Wer in diesen kalten grauen Tagen nach evidenzbasierter Linderung für eine Erkältung sucht, muss sich vorsehen: In Österreich werden nach wie vor häufig homöopathische Mittel verschrieben, empfohlen oder sogar unerbeten über den Apothekentisch gereicht. Mehr als 220 Jahre sind seit der Entwicklung der Homöopathie vergangen, belastbare Nachweise für ihre Wirksamkeit wurden, abgesehen vom Placeboeffekt, bis heute nicht erbracht.

Globuli, Homöopathie, Pseudowissenschaft
Warum erfreut sich Homöopathie nach wie vor so großer Beliebtheit? Fachleute kritisieren die Sonderstellung, die homöopathische Präparate genießen.
APA/dpa/Marijan Murat

Das Geschäft mit den homöopathischen Kügelchen und Tropfen läuft trotzdem bestens und zielt längst nicht nur auf Zweibeiner ab: Homöopathie für Haus- und Nutztiere erfreut sich ebenfalls großer Beliebtheit – sogar Mittel zur Behandlung von Gartenpflanzen sind inzwischen zu haben. Allein in Deutschland belief sich der Umsatz mit homöopathischen Mitteln 2022 auf knapp 530 Millionen Euro, in Österreich auf etwa ein Zehntel davon. Wieso geben nach wie vor so viele Menschen Geld für Produkte aus, wenn es keine wissenschaftlich überzeugenden Belege für deren Wirksamkeit gibt?

Konsumentinnen und Konsumenten nennen oft den Wunsch nach möglichst milden und schonenden Behandlungsoptionen als Motivation, homöopathische Mittel auszuprobieren. Mild wäre bei homöopathischen Präparaten freilich noch eine Übertreibung: Anders als etwa sanfte Pflanzenheilkunde setzt die Homöopathie auf Wirkprinzipien, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt.

Verdünnt, geschüttelt, wirkungslos

Da wäre die "Potenzierung", die unter der Prämisse erfolgt: Je stärker eine Substanz verdünnt wird, desto wirksamer ist sie. Am Ende dieser Vorstellung stehen angeblich hochwirksame "Hochpotenzen", in denen kein einziges Molekül des Ausgangsstoffes mehr vorhanden ist. Ein anderes Grundprinzip lautet "Ähnliches heilt Ähnliches" und geht davon aus, dass sich Krankheiten oder Beschwerden durch Substanzen heilen lassen, die vergleichbare Symptome hervorrufen. Wer etwa an Rötungen und Schwellungen der Haut leidet, sei es durch Insektenstiche oder Hautkrankheiten, würde demnach von Bienengift profitieren – dessen Einsatz, natürlich vielfach verdünnt, ein homöopathischer Klassiker ist.

Historisch wird die Entwicklung der Homöopathie durch den deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755–1843) als Reaktion auf oft rigorose und brachiale Behandlungsmethoden seiner Zeit verortet. "Diese Prinzipien sind aber mit unserem heutigen Wissen und wissenschaftlichen Standards überhaupt nicht in Einklang zu bringen", sagt der Gesundheitswissenschafter und Epidemiologe Gerald Gartlehner.

Er sieht den anhaltenden Erfolg der Homöopathie in der merkwürdigen Sonderstellung, die sie genießt: "Es geht um viel Geld, aber es gibt kaum eine Regulierung. Weder die Europäische Arzneimittelagentur noch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde befassen sich damit, weil eigentlich alle wissen, dass Homöopathie wirkungslos ist und auch keine Nebenwirkungen hat."

Ohne Zulassung im Handel

Im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln können homöopathische Produkte in Österreich wie in vielen anderen Ländern auch ohne Zulassung in den Handel kommen, wenn sie entsprechend stark verdünnt sind und kein bestimmtes Anwendungsgebiet auf der Verpackung angegeben wird. Soll eine Indikation vermerkt werden, beispielsweise als Mittel gegen Heuschnupfen, ist zwar eine Zulassung mit Wirksamkeitsnachweis erforderlich – dafür braucht es aber keine klinischen Daten, es reichen "Unterlagen über die spezifische homöopathische Wirksamkeit".

