arbeitgeber in der Branche. Mit seinen 51.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern legte der Konzern vor kurzem seine Halbjahreszahlen vor. Wie das arbeitgebernahe "Industriemagazin" berichtete, hat die Voest bei der Präsentation der Zahlen auch angegeben, dass die jährlichen Personalkosten in Österreich bei zwei Milliarden Euro liegen. Wenn die Löhne wie von der Gewerkschaft gefordert um 11,6 Prozent steigen, würde das den Konzern laut Voest-CEO Herbert Eibensteiner rund 250 Millionen Euro kosten, zitiert ihn das "Industriemagazin". Viel Geld. Um es in Relation zu setzen: Die Voest erwartet aktuell für das Geschäftsjahr 2023/2024 einen rückläufigen Gewinn, der aber bei stolzen 1,7 Milliarden Euro liegen soll.

Doch bloß weil die breit aufgestellte Voest satte Gewinne schreibt, trifft das natürlich nicht auf die gesamte Branche zu. Das sei auch eine der Schwierigkeiten bei den Lohnverhandlungen: Dass die Vereinbarung am Ende für alle passen muss, sagt Ökonom Bittschi. Laut Zahlen der Industriellenvereinigung sind die Gewinne in der metalltechnischen Industrie insgesamt rückläufig, "jedes dritte Unternehmen rechnet heuer mit einem negativen Ergebnis", heißt es.

Arbeitslosigkeit in der Industrie bleibt niedrig

Diese Zahlen wären dann ein Alarmzeichen aus Sicht der Gewerkschaft, wenn eine große Pleitewelle mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit drohen würde. Bisher ist davon nichts zu spüren. Die Arbeitslosenquote im produzierenden Gewerbe ist niedrig.

Keine Krise in Sicht.
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Die Zahl der Pleiten im Bereich der Metallerzeugung soll heuer laut dem Kreditschutzverband von 1870 etwas steigen. Allerdings zeigen die Zahlen zu den davon betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dass es sich dabei vor allem um kleine Unternehmen handeln dürfte, die aus dem Markt ausscheiden. Im Schnitt haben die betroffenen Betriebe weniger als zehn Mitarbeiter in der Metallerzeugung. Weil die Arbeitslosigkeit insgesamt niedrig bleibt, ist davon auszugehen, dass Unternehmen, die tatsächlich nicht weiterbestehen können, von anderen Firmen übernommen werden oder aber zumindest die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer woanders unterkommen. Ein solcher "Strukturwandel" sei nichts Schlechtes, sagt auch Benjamin Bittschi vom Wifo. Eine Einschränkung macht er: Wenn Unternehmen auch wegen hoher Energiepreise aus dem Markt gedrängt werden, denen es ansonsten gutgeht, sei das ein volkswirtschaftliches Problem. Im großen Stil deutet sich das aber nicht an.

Pleiten und betroffene Arbeitslose mit erwarteter Hochrechnung des KSV für 2023.
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Was heißt das nun für die Lohnrunde und die Abgeltung der Inflation für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Die Industrie ist gut aufgestellt und hat sich in den vergangenen Jahren im Wettbewerb stark gezeigt. Die steigende Produktivität und eine etwas bessere Entwicklung bei Lohnstückkosten deuten darauf hin, dass die Wettbewerbsfähigkeit selbst dann intakt bleiben wird, wenn die Löhne heuer etwas stärker zulegen als im übrigen Euroraum.

Dazu kommt, dass die Energiekosten in Österreich wieder etwas rückläufig sind, was laut Statistik Austria dazu beigetragen hat, dass die Erzeugerpreise, also die Preise für Industriegüter, aktuell unter dem Vorjahreswert liegen. In Deutschland war der Rückgang noch stärker, dort war aber der Anstieg bei den Erzeugerpreisen im Vorjahr noch höher gewesen. Für die Produktionskosten spielen nicht nur Löhne, sondern auch Energiekosten eine große Rolle.

Bei Gewinnen deutet sich die beschriebene Kluft zwischen großen und kleinen Unternehmen an. Für Erstere dürfte ein sattes Lohnplus verkraftbar sein, auch wenn Gewinne im Vergleich zum Vorjahr so wie bei der Voest rückläufig sind, gibt es genug zu verteilen. Der Arbeitsmarkt bleibt robust. Bei kleinen Betrieben, die unter schwächeren Auftragseingängen leiden, wäre eine Kompromissformel, neben Lohnsteigerungen auf (temporäre) Arbeitszeitverkürzung zu setzen. (András Szigetvari, 19.11.2023)