Die große Vertrauenskrise, die sich schon länger aufgebaut hat und mit der Corona-Pandemie so richtig über die Wissenschaft hereingebrochen ist, hält in der österreichischen Bevölkerung an – wenn auch mit leicht positiven Vorzeichen. Das hat das Wissenschaftsbarometer der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW) ergeben, das im Vorjahr erstmals erhoben wurde, auch infolge der im Europavergleich katastrophal hohen Wissenschaftsskepsis.

Grafik zu Vertrauen in Wissenschaft

In der heurigen zweiten, repräsentativen Erhebung bietet sich ein Vergleich an: Immerhin 73 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher haben Vertrauen in Wissenschaft und Forschung, das sind um drei Prozent mehr als 2022. Doch die Zahl der Skeptiker und tendenziell Zweifelnden ist mit einem guten Viertel der Bevölkerung festgefahren. Sechs Prozent vertrauen wenig oder gar nicht in die heimische Wissenschaft und Forschung – im letzten Jahr waren es sieben. Für die Umfrage wurden 1.500 Österreicherinnen und Österreicher im September online und telefonisch befragt. Bei einer eingehenderen Untersuchung zeigte sich, dass Menschen, die sich insgesamt als "zufrieden" bezeichnen, weitaus mehr Vertrauen haben als solche, die grundsätzlich "unzufrieden" sind.

Als Gründe für den minimalen Aufwärtstrend vermutet ÖAW-Präsident Heinz Fassmann die Verleihung des Nobelpreises an Quantenphysiker Anton Zeilinger im Vorjahr und an den österreichisch-ungarischen Physiker Ferenc Krausz in diesem Jahr, aber auch die Rücknahme aller Corona-Maßnahmen. Der Nobelpreis-Effekt spiegelt sich womöglich auch beim unterschiedlichen Vertrauen in verschiedene Wissenschaftsdisