Grüne Blätter wachsen entlang einer Glasfassade
Die begrünte Fassade des Hebewerks von Wiener Wasser befindet sich am Ende des Sonnwendviertels nahe der Autobahn am Beginn des Laaer Berges.
RATAPLAN-Architektur

Es grünt so grün, und das nicht nur in Parks oder Gärten, sondern auch an Hauswänden und auf Dächern. Österreichweit werden jährlich rund 40.000 Quadratmeter Fassaden neu begrünt. Das geht aus dem Green-Market-Report des Innovationslabors Grün statt Grau hervor. Der 250-seitige Bericht wurde im März 2021 veröffentlich. Grüne Dächer machen demnach sogar noch mehr Fläche aus: Jedes Jahr kommen rund eine Million Quadratmeter hinzu – das entspricht etwa 14 Fußballfeldern.

Dass sich künftig immer mehr Kletterpflanzen an Fassaden ranken, hat sich das Innovationslabor zum Ziel gesetzt. Der Grundstein für die Initiative wurde bereits vor einem Jahrzehnt gelegt: Im Jahr 2013 wurden erstmals die Ergebnisse eines branchenübergreifenden Forschungsprojekts zur Bauwerksbegrünung veröffentlicht. "Davor sind Innovationsprojekte und ihre Ergebnisse nach der Umsetzung lange Zeit einfach in den Schubladen verschwunden", sagt Susanne Formanek, Geschäftsführerin bei Grün statt Grau.

Mehr als Nice-to-have

Gegründet wurde das Innovationslabor schließlich im Jahr 2017, damals noch mit Unterstützung des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. "Inzwischen werden wir aber schon lange nicht mehr vom Ministerium gefördert und sind ein Team aus elf Mitarbeitenden", erklärt Formanek. Als einen ihrer größten Erfolge verbucht sie den Wandel in der Wahrnehmung ihrer Arbeit: "Wir haben gezeigt, dass Gebäudebegrünung nicht nur ein nettes ökologisches Nice-to-have ist, das schön aussieht. Die Funktion steht jetzt im Mittelpunkt."

Porträtfoto Susanne Formanek
Dass sich künftig immer mehr Kletterpflanzen an Fassaden ranken, haben sich Susanne Formanek und ihr Team von Grün statt Grau zum Ziel gesetzt.
Grün statt Grau

Und Österreich sei mittlerweile sogar ein Vorzeigeland: "Wir sind europaweit das einzige Land, das eine Fassadenbegrünungsnorm hat", sagt Formanek. Diese würde die Umsetzung neuer Projekte deutlich vereinfachen. Aber was genau bringt Bauwerksbegrünung nun eigentlich? "Sie dient nicht nur als Schutz für Gebäude, sondern bringt vielfältige Vorteile – etwa durch natürliche Kühlung und das Binden von Schadstoffen in der Luft", erklärt sie.

Fehlende Fachkräfte

Rund 550 in der Gebäudebegrünung tätige Unternehmen beschäftigten etwa 1200 Mitarbeitende. Eines davon ist Neuland Garten & Landschaftsbau mit Sitz im 23. Wiener Gemeindebezirk. Mit rund 30 Mitarbeitenden und zwei Lehrlingen sei das Unternehmen laut Geschäftsführer Stefan Brunnauer gut ausgestattet. Fachkräfte und Nachwuchs finde man in der Branche dennoch schwer, gibt er zu bedenken.

Das liege laut Brunnauer vor allem am schlechten Image der Lehre. "Daran ändert sich zum Glück allmählich etwas. Bis diese Entwicklung am Jobmarkt ankommt, dauert es aber", sagt er. Auch Lehrling Philip Kastl hätte dieser Umstand anfänglich von der dualen Ausbildung abgeschreckt: "In meinem Umfeld hieß es immer: Wer was erreichen will, muss studieren." Trotz seiner frühen Begeisterung für den Job des Gärtners verschlägt es Kastl zunächst an die Universität.

Grüner Arbeitsplatz

"Ich habe mich als Jugendlicher für die Gartenbauschule in Schönbrunn beworben, damals aber leider keinen Platz bekommen", sagt er. Er entscheidet sich für den Zweig Holzwirtschaft an der HTL Mödling und studiert anschließend Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur in Wien. "Das Studium hat mir eigentlich gut gefallen, aber mir hat immer die Praxis gefehlt", erzählt Kastl. Während der Pandemie sei es zudem finanziell schwierig geworden, und die Distanzlehre machte ihm mental zu schaffen. Er wagte einen Neuanfang. "Ich habe meinen Traumjob gefunden", sagt der 26-Jährige nun über seine verkürzte Lehre zum Gartengestalter. Der grüne Daumen liege bei ihm in der Familie: "Bereits von klein auf habe ich meinem Vater im Garten geholfen."

