Collage Oligarchen
Der zyprische Präsident, Nikos Christodoulides, will die Glaubwürdigkeit Zyperns wiederherstellen: "Alles, was nun ans Licht gekommen ist, wird untersucht werden."
Collage: DER STANDARD / Lukas Friesenbichler, Fotos: AP, Elias Holzknecht, Imago (3), Reuers, Getty Images, APA (3)

So weit im Südosten wie Zypern liegt kein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union: Und obwohl das Land seit fast zwanzig Jahren Mitglied des Staatenbunds ist und man dort auch in Euro zahlt, bleibt es doch zwischen politischem Westen und Osten zerrissen. Das zeigen eindrucksvoll die Recherchen zu "Cyprus Confidential", in deren Rahmen mehr als 3,6 Millionen Dokumente von sechs zyprischen Finanzdienstleistern ausgewertet wurden.

E-Mails, interne Wirtschaftsprüfungen, Verträge und andere Vereinbarungen legen offen, wie russische Oligarchen über Zypern ihre Vermögenswerte verschleiern und dubiose Geschäfte betreiben. Mehr als 270 Journalistinnen und Journalisten von 69 Medienpartnern recherchierten zu dem Datenleck. Koordiniert und angestoßen wurde das Projekt von STANDARD-Partner Paper Trail Media und dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Zypern will sich untersuchen

Der zyprische Präsident Nikos Christodoulides zeigte sich offiziell zerknirscht. "Alles, was nun ans Licht gekommen ist, wird untersucht werden", kündigte er bereits am Dienstag, dem ersten Tag der Enthüllungen, an. Der Ruf und die Glaubwürdigkeit Zyperns stünden auf dem Spiel, sagte Christodoulides. Die EU hatte bereits zuvor ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Inselstaat eingeleitet, es geht um verkaufte Staatsbürgerschaften.

"Wir begrüßen, dass bei der Umsetzung und Vollziehung der EU-Sanktionen zuletzt die Bekämpfung von Sanktionsumgehung immer mehr in den Fokus gerückt ist. Es liegt in der Verantwortung der Europäischen Kommission, die Umsetzung und Vollziehung von Unionsrecht in den Mitgliedsstaaten zu überwachen und gegebenenfalls gegen Verstöße vorzugehen", kommentierte das österreichische Außenministerium die Enthüllungen auf Anfrage des STANDARD.

Deutlich offensiver zeigten sich die europäischen Grünen. Gwendoline Delbos-Corfield, EU-Abgeordnete, sprach davon, dass "nur ein schwaches Glied in der Kette den Kampf gegen Korruption, Geldwäsche und Oligarchen, die ihr Vermögen in der EU verstecken, untergraben kann". Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament forderte eine Plenarsitzung zu den Enthüllungen und eine Untersuchung der Rolle des Beratungskonzerns PwC, dessen Mitarbeiter gemäß den "Cyprus Confidential"-Recherchen in mindestens einem Fall zur Sanktionsumgehung beigetragen haben könnten.

Direkte Konsequenzen hatten die Enthüllungen in Deutschland: Der Spiegel, das ZDF und DER STANDARD enthüllten gemeinsam mit ihrem Partner, dem Investigativ-Start-up Paper Trail Media, dass der Publizist und Filmemacher Hubert Seipel, der sich im vergangenen Jahrzehnt als Russland-Experte inszeniert hat, mindestens 600.000 Euro aus dem Umfeld des Kreml erhalten hat. Seipel hat für die ARD im Jahr 2014 ein exklusives Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geführt; zu diesem Zeitpunkt bekam er laut den Dokumenten bereits Geld vom Olig­archen Alexej Mordaschow. Dieses "Sponsoring" durch den mittlerweile sanktionierten Putin-Vertrauten erfolgte demnach für zwei Bücher, die beim renommierten Verlag Hoffmann & Campe erschienen sind. Dieser stoppte inzwischen den Verkauf von Seipels Büchern, der NDR – der die ARD-Filme produziert hat – kündigte die Prüfung rechtlicher Schritte an und setzte eine Untersuchungskommission ein. Seipel räumte Zahlungen für seine Bücher ein, betonte aber seine journalistische Unabhängigkeit.

Eine Seevilla für die Tochter

Auch in die Immobilienbranche floss viel Geld aus Zypern. Recherchen des STANDARD zeigten, wie Luxuswohnungen in Wien mittels zyprischer Firmen gekauft wurden – Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper hat dazu eine parlamentarische Anfrage eingebracht.

Außerdem konnten DER STANDARD und der ORF, die beiden österreichischen Mitglieder der "Cyprus Confidential"-Recherche, neue Details zum Kauf einer Villa am Fuschlsee präsentieren. Offiziell ist sie im Jahr 2007 von einer Vertrauten von Oligarch Abramowitsch gekauft und 2017 dann dessen Tochter Anna geschenkt worden. Bislang geheime Unterlagen zeigen, dass die Vertraute als Strohfrau agiert und kein eigenes Vermögen investiert hat – der Kaufbetrag kam als Darlehen von einer Abramowitsch-Briefkastenfirma auf den Britischen Jungferninseln.

Die Grünen fordern nun die Rückabwicklung des Verkaufs. Die Bestimmungen des Salzburger Grundverkehrsgesetzes seien bewusst umgangen worden, sagt der Raumordnungssprecher Simon Heilig-Hofbauer.

Schwarze Kassen beim FC Chelsea

In den Dokumenten wird auch ersichtlich, wie viel Vertrauen der seit 2022 sanktionierte Oligarch einem Tiroler schenkte, der in den 1990er-Jahren als sein Koch engagiert worden war: Der Mann war in zwei Trusts als sogenannter Protektor eingesetzt worden und kümmert sich um Abramowitschs Immobilien. Immer wieder zu entdecken war der österreichische Koch auch bei Spielen des FC Chelsea: Der Londoner Klub befand sich bis zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Besitz von Abramowitsch. Die "Cyprus Confidential"-Daten legten nun ein System schwarzer Kassen offen, mit dem der Oligarch Boni ausgeschüttet haben könnte.

Außerdem zeigen die Dokumente, wie Abramowitsch-Firmen minderjährige Fußball­talente gekauft haben, womöglich als Investment. Das geschah auch mit Emir Dautović, einem österreichischen Kicker, der einst vom FC Chelsea träumte und nun in der steirischen Landesliga kickt. DER STANDARD hat ihn getroffen – und ihm eröffnet, dass damals Abramowitsch hinter der Firma steckte, die ihn unter Vertrag genommen hat.

Der Oligarch reagierte auf eine Anfrage nicht. Der FC Chelsea verwies darauf, dass die Vorwürfe "mit keiner Person zu tun haben, die aktuell im Verein arbeitet".

Dokumente eines zyprischen Finanzdienstleisters werfen auch neue Fragen rund um einen Tourismuskomplex am Semmering auf: 2012 trat der spätere FPÖ-Abgeordnete Thomas Schellenbacher als Käufer des Grandhotels Panhans auf. Doch geheime Verträge zeigen, dass Schellenbacher selbst wohl keinen einzigen Cent in das Luxushotel investiert hat, sondern Darlehen der zyprischen Briefkastenfirma Vensimars den Kauf finanziert haben.

Kritik an Intransparenz

Wirtschaftsprüfer monierten 2018, dass Vensimars nicht offenlege, wer die Firma letztlich kontrolliere. Zwei Jahre später trat dann die Ex-Frau des ukrainischen Oligarchen Ihor Palyzia in Erscheinung – obwohl ihre Mitarbeiterin in einer E-Mail warnte, dass die ­Offenlegung samt neuer Struktur der zyprischen Briefkastenfirmen "unerwünschte Aufmerksamkeit der Steuerbehörden" auslösen könnte.

Palyzia wird auch seit Jahren mit Schellenbachers Einzug in den Nationalrat in Verbindung gebracht: Mehrere Zeugen gaben an, er, der Milliardär Ihor Komoloyski und ein weiterer Oligarch hätten Geld an führende FPÖ-Politiker wie Heinz-Christian Strache übergeben, um Schellenbacher ein Mandat zu verschaffen. Das bestreiten die angeblich beteiligten FPÖ-Politiker, die Ukrainer reagierten auf eine Anfrage nicht.

Um brisante Geldflüsse über Zypern geht es auch bei einem britischen Ermittlungsfall rund um den russischen Oligarchen Petr Aven, den das ICIJ und der Guardian recherchiert haben. Der Putin-Vertraute wurde von der EU am 28. Februar 2022 sanktioniert. An jenem Tag wurden über ein Konto bei der öster­reichischen Bank Gutmann, das Aven zuzurechnen ist, fünf Millionen Dollar auf ein Konto seines Assistenten in Großbritannien verschoben.

Ein Hotel, ein Oligarch und Millionen für die FPÖ
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Ab wann gelten Sanktionen?

Rund um diesen Fall ist ein Streit dar­über entbrannt, wann Sanktionen gültig werden: Die NCA und die Oesterreichische Na­tionalbank gehen davon aus, dass sie erst bei der Veröffentlichung der Sanktionen im Amtsblatt der EU Rechtskraft erlangen – die EU-Kommissionen hält allerdings Mitternacht desselben Tages für den Startpunkt. Je nach Rechtsansicht fiele die Überweisung dann unter das Sanktionsregime – oder eben nicht.

Die Bank Gutmann antwortete auf konkrete Fragen des ICIJ nicht, betonte jedoch, dass das Geldinstitut "alle Gesetze und Vorschriften" befolge. Auch die anderen Beteiligten wiesen Fehlverhalten von sich.

Die "Cyprus Confidential"-Recherchen legen einmal mehr die Rolle von Offshore-Konstruktionen bei Themen wie Steuervermeidung und Sanktionsumgehungen offen. Acht Jahre nach den Panama Papers, der ersten großen internationalen Recherche zu Steuerparadiesen, zeigt das Leak, dass solche Praktiken auch mitten in der EU vonstattengehen. Allerdings hat sich seit den Panama Papers einiges getan: Allein durch die Ver­öffentlichung dieser Recherche erhielten Steuerbehörden laut Schätzungen des ICIJ aus dem Jahr 2019 durch Strafzahlungen oder Beschlagnahmen rund 1,2 Milliarden Dollar. Einige Ermittlungen dauern bis heute an. (Fabian Schmid, 17.11.2023)