Wien – Justizministerin Alma Zadić (Grüne) kündigt eine Untersuchungskommission anlässlich der nun bekannt gewordenen Aussagen des früheren Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek über Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) an. Der im Oktober verstorbene Pilnacek behauptet auf einer zuletzt veröffentlichten heimlichen Tonaufnahme, die ÖVP und namentlich Sobotka hätten versucht, in Ermittlungen zu intervenieren.

Justizministerin Alma Zadić küdigt eine Untersuchungskommission an.
Justizministerin Alma Zadić kündigt eine Untersuchungskommission an.
APA/HANS KLAUS TECHT

Nach den schweren Vorwürfen habe sie ihr Ministerium damit beauftragt, für umfassende Aufklärung zu sorgen, erklärte Zadić in einem Statement am Mittwoch. Zuvor hatte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) Sobotka verteidigt.

Der zuletzt suspendierte Sektionschef Pilnacek, einst mächtigster Mann im Justizministerium, ist vor wenigen Wochen verstorben. Auf der nun aufgetauchten heimlichen Aufnahme eines Gesprächs von Ende Juli ist Pilnacek in einer abendlichen Runde mit Bekannten in einem Gasthaus zu hören, wie er erklärt, die ÖVP habe verlangt, dass er Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen abdrehe, was er stets abgewehrt habe. Namentlich nennt er dabei unter anderen Sobotka.

Zadić spricht von "schweren Vorwürfen"

"In den medial verbreiteten Tonbandaufnahmen werden schwere Vorwürfe erhoben", erklärte Zadić dazu. "Diese zeigen klar, dass es eine von der Politik unabhängige Generalstaatsanwaltschaft braucht, an deren Spitze drei unabhängige Expert:innen gemeinsam entscheiden. Denn mehrere Köpfe – auf die sich die Macht verteilt – sind der beste Schutz gegen eine erfolgreiche politische Einflussnahme auf die Justiz." Im konkreten Fall soll nun eine Kommission für Transparenz und Aufklärung sorgen. Ähnliche Gremien sind bereits nach dem Terroranschlag in Wien und zur Hypo Alpe Adria eingerichtet worden.

Nehammer wiederum nahm Sobotka in Schutz. Dieser "hat mein Vertrauen", sagte der Kanzler am Mittwoch vor Medien. Er sah "einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung". ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker brachte zudem den Ex-BZÖ-Politiker Stefan Petzner als einen der Hintermänner der Aufnahme ins Spiel und sprach von "KGB-Methoden".

Video: Nehammer nimmt Stellung zu Pilnacek-Tonaufnahme.
APA

Nehammer: "Mehr als pietätlos"

"Ich muss ganz offen sagen, dass ich es persönlich mehr als pietätlos finde, was hier gerade passiert", sagte Nehammer. "Um Politik zu machen, wird die Totenruhe gestört." Das warf der Kanzler auch Journalisten vor: "Sie würden mir die Frage nicht stellen, würden Sie die Totenruhe nicht stören." Pilnacek könne sich nicht mehr dazu äußern. Das sei "moralisch nicht vertretbar". Er werde sich daher nicht an dieser Diskussion beteiligen. Auch Nehammer verwies wie schon ÖVP-Generalsekretär Stocker tags zuvor darauf, dass Pilnacek in Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht klar gesagt habe, dass es keine Interventionen gegeben hätte.

Dem widerspricht die Opposition. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger etwa kann die Verteidigungslinie der ÖVP nicht nachvollziehen. Pilnacek habe lediglich eigene Interventionen verneint, bezüglich solcher Versuche ihm gegenüber habe er sich der Aussage entschlagen. Der SPÖ-Abgeordnete Jan Krainer erinnerte daran, dass Pilnacek und Sobotka kurz vor der Beschlagnahmung von Pilnaceks Smartphones regen Kontakt gehabt hatten. Das war im ÖVP-U-Ausschuss bekannt geworden. Pilnacek nutzte allerdings selbstlöschende Nachrichten, weswegen die Inhalte weder der Chats noch der zwölf verzeichneten Telefonate bekannt sind. Sobotka argumentierte damals, dass er sich regelmäßig mit Beamten austausche und Pilnacek zudem seit langer Zeit ein persönlicher Freund von ihm sei.

Rücktrittsaufforderungen

Am Abend legte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) Sobotka in der "Kleinen Zeitung" den Rücktritt zumindest indirekt nahe: "Wäre ich in der Situation von Sobotka, ich hätte meinen Hut genommen. Ich habe einen klaren moralischen Kompass", wurde Rauch zitiert.

Von der Opposition hagelte es Rücktrittsaufforderungen an Sobotka. Ein von der grünen Generalsekretärin Olga Voglauer ins Spiel gebrachter Untersuchungsausschuss ist dagegen nicht realistisch – sowohl Meinl-Reisinger als auch Krainer sprachen sich dagegen aus. FPÖ-Obmann Herbert Kickl warf Voglauer vor, die Verantwortung hin zu den Oppositionsparteien zu verschieben. Er appellierte bei einer Pressekonferenz an die "verantwortungsbewussten Kräfte innerhalb der ÖVP", Sobotka dazu zu bringen, sein Amt niederzulegen und einen neuen ersten Nationalratspräsidenten zu präsentieren.

