Ein rechtsextremer Kampfsportler wirft einen Polizeibeamten über die Schulter und drischt ihm danach sein Knie ins Gesicht. Er wird schließlich von Beamten überwältigt und zu Boden gedrückt. Ein junger Mann zieht dem Kampfsportler eine Flasche über das Gesicht, der Kampfsportler beginnt stark zu bluten. Ein anderer Mann mit einer braunen Kappe schlägt einer Polizistin mit der Faust ins Gesicht. Das sind keine Szenen aus einem Actionfilm, sondern Passagen aus einem Video, das die Recherche-NGO Democ am vergangenen Freitag in Wien gedreht hat.

Blutige Szenen beim Auftritt Kubitscheks vor er Uni Wien am 17.11.2023
Blutige Szenen beim Auftritt Kubitscheks vor der Uni Wien.
Samuel Winter

Wie DER STANDARD berichtete, war einer der bekanntesten Rechtsextremisten Deutschlands, der Publizist Götz Kubitschek, auf Einladung des Freiheitlichen Bildungsinstituts (FBI) in Wien. Einen Vortrag an der Uni verhinderte das Rektorat, Kubitschek ließ es sich aber nicht nehmen, im Rahmen des "Abendbummels Wiener Verbindungsstudenten" vor eine paar Dutzend Rechtsextremen und deutlich mehr Gegendemonstranten und -demonstrantinnen vor der Uni zu reden.

Dabei kam es zu den geschilderten Szenen, wobei sowohl der Mann, der mit der Glasflasche zuschlug, als auch der Mann mit der Kappe zum engsten Kreis von Kubitscheks Entourage zählten. Auch Kubitschek selbst wurde im Gerangel vorübergehend von der Polizei zu Boden gedrückt, konnte aber nach – im Video nicht verständlichen – Worten zu Polizeibeamten wieder aufstehen. Er, der junge Mann mit der Glasflasche und der Mann mit der Kappe konnten ihren Weg unbehelligt fortsetzen.

Die Polizei löste nur die Gegenkundgebung auf

Trotz der recht blutigen Vorfälle wurde die Kundgebung danach nicht sofort aufgelöst. Von der Polizei hieß es auf Nachfragen des STANDARD am Montag, dass nur ein Beamter verletzt worden sei.

Das Video von Democ zeigt die Tumulte am Freitag. 

Die Polizei weiter: "Insgesamt wurden sechs straf- und vier verwaltungsrechtliche Anzeigen gelegt. Eine Person wurde wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen." Aufgelöst wurde die Gegendemo, so heißt es von der Polizei, denn "nach einer Lagebeurteilung durch den behördlichen Einsatzleiter handelte es sich um eine nicht rechtmäßige Kundgebung". Warum Kubitscheks Begleiter unbehelligt blieben und auch abends im Parlament einkehren durften, wird nicht beantwortet. Das besagte Video sei aber gesichert und "zur Beurteilung an die zuständige Stelle weitergeleitet" worden.

In einem weiteren Video, das der Journalist Samuel Winter auf X (vormals Twitter) teilte, sieht man einen Beamten, der Winter nach der Kundgebung auf der Höhe des Alten AKH am Straßenrand völlig außer sich anbrüllt und stößt. Der Fotograf berichtet dem STANDARD, dass der Polizist ihn umgestoßen habe, sodass er zwischen Autos lag.

Im Video sieht man auch, dass eine Polizeibeamtin hinzueilt und den Kollegen offenbar beruhigt. Auf diese Szene angesprochen, hieß es von der Polizei nur, man wisse nicht von einem verletzten Journalisten. Der Polizist im Video brüllt Winter an, er solle "runter von der Fahrbahn", die währenddessen für den Verkehr gesperrt war.

Samuel Winter wird im April 2023 bei einer Demo von Polizisten am Ring gepfeffert, während er versucht, seine Arbeit zu machen. Das Verwaltungsgericht hat den Polizeieinsatz als rechtswidrig erklärt.
Samuel Winter wird im April bei einer Demo von Polizisten mit Pfefferspray besprüht, während er versucht, seine Arbeit zu machen. Das Verwaltungsgericht hat den Polizeieinsatz als rechtswidrig erklärt. Am Freitag, sagt Winter, habe ihn ein Polizist nun zu Boden gestoßen.
Samuel Winter

Was dabei besonders pikant erscheint: Winter, der als freier Mitarbeiter des ORF auch schon Puls 4, dem STANDARD, Arte und dem WDR zulieferte, hatte erst Tage vor der Demo eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Wiener Polizei gewonnen. Diese hatte ihn im Zuge seiner Berichterstattung über eine Demo im April gerade mit Pfefferspray ins Gesicht gespritzt. Aus nächster Nähe. Das Verwaltungsgericht hat diesen Polizeieinsatz für rechtswidrig erklärt.

Walter Strobl, Jurist des Presseclubs Concordia, der Winter schon in der Vergangenheit beraten hatte, kommentierte die Causa am Montag: "Diese rechtswidrige Attacke gegen einen berichtenden Journalisten indiziert ein immer häufiger zu beobachtendes Problem: mangelndes Bewusstsein für die Pressefreiheit bei staatlichen Organen."

Fahrgäste wurden gebeten, die Straßenbahn zu verlassen

Aber am Freitag sorgten noch weitere Szenen bei Wiener Passantinnen und Passanten für Kopfschütteln. Kubitschek und andere Teilnehmer stiegen im Anschluss an die Demonstration in die Straßenbahn der Linie 43. Gegendemonstranten folgten der Bahn und blockierten sie laut Wiener Linien und der Polizei. "Um die Situation so rasch wie möglich zu deeskalieren, wurden die Fahrgäste gebeten, die Straßenbahn zu verlassen", sagte eine Sprecherin der Wiener Linien. Die Bahn trug den Schriftzug "Sonderzug" und fuhr ohne Zwischenhalt, begleitet von der Polizei, zur Kreuzung Lange Gasse / Spitalgasse. Bahnen tragen den Schriftzug in Wien immer, wenn sie nicht nach dem regulären Fahrplan fahren.

Kubitscheks Rede am Freitagabend im FPÖ-Parlamentsklub besuchten prominente Rechtsextreme. Unter ihnen waren zum Beispiel Philipp Huemer, der den identitären "Heimatkurier" betreibt, und der deutsche AfD-Abgeordnete Jan Wenzel Schmidt, der einen verurteilten Gewalttäter in seinem Büro beschäftigte. Mit am Podium war der Nationalratsabgeordnete und Chef der Grazer FPÖ, Axel Kassegger. Kassegger ist auch Präsident des Freiheitlichen Bildungsinstituts, auf dessen Einladung Kubitschek in Wien war.

Sobotka lehnt Kubitscheks Haltung ab

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka untersagte die Veranstaltung nicht, obwohl er die Macht dazu gehabt hätte. Klar sei, dass parlamentarische Klubs selbst dafür verantwortlich seien, welche Veranstaltungen und Vorträge in ihren eigenen Räumlichkeiten abgehalten würden, äußerte sich Sobotkas Sprecher. "Eine Untersagung wäre dementsprechend eine tiefgreifende und bisher nie dagewesene Maßnahme gewesen, die für alle künftigen Aktivitäten, quer über jede Fraktionsgrenze hinweg, beispielgebend gewesen wäre", sagte er. Der Nationalratspräsident finde die Veranstaltung mehr als bedauerlich und lehne die Geisteshaltung des Redners klar ab. (Milena Wurmstädt, Colette M. Schmidt, 20.11.2023)