Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP).
Wolfgang Sobotka denkt nicht daran, den Sessel zu räumen. Auch diese Krise will er aussitzen – als Nationalratspräsident.
APA/EVA MANHART

Die Causa Tape hat einen unerwarteten Nebenstrang: Das Aufkommen der heimlich aufgenommenen Tonbandaufnahme und die darauf geäußerten Vorwürfe des verstorbenen Top-Juristen Christian Pilnacek gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) haben die Koalition stabilisiert. In der ÖVP wie auch bei den Grünen geht so gut wie niemand mehr davon aus, dass früher gewählt wird. Die Erklärung dafür lautet: Wenn die Koalition selbst diese Affäre übersteht, übersteht sie alles bis Herbst 2024. Und dann wird ohnehin regulär gewählt. "Alle haben sich mit dem Elend dieser Regierung abgefunden", formuliert es ein türkiser Funktionär.

Die türkis-grüne Koalition habe sich "einzementiert", ist mehrfach zu hören. "Die Grünen haben sich festgelegt, dass sie mit uns weitermachen wollen – trotz allem, trotz Sobotka", sagt ein Türkiser. "Wenn nicht noch etwas richtig Arges passiert, sehe ich für niemanden in der Koalition mehr einen strategischen Vorteil darin, früher als nächsten September zu wählen."

Dennoch fragen sich viele – auch bei den Grünen –, warum die Kanzlerpartei an Sobotka so vehement festhält. Zu dieser Frage kursieren diverse Theorien innerhalb und außerhalb der Volkspartei – und unterschiedliche Meinungen, ob der türkise Umgang mit der jüngsten Affäre wirklich geschickt ist.

Um die Stimmung in der ÖVP auszuloten, hat sich der STANDARD unter türkisen Politikerinnen und Politikern aus ganz Österreich umgehört. Niemand wollte namentlich in einem Artikel über den "ÖVP-Problembären" Sobotka vorkommen. Die Sache sei zu brisant.

"Du hast es nie odraht"

Nur einen lässt das alles offenbar kalt: Wolfgang Sobotka persönlich. Er hat entschieden, dass die Sache erledigt ist. "Zuallererst möchte ich dezidiert festhalten, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe in keiner Weise der Wahrheit entsprechen", stellte der Parlamentspräsident am Donnerstag klar.

Ganz so einfach lässt sich die Affäre aber nicht abschütteln. Auf dem bekannt gewordenen Audio-File des Ex-Justiz-Sektionschefs wurde Sobotka schwer belastet. Darauf war die Klage Pilnaceks zu hören, Sobotka habe ihm vorgeworfen, Ermittlungen gegen die ÖVP nicht verhindert zu haben. Im Wortlaut erklärte der einst mächtige Beamte seinen Freunden im Wirtshaus: "Und in jedem Gespräch sagt der Sobotka: Du hast ja selber versagt, du hast es nie odraht."

Die Staatsanwaltschaft Wien prüft einen Anfangsverdacht gegen Sobotka, ob eine Bestimmung zum Amtsmissbrauch vorliegt. Sobotka denkt nicht daran, den Sessel zu räumen – und auch Parteichef und Kanzler Karl Nehammer spricht ihm sein Vertrauen aus.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sobotka seine Partei in die Bredouille bringt. In einer anderen Causa ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn – da geht es um mutmaßlichen Postenschacher. Thomas Schmid, der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, behauptet, Sobotka habe bei ihm interveniert. Warum trennt sich die ÖVP also nicht einfach von Sobotka?

Fünf Thesen, warum Sobotka noch immer Nationalratspräsident und damit der zweitmächtigste Mann Österreichs ist:

1. Bloß kein Präzedenzfall!

In der ÖVP wird argumentiert, dass ein Rückzug Sobotkas, auch wenn er aus eigenen Stücken käme, als Schuldeingeständnis interpretiert würde. Oder noch schlimmer: Es könnte daraus gefolgert werden, dass auch alle anderen, gegen die in der ÖVP Verfahren laufen und Vorwürfe erhoben wurden, zurücktreten müssten. Also müsse Sobotka die Sache – quasi zum Wohle der Partei – aussitzen. "Was hätte die ÖVP davon, wenn er jetzt zurücktritt, was würde das unmittelbar besser machen?", fragt ein türkiser Funktionär im Schutz der Anonymität. Die Antwort: nichts. Die Situation würde dadurch innerparteilich bloß zu noch mehr Chaos führen.