Meinl-Reisinger sagte, es brauche zusätzlich zu der Untersuchungskommission im Justizministerium eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss bringe dagegen aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Zeit und der zu erwartenden "Schlammcatcherei" nichts. Als Vorsitz für die Kommission empfahl sie eine Person wie die ehemalige OGH-Präsidentin und Ex-Neos-Abgeordnete Irmgard Griss nach dem Vorbild der Kommission nach dem Terroranschlag in Wien. Diese Frage habe sie auch mit Zadić erörtert.

Video: Causa Sobotka: Meinl-Reisinger forderte Untersuchungskommission.
APA/kha

Krainer zufolge belegt das Tonband das Muster der Interventionen Sobotkas, das schon in anderen Causen ersichtlich geworden sei. Nun treffe es aber seine Funktion als Nationalratspräsident – deswegen gebe es "nur noch eine Antwort: Sobotka legt seine Funktion zurück." Er möge eine untadelige Person vorschlagen, "die imstande ist, das Amt auszufüllen, und es nicht beschädigt". Und er forderte Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Handeln auf: Es sei an der Zeit, dass "der erste Mann im Staat das Wort ergreift", fordert der SPÖ-Abgeordnete. "Wir erwarten, dass der Bundespräsident hier etwas sagt." Auch die Justiz sei am Zug, die aufgrund des Verdachts der Anstiftung zum Amtsmissbrauch Ermittlungen einleiten müsse. "Wir meinen, dass ein Anfangsverdacht gegeben ist."

Eine Stellungnahme Van der Bellens forderte auch Kickl ein. Für den FPÖ-Chef ist ein Rücktritt Sobotkas die "einzige mögliche Konsequenz": "Das Maß ist voll. Jeder, der Wolfgang Sobotka über Jahre hinweg in seinem politischen Handeln beobachtet hat, weiß ganz genau, dass Christian Pilnacek an diesem Abend im Juli 2023 nichts als die Wahrheit gesagt hat", so Kickl. Es brauche eine "integre Persönlichkeit für das Amt des Nationalratspräsidenten".

Sobotka lud im Anschluss an die Nationalratssitzung vom Mittwoch zu der von der Opposition gewünschten Sonderpräsidiale. Darin "erörterten die Vertreter:innen der Fraktionen und die Mitglieder des Präsidiums ihre Standpunkte zu den gegen Sobotka erhobenen Vorwürfen. Dies geschah in einer sachlichen Atmosphäre", teilte die Parlamentskorrespondenz gegen 21 Uhr mit. Sobotka kündigte an, sich am Donnerstag zu Beginn der Plenarsitzung zu erklären.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Mittwoch nach Bekanntwerden der Pilnacek-Tapes im Parlament.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Mittwoch nach Bekanntwerden der Pilnacek-Tapes im Parlament.
APA/EVA MANHART

Suche nach Urheber der Aufzeichnung

Bei dem Essen anwesend war offenbar auch "Kurier"-Herausgeber und "Profil"-Geschäftsführer Richard Grasl, wie das Magazin "Zackzack" berichtet. Grasl bestätigte dem Magazin seine Anwesenheit. Er sei mit seinem eigenen engen Freundeskreis im Lokal gewesen und habe sich später zu der Gruppe um Pilnacek gesellt. Die nun veröffentlichten Aussagen habe er aber nicht wahrgenommen. Sie müssten vor seinem Besuch erfolgt sein.

Über die Urheber der Aufnahme ist indes noch nichts bekannt. ÖVP-Generalsekretär Stocker brachte den Politikberater und Ex-Politiker Petzner als einen der Hintermänner ins Spiel. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch sagte er: "Ich darf darauf verweisen, dass Stefan Petzner eine Ankündigung gemacht hat, die jetzt in einem anderen Licht erscheint." Anschließend spielte er auf einen TV-Auftritt an, in dem Petzner sagte: "Auf den Herrn Sobotka kommt noch einiges zu, er weiß es nur noch nicht." Sobotka werde zurücktreten müssen. Die TV-Aufnahme von oe24.at stammt laut Stocker vom 6. November 2022, der bekannt gewordene Mitschnitt vom 28. Juli 2023.

"Gibt es einen Zusammenhang in dieser Zeitleiste?", fragte Stocker auf der Pressekonferenz. Es erhöben sich einige Fragen, die beantwortet werden müssten, zum Beispiel woher Petzner diese Informationen habe. Er unterstelle nichts, sondern stelle Fragen. Ähnlich wie schon am Dienstagabend sprach Stocker von "KGB- und Stasi-Methoden". "Diese Methoden haben in der Vergangenheit in unserer Republik großen Schaden angerichtet", sagte er. Außerdem verwies er auf Aussagen Pilnaceks im Untersuchungsausschuss, in denen dieser zurückgewiesen habe, dass es Versuche gegeben habe, die Justiz politisch zu beeinflussen. Wenn auf der einen Seite eine illegale Tonaufnahme und auf der anderen Seite Aussagen unter Wahrheitspflicht stünden, dann glaube er Letzteren. Er habe Pilnacek als untadeligen Beamten gekannt. (APA, Muzayen Al-Youssef, Milena Wurmstädt, miwi, 22.11.2023)