Der Wattwurm (Arenicola marina) bringt Dopingjäger ins Schwitzen.
Der Wattwurm Arenicola marina beflügelt die Dopingfantasie.
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Liefert ein Wurm das neue Dopingwundermittel, eine Art Wurmloch als Abkürzung zum Erfolg? Studien legen das nahe. Dieser Tage ließ ein Meeresbiologe aufhorchen, bei dem bereits ein Weltklasse-Radprofi auf der Matte stand, um sich mit dem Mittel einzudecken. Steuern Ausdauersportarten auf neue Skandale zu, nachdem es zuletzt in Sachen Epo und Eigenblutdoping ruhiger geworden war?

Im Verdacht, die neue Wunderwaffe zu sein, steht der Wattwurm Arenicola marina, der im östlichen Atlantik sowie in der Nordsee haust. Das Interesse an dem etwa 20 bis 40 Zentimeter langen Wurm beschränkt sich dabei auf sein Blut, konkret auf das Hämoglobin, das selbigem seine rote Farbe verleiht. Die Eigenschaften dieser Eiweißverbindung unter dem Namen M-101 sind seit einigen Jahren erforscht: Sie transportiert 40-mal mehr Sauerstoff als menschliches Hämoglobin und lässt sich gefriergetrocknet in Pulverform jahrelang aufbewahren.

Das Hämoglobin des Wattwurms im Labor.
Das Hämoglobin des Wattwurms im Labor.
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Von Organkonservierung bis Zahnbehandlung

Die Verabreichung erfolgt intravenös. Zudem – und das macht es für die potenzielle Dopinganwendung besonders interessant – verfügt M-101 über eine sehr geringe Halbwertszeit von zweieinhalb Tagen. Dadurch ist es nur verhältnismäßig kurz im Körper nachweisbar. Darauf wies der Dopingexperte Marc Kluszczynski bereits 2021 in einem Gastbeitrag für die Radsportplattform "Flamme Rouge" hin.

Dennoch ließ der französische Meeresbiologe Franck Zal vor wenigen Tagen aufhorchen, als er in der französischen Sportzeitung "L'Equipe" meinte, 2020 habe ihn ein "sehr bekannter Radsportler, dessen Team bei der Tour de France fährt", nach dem Produkt gefragt. Zal hatte den Wattwurm in den 2000ern erforscht und stieg früh ins Geschäft damit ein. 2007 gründete er das Unternehmen Hemarina, das verschiedene Produkte auf Basis des Hämoglobins von Arenicola marina herstellt. Das Einsatzspektrum ist nach Angaben des Unternehmens vielfältig und reicht von der Konservierung von Organen für die Transplantation über Bluttransfusionen und Wund- sowie Zahnbehandlung bis hin zur Fermentierung von Lebensmitteln.

"Bring ihn zum Reden!"

Der besagte Radrennfahrer habe ihn im Juli 2020 kontaktiert, sagt Zal nun. Er habe die französische Polizei kontaktiert und gefragt, was er tun solle. "Bring ihn zum Reden", habe man ihm gesagt. Man wolle sehen, ob ein Netzwerk dahinter stehe. Laut Welt-Antidoping-Agentur Wada habe man bislang keine Fälle von Doping mittels Wattwurm-Hämoglobins entdeckt, nehme es aber als potenziell wirkmächtiges Dopingmittel sehr ernst.

Meeresbiologe Zal vermarktet das Hämoglobin als Hemo2Life.
Meeresbiologe Zal vermarktet das Hämoglobin mit seiner Firma Hemarina unter anderem als Hemo2Life.
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Mittel für Hunde auf Rinder-Basis

Der Einsatz von tierischem Hämoglobin als Dopingmittel im Radsport ist nicht neu. In den 2000ern griffen etwa der Däne Michael Rasmussen und der Spanier Jesus Manzano auf Oxyglobin zurück, das Hämoglobin-Glutamer 200 von Rindern enthält – und eigentlich für den Einsatz bei Hunden mit Anämie entwickelt wurde. Nachdem er sich vor der siebten Etappe der Tour de France 2003 Oxyglobin gespritzt hatte, verfiel Manzano in ein Delirium und stürzte vom Rad. Er wurde ins Krankenhaus geflogen, zunächst wurde irrtümlich ein Herzinfarkt diagnostiziert.

Kreative Pharmaindustrie

Ersten Anlass zur Hoffnung, dass das Wattwurm-Hämoglobin nicht zu einer neuen Dopingwelle im Sport führt, gibt eine Studie, die erst Anfang November veröffentlicht wurde. In ihr erarbeiteten Forscherinnen und Forscher mit Unterstützung der Wada ein Testverfahren, das je nach Dosis ein Nachweisfenster von vier bis acht Stunden nach Verabreichung eröffnet. Das mag ausreichen, um Mikrodosierungen in Wettkämpfen nachweisen zu können. Über den sinnvollen Einsatz des Tests in Kontrollen außerhalb des Trainings, wo Blutdoping unter anderem zu einer beschleunigten Regeneration beiträgt, trifft die Studie aber keine Aussage.

Dopingexperte Kluszczynski blickt pessimistisch auf den Kampf gegen Doping in der Zukunft – ob nun der Wattwurm eine große Rolle spielen wird oder nicht. So groß sei der Markt für die Behandlung von Anämie, dass Pharmaunternehmen immer neue Substanzen kreieren – die in weiterer Folge auch zu Zwecken der Leistungssteigerung missbraucht werden können. "Doping hat, leider, sicher noch eine schöne Zukunft vor sich." (Michael Windisch, 22.11.2023)