2. Niederösterreichs Stahlhelme

Ein Rückzug entspreche nicht Sobotkas "Naturell". Aufzugeben gehöre einfach nicht zum Selbstverständnis der "niederösterreichischen Stahlhelmfraktion", aus der Sobotka kommt, formuliert es ein anderer ÖVP-Funktionär. Es gehöre seit Jahrzehnten zur politischen Kultur der Volkspartei Niederösterreich, so mit Krisen umzugehen: eisern. Andere in der ÖVP wenden ein, das Sobotkas Rückhalt aus Niederösterreich überschätzt werde. Immerhin sei Sobotka 2016 vor allem deshalb nach Wien ins Innenministerium geholt worden, um seine Ambitionen auf den Landeshauptmannsessel in Niederösterreich endgültig zu beenden.

Es gibt in der Bundes-ÖVP aber auch Funktionäre, die Sobotka zeitnah zu einer Art "Soft-Rücktritt" bewegen wollen. Es scheint mittlerweile eine ausgemachte Sache zu sein, dass der 67-jährige Niederösterreicher bei der kommenden Nationalratswahl nicht mehr auf der türkisen Wahlliste aufscheinen wird. Nur öffentlich gesagt hat Sobotka das noch nicht. Zu diesem Schritt wollen manche den Nationalratspräsidenten nun bewegen, um Druck aus den Pilnacek-Enthüllungen zu nehmen.

3. Die "Eh schon wurscht"-These

Ein Teil der Türkisen hat mittlerweile den Blues. Nach dem, was in den vergangenen Monaten auf die Partei eingeprasselt ist – von peinlichen Wortspenden des Parteichefs über Burger bis zur Affäre Sobotka –, hat viele der Fatalismus erfasst.

"Es ist eigentlich eh schon wurscht, ob er bleibt oder nicht, bei all unseren Schwierigkeiten und denen, die noch kommen könnten, kann es fast nicht schlimmer werden", sagt ein Ex-ÖVP-Politiker. "Auch wenn Sobotka geht, dann kommt in den nächsten Wochen wieder irgendetwas daher, dann steht halt der Karl Nehammer im Visier der Gegner."

4. Es gibt keinen Beweis

Böse Zungen sagen so: Irgendwann glaubt jeder in der Politik die eigene Propaganda. Aber es gibt sie natürlich, die Funktionärinnen und Funktionäre, die fest davon überzeugt sind, dass die ÖVP seit langem verfolgt wird – von der Justiz, von Gegnern.

In der Causa Sobotka haben sich in der Volkspartei zwei Lager gebildet. Das eine setzt sich eher aus Jüngeren zusammen. Sie stehen einem Verbleib Sobotkas skeptisch gegenüber. Die anderen, die Mehrheit, habe den Politausstieg von Sebastian Kurz im Kopf und wolle sich nicht auch noch Sobotka "herausschießen" lassen. Schließlich ist nichts bewiesen. "Da geht es ums Prinzip, da stehen Dinge im Raum, die nicht bewiesen sind und die gezielt gegen uns verwendet werden", schimpft ein Funktionär. Es gehe auch um die "illegalen Methoden, mit denen die ÖVP fertiggemacht" werden soll.

5. Sobotka weiß zu viel

Vor allem in Oppositionskreisen wird auch die These lanciert, Sobotka könne deshalb nicht aus der Partei hinausgeschmissen werden, weil er zu viel wisse. "Man darf ja nicht vergessen, dass Sobotka das Kurz-System geschaffen hat. Er hat so viele Informationen, er weiß einfach zu viel über wichtige Akteure in der ÖVP ", so der Tenor eines Oppositionellen. In der ÖVP selbst wird das weitgehend nicht so apokalyptisch gesehen. Selbst wenn ihn die Volkspartei fallen ließe, würde er nicht eine Vendetta gegen die eigene Partei planen. "So einer ist der Wolfgang nicht", sagt ein Türkiser. "Selbst im Ärger würde er die Partei nicht in Abgrund stürzen."

Und dann kommt noch ein Faktor hinzu, wie eine ÖVP-Funktionärin anmerkt: Kanzler Nehammer, Sobotka und ÖVP-Klubchef August Wöginger seien "engste Freunde". "Der Karl würde ihn niemals fallen lassen." (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, 24.11.2023)