Porträtfoto Lehrling Philip Kastl
Philip Kastl macht seine Leidenschaft zum Beruf. Er kam aber erst über Umwege zu seiner Lehre als Gartengestalter.
privat

Einen weiteren Grund für den Mangel an Jungen sieht Stefan Brunnauer darin, dass viele den Beruf des Gärtners lange Zeit nicht als klimarelevanten Job auf dem Schirm hatten: "Dabei ist das doch der Green Job schlechthin." Unter Philip Kastls Klassenkolleginnen und -kollegen in der Berufsschule habe sich das Bild der Ausbildung jedoch gewandelt. "Die meisten sind doch ein paar Jahre jünger als ich, und viele haben sich für den Job entschieden, weil sie etwas für den Klimaschutz machen wollen", erzählt er.

Bürokratische Hürden

Die Gebäudebegrünung macht bei Neuland Garten & Landschaftsbau bisher zwischen zehn und 25 Prozent der Aufträge aus – Tendenz steigend, sagt Geschäftsführer Brunnauer. Und auch laut Susanne Formanek sei es mittlerweile ein massentaugliches Programm. Im Rahmen eines Forschungsprojekts verlosten sie im Jahr 2021 50 grüne Häuser. Rund 400 Personen meldeten sich für die Begrünung ihres Wohnhauses an, davon über 100 aus dem zehnten Wiener Gemeindebezirk.

Porträtfoto Stefan Brunnauer
Einen Grund für den Mangel an Nachwuchs sieht Stefan Brunnauer darin, dass viele den Beruf des Gärtners lange Zeit nicht als klimarelevanten Job auf dem Schirm hatten.
Susanne Formanek

"Das war unser Zielgebiet. Deshalb haben wir gehofft, dass es auch dort Interessenten gibt. Und siehe da, es hat geklappt", erzählt Formanek. Eine Fassade im siebten oder achten Bezirk zu begrünen sei eine kleinere Herausforderung, da mehr Häuser im Eigentum einer und nicht mehreren Personen stehen. "Wir dachten uns: Wenn wir es in Favoriten schaffen, dann schaffen wir es überall." Der Wille in der Bevölkerung ist da. Meist scheitere es jedoch an bürokratischen Hürden.

Rechtliche Rahmenbedingungen wie Denkmalschutz und Brandschutzverordnungen müssen bei der Umsetzung eingehalten werden. Eine große Erleichterung gebe es in Wien inzwischen bei der Genehmigung neuer Projekte. "Früher mussten dafür neun Magistrate aufgesucht werden. Heute geht das mit einem einzigen Antrag", sagt Formanek. Erschwerend wirke aber immer noch das Wohungseigentumsgesetz. "Das ist meist der größte Knackpunkt", sagt die Expertin. Denn für die Umsetzung brauche es die Zustimmung der Eigentümerinnen und Eigentümer des ganzen Hauses.

Wichtiger denn je

Ihre Arbeit sei also noch lange nicht getan, sie sei heute sogar wichtiger denn je. Das Jahr ist zwar noch nicht vorbei, 2023 ist dennoch bereits als heißestes Jahr seit Messbeginn in die Geschichte eingegangen. "Gerade in den Städten wird es immer heißer. Mit grünen Häusern können wir gegensteuern", sagt Formanek.

Grüne Blätter wachsen entlang einer Hausfassade
In Grün erstrahlt die Fassade des Umspannwerks Zedlitzhalle der Wiener Netze im ersten Bezirk.
RATAPLAN-Architektur

Auch Philip Kastl ist sich seiner Rolle im Kampf gegen die urbanen Hitzeinseln bewusst: "Die Aufträge für Gebäudebegrünung finde ich besonders spannend. Es ist eine tolle Möglichkeit, zum Klimaschutz beizutragen, und gleichzeitig kann ich damit mehr Menschen Freude bereiten als mit einem privaten Garten." Die Arbeit sei jedoch körperlich nicht zu unterschätzen. "Ein Fitnessstudio braucht man als Gärtner nicht", ist sich auch Stefan Brunnauer sicher. Macht dann die Arbeit im eigenen Garten überhaupt noch Spaß? Ja, sagt Kastl. "Wobei ich seit der Lehre die Zeit im Garten öfter einfach nur mit Genießen statt mit neuen Projekten verbringe."

Und auch Susanne Formanek schöpft neue Kraft in ihrem Garten: "Ich liebe Bäume und Pflanzen aller Art. In meinem Garten steht ein Ahornbaum, den ich vor vielen Jahren vor einer Überschwemmung gerettet habe", erzählt sie. Aus dem kleinen Bäumchen sei trotz schwieriger Startbedingungen ein großer Baum mit tiefen Wurzeln geworden: "Pflanzen sind unglaubliche Lebewesen, von denen wir einiges lernen können." (Anika Dang, 21.12.2023)