Genau da kommt ein anderes Problem ins Spiel, wie ein Team um Gartlehner in einer umfangreichen Untersuchung zeigte: Sie deckten eklatante wissenschaftliche und ethische Mängel im Bereich der Homöopathieforschung auf. Wie die Forschenden im Fachblatt "BMJ Evidence-Based Medicine" berichteten, wurden 38 Prozent der seit 2002 registrierten Homöopathiestudien nicht veröffentlicht, dagegen wurden 50 Prozent der veröffentlichten Studien nicht im Vorfeld registriert.

Klinische Studien müssen vorab in speziellen Datenbanken angemeldet werden und einen primären Endpunkt angeben – ein vorab festgelegtes Ziel der Studie. Nach Abschluss müssen die Ergebnisse publiziert werden, egal ob dieser primäre Endpunkt erreicht wurde oder nicht. Zu dieser Vorgehensweise sind Forschende seit 2008 durch eine Deklaration des Weltärztebundes eigentlich verpflichtet, die Umsetzung lässt allerdings bis heute zu wünschen übrig (nicht nur in der Homöopathie).

Erschreckende Forschungspraxis

Bei einem Viertel der registrierten Studien im Bereich der Homöopathie wurde zudem das Hauptziel in der späteren Veröffentlichung verändert, wie Gartlehner und Kollegen berichteten. "Diese Ergebnisse zeigen erschreckend schlechte wissenschaftliche Standards in der Homöopathieforschung. Man kann davon ausgehen, dass viele Studien nicht publiziert wurden, weil sie nicht das gewünschte Ergebnis gezeigt hatten", sagt Gartlehner. Bei den nichtregistrierten Studien könne überhaupt "manipuliert werden, so viel man will, und niemand wird draufkommen". Dennoch landen fragwürdige Studien zum Teil auch in renommierten Fachzeitschriften.

Besonderes Aufsehen erregte vor geraumer Zeit die Veröffentlichung einer Studie unter der Leitung eines Wiener Mediziners, die einer homöopathischen Zusatzbehandlung von Lungenkrebspatienten "außerordentlich deutliche Effekte" auf Überlebensdauer und Lebensqualität attestierte. Die Studie durchlief ein Peer-Review-Verfahren und wurde 2020 im Fachblatt "The Oncologist" veröffentlicht.

Zweifel ließen nicht lange auf sich warten. Schließlich unterzog die Österreichische Agentur für Wissenschaftliche Integrität die Arbeit einer genauen Überprüfung – und fand starke Hinweise auf "Datenmanipulation", auf "selektives Löschen von Aufzeichnungen" und "Verletzungen der wissenschaftlichen Integrität". Die Veröffentlichung wurde zwar online mit einigen Korrekturen versehen, am Ergebnis ändere sich aber nichts, heißt es im "Oncologist". Warum die Studie nicht schon zurückgezogen wurde, sei ihm rätselhaft, sagt Gartlehner. Es sei generell ein Problem, dass Retractions fehlerhafter Studien oft lange dauern würden.

Problematischer Anstrich

Der Fall zeigt auch, dass es bei Homöopathie nicht nur um harmlose Anwendungsfälle geht. Wer wirkungslose Mittel gegen Schnupfen einnimmt, der ganz von selbst abklingen wird, belastet lediglich die Geldbörse. Unter Umständen könne das Vertrauen auf homöopathische aber durchaus gefährlich sein, sagt Gartlehner: Falsche Hoffnungen könnten zu verzögerten Diagnosen und damit der verspäteten Behandlung von ernstzunehmenden Erkrankungen führen.

Kritisch sieht der Wissenschafter auch, dass der Homöopathie nach wie vor durch viele Institutionen Legitimität verliehen werde. Zwar wurde Homöopathie als Wahlfach an heimischen Medizinuniversitäten inzwischen abgeschafft, aber die Ärztekammer verleihe Diplome dafür. "In den Augen der Bevölkerung erzeugt das ein Gefühl, dass es eine Gleichwertigkeit mit anderen wissenschaftlichen Diplomen gibt."

Gartlehners Hoffnung liegt auf der neuen Generation an Ärztinnen und Ärzten. Zwar würde er sich noch mehr Raum für das Erlernen wissenschaftlicher Methoden und das kritische Lesen von medizinischer Fachliteratur im Medizinstudium wünschen. "Bei den jungen Medizinerinnen und Medizinern, mit denen ich zu tun habe, gibt es aber schon heute viel mehr kritisches Denken als früher." (David Rennert, 1.1.2024)