"Es ist extrem problematisch, wenn wir denken, wir werden wegen einer Diskriminierungskategorie genommen, wenn wir denken, wir waren nicht die Beste oder der Beste. Bitte macht das nicht! Was sich jetzt ändert, ist, dass sich eine Firma nicht mehr schmücken will, sondern das Beste sucht. Früher waren das weiße Männer, weiße Frauen. Jetzt wird hinterfragt, was fehlt. Greifen wir uns alle an der Nase: Wir bringen Perspektiven in Unternehmen, die früher noch nicht da waren!"

Diskussionsgruppe sitzt in einem Fishbowl in der Mitte des Raumes, Studierende rund herum
Am Mikro im Alten AKH in Wien: Denise-Celine Pfneiszl (Talent & Development Associate, PWC). Weiters (gegen den Uhrzeigersinn): Melissa Koller (Projektmanagerin Recruiting, österreichische Post AG, Lioba Geier (Assistenz Inclusion & Diversity, ÖBB), Moderatorin Karin Bauer (DER STANDARD) und Sibel Ada (Speciality Care, GSK).
Regine Hendrich

Sibel Ada appelliert eindringlich an die vielen Studierenden, die sich skeptisch zeigen zur Wahrhaftigkeit der Anstrengungen der Wirtschaft in Sachen Diversity & Inclusion. Sie selbst ist seit kurzem beim Pharmakonzern GSK in Wien beschäftigt. Sibel gibt zu, dass es sie überraschte, niemals auch nur einmal gehört zu haben, sie möge ihre Piercings entfernen oder ihre Tattoos bedecken, wenn sie zu Ärztinnen und Ärzten mit der GSK-Visitenkarte geht.

Überzeugt, weil selbst erlebt

Zudem, erzählt die Doktorin der Hirnforschung, habe sie sofort einen Platz im Diversity-Council erhalten und gendergerechte Sprache verwirklichen dürfen, was sie auch für die Patientenschaft für inkludierend hält. Sibel ist für "Speciality Care" zuständig, vernetzt GSK und die Fachmedizin im wissenschaftlichen Austausch. Ob sie genau hingeschaut habe, bevor sie unterschrieb? Natürlich, sagt die Aktivistin im intersektionalen feministischen Verein Sorority. "Mit der Intersektionalität, die ich selbst habe!", setzt das Kind einer türkischen Migrantenfamilie aus dem Arbeitermilieu nach. Sibel ist überzeugend, mitreißend.

Nach und nach schlägt die skeptische Grundhaltung bei den rund 120 Studierenden der Uni Wien um in erstauntes Zuhören. Denise-Celine Pfneiszl hat nach der Wirtschaftsuni und ihrer Spezialisierung auf Diversitätsmanagement im Executive Search, Personalberatung im Führungskräftebereich, begonnen. Dort habe der jungen Frau die verlangte Anpassungsleistung (etwa: keine Piercings) nicht getaugt. Nun, beim Beraterhaus PWC als Talent & Development Associate, werde ihre Stimme gehört, ebenso wie jene von Personen, die im Unternehmen etabliert und schon lange dabei seien.

Denise ist sich bewusst, dass die Partner-Ebene männlich dominiert sei. "Es dauert, man muss die Leute überzeugen, jeden Tag ein bisschen. Wir schauen, wo die Leute am ehesten hängen bleiben, es geht voran, aber es dauert – so lange wurden gewisse Personen bevorzugt", gibt sie sich nicht nur enorm engagiert, sondern auch geduldig. "Ja, geduldig muss man sein."

Anliegen und Geduld

Lioba Geier hat nach zwei Praktika bei der ÖBB als Assistenz im Lösungscenter Inclusion & Diversity angeheuert. Würde sie gehen, wenn viel versprochen und wenig gehalten wird? Lioba bejaht. Allerdings, lacht sie: "Man hat eine kritische Perspektive, und die behält man auch. Ich stolpere immer wieder darüber, was wir alles haben. Und es ist toll, dass wir unser Wissen und unsere Fortschritte auch mit anderen Unternehmen, Organisationen teilen." Geduld sei auch ihre Tugend. Vereinbarkeitsstrategien beispielsweise seien für 42.000 Mitarbeitende eben nicht so schnell und leicht umzusetzen im Schichtbetrieb. "Die Lösung kommt durch Menschen und ihre Erfahrungen." Das könne sie einbringen, das könne sie befördern.

Dieses Selbstbewusstsein teilt auch Melissa Koller, Projektmanagerin Recruiting bei der Post AG. Gerade in ihrer Rolle habe sie Gestaltungsspielraum. "Kommunikation ist der Schlüssel. Besser werden können wir natürlich immer, aber wir haben schon sehr viel erreicht." Grundsätzlich, sagt sie, falle ihr auf, dass das Thema Gendern in Unternehmen noch für viel Diskussion sorge, was sich auch in Jobinseraten niederschlage.

Die vier Jungen sprechen leidenschaftlich über ihre Arbeit, ihren Beitrag in ihren Unternehmen. Sie treten nicht als gestellte Werbe-Testimonials auf, sie stellen sich persönlich mit ihren Erlebnissen und Eindrücken zur Verfügung und zur Diskussion. Das kommt bei den studierenden Kolleginnen und Kollegen gut an.

Diskutierende sitzen in der Mitte des Raumes in einer Fishbowl mit dem Publikum
Von links gegen den Uhrzeigersinn: Barbara Redlein (Partnerin und interner Lead Inclusion & Diversity, PWC), Stefanie Wunsch (Leiterin Recruiting, Österreichische Post AG), Katarina Roder (Infra Leiterin Personalentwicklung und Kultur, ÖBB), Moderatorin Karin Bauer (DER STANDARD) und Neil Davidson, General Manager des Pharmakonzerns GSK in Österreich.
Regine Hendrich

Die vier Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber GSK, PWC, ÖBB und Post unterlassen in ihrer Diskussionsrunde ebenfalls Werbebotschaften. Sie tun sich nicht schwer, mit all ihren Angeboten eines Konzerns glaublich darzulegen, dass sie es ernst meinen mit Diversity & Inclusion. Sie haben viel zu berichten von ihren internen Anstrengungen, Equal Pay faktisch sicherzustellen, nicht nur in rechnerischen Korridoren; sie erzählen von ihren Zusatzangeboten für Elternurlaube, Gesundheit, mit ihren Netzwerkgruppen oder dem Sichtbarmachen der queeren Community.

Der Chef ändert viel

Neil Davidson, General Manager der GSK in Österreich, outet sich selbst als Mitglied der LGBTIQ-Community und ist überzeugt, dass der "tone from the top" noch einmal mehr Schub für Inklusion bringe. Für Barbara Redlein (PWC) ist im Weltkonzern die ethnischer Diversität kein Thema, allerdings gibt sie unumwunden zu, in Sachen Barrierefreiheit für Menschen mit körperlichen Behinderungen noch nicht dort zu sein, wo sie wolle.

Dass junge Menschen ruhig auch über ihre eigenen Vorstellungen von Unternehmen drübersteigen sollten, rät Stefanie Wunsch, Leiterin Recruiting bei der österreichischen Post. Sie selbst habe sich gar nicht vorstellen können, bei einem so "traditionellen und konservativen" Unternehmen zu arbeiten. Doch einmal reingeschnuppert – und sie sei überrascht gewesen, dass es ganz anders ist als angenommen. Katarina Roder, zuständig für Personalentwicklung und Kultur in der Infrastrukturgesellschaft der ÖBB, teilt eine ähnliche Erfahrung. Sie sei zur ÖBB gekommen mit der Erwartung, was sie in diesem männlich dominierten Konzern alles umsetzen werde. "Dann habe ich gesehen: Oh, haben wir ja schon, das haben wir auch schon, das und das auch ..."

Fast zwei Stunden lang wird am vergangenen Donnerstagabend bei diesem Jobtalk, veranstaltet vom Karrierezentrum Uniport, offiziell diskutiert. Dann geht's informell bei Erfrischungen noch lange weiter. (Karin Bauer, 30.11.2023)