Pflegekraft mit einer Corona-Impfung
Bei den meisten aktuell Hospitalisierten liegt die letzte Impfung mehr als ein Jahr zurück, berichten Fachleute – und raten daher zu einer Auffrischungsimpfung.
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Die Abwasserdaten lassen keinen Interpretationsspielraum zu: Österreich steuert aktuell auf eine der höchsten Covid-Wellen jemals zu, schreibt der Molekularbiologe Ulrich Elling auf dem Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter (der STANDARD berichtete hier). Dass die Infektionszahlen in der kalten Jahreszeit wieder steigen werden, war absehbar. Bereits seit Sommer baute sich die Welle kontinuierlich auf. "Aber wir haben seit Omikron keine so lange Phase der Steigerung gesehen wie aktuell", sagt Elling zum STANDARD.

In den vergangenen Tagen und Wochen hat das Ganze dann noch einmal deutlich an Tempo zugelegt, die Kurve ging steil nach oben. Warum genau, darüber sind sich auch Fachleute nicht ganz im Klaren. Beim Infektionsgeschehen spielen viele Faktoren eine Rolle: das Wetter, wie viele Menschen sich die Auffrischungsimpfung geholt haben und die anderen Viren, die abseits von Corona sonst noch so zirkulieren, um nur ein paar zu nennen. Außerdem wurde dieses Jahr über den Sommer kaum Immunität aufgebaut – weder durch die Impfung wie im Jahr 2021 noch durch eine Sommerwelle wie 2022. "Der rasche Anstieg der Infektionen hängt jedenfalls nicht mit einer neuen Variante zusammen, die den Immunschutz so viel besser umgeht, dass sich jetzt plötzlich alle anstecken", beruhigt Elling. Die Symptomatik einer neuerlichen Infektion dürfte zudem womöglich milder verlaufen, aber in welchem Maße, bleibe abzuwarten: "Eine Endemie ist immer noch nicht nur ein Schnupfen."

Dementsprechend besorgt zeigen sich Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern bei einem Rundruf des STANDARD. Auf Intensivstationen spielt Corona zwar kaum noch eine Rolle, und auch auf Normalstationen kann man die Regelversorgung noch aufrechterhalten. "Aber es gibt kaum Puffer", sagt etwa Arschang Valipour. Er ist Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf in Wien. Dort werden aktuell rund 25 Personen aufgrund einer Corona-Erkrankung medizinisch betreut. Das klingt vielleicht nach nicht so viel, aber bei einer Gesamtanzahl von etwa 180 Betten sind es dennoch um die 15 Prozent, die allein durch Covid-19 belegt sind. "Vor Corona lag die durchschnittliche Auslastung in den meisten Krankenhäusern zwischen 85 und 90 Prozent. Dann kamen 15 Prozent mit Corona-Infizierten dazu, die wir davor schlicht nicht zu versorgen hatten, und damit sind wir in der Puffer-Kapazität. Also der Puffer, den Spitäler in der Regel haben, ist seit Jahren ständig belegt", erklärt Valipour.

Viele Infizierte, immer weniger Personal

Seit August hat sich die Zahl der hospitalisierten Covid-Patientinnen und Covid-Patienten verdoppelt – und die meisten Fachleute gehen davon aus, dass diese Zahl noch weiter ansteigen wird, auch wenn im Verhältnis immer weniger Menschen bei einer Corona-Erkrankung ins Spital müssen und die Sterblichkeit heute deutlich geringer ist als in der Vergangenheit.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man mit Covid im Krankenhaus landet, war vor gut drei Jahren bei etwa fünf Prozent. Durch die Impfung und den Wechsel zu Omikron ist das Risiko auf rund ein Prozent gesunken, mittlerweile liegen wir bei unter einem Prozent. "Aber wenn insgesamt viel mehr Menschen infiziert sind als bei Delta, dann sind die absoluten Zahlen an Menschen, die im Spital betreut werden müssen, nahezu gleich hoch. Ein Prozent von hunderttausend Infizierten sind gleich viele Personen wie fünf Prozent von 20.000", rechnet Valipour vor. Kurzum: Je höher die Infektionszahl ist, desto höher ist das Risiko, dass darunter auch Menschen sind, die bei Infektion im Krankenhaus betreut werden müssen.

Dazu kämen eine "nicht unbeträchtliche Anzahl an Krankenständen" beim Personal und eine generell reduziertere Belegschaft als noch vor ein paar Jahren. Von Pflegerinnen und Pflegern, Ärztinnen und Ärzten wurde in den vergangenen Jahren sehr viel gefordert, die Belastung war und ist enorm. Viele haben dem System deshalb den Rücken gekehrt. Und jetzt trifft eine hohe Infektionswelle auf eine ohnehin schon niedrigere Ausgangslage beim Personal. Das bedeutet nicht, dass die Versorgungssicherheit akut bedroht ist, beruhigt er, aber: "Die chronische Belastung des Systems führt zunehmend zu weiterer Unzufriedenheit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zu immer mehr Menschen, die das System verlassen und damit zu einer Chronifizierung des Problems."

Fachleute empfehlen Auffrischungsimpfung

Umso wichtiger – um sich selbst und andere vor Infektionen und möglichen Hospitalisierungen zu schützen – sei deshalb die Corona-Auffrischungsimpfung, betont die Virologin Dorothee von Laer. Der Großteil der Infizierten, die aktuell in Krankenhäusern betreut werden, hat noch keine Corona-Auffrischungsimpfung erhalten, berichten betreuende Ärztinnen und Ärzte dem STANDARD. Bei den meisten Hospitalisierten liege die letzte Impfung mehr als ein Jahr zurück.

"Aber die Immunität lässt mit der Zeit etwas nach, deshalb ist die Auffrischung so wichtig. Denn der Immunitätsgrad ist entscheidend dafür, ob man bei einer Infektion im Krankenhaus medizinisch betreut werden muss oder nicht", sagt von Laer. Besonders älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankung rät sie "ganz dringend" zur Auffrischungsimpfung.

Die Impfung wirke auch gut gegen die seit einiger Zeit kursierende Variante JN.1, eine Subvariante von Pirola (der STANDARD berichtete dazu hier). "Die ersten Daten zeigen, dass JN.1 den Immunschutz nicht umgeht, aber sie ist etwas ansteckender als bisherige Varianten. Deshalb setzt sie sich langsam durch", berichtet von Laer. (Magdalena Pötsch, 22.11.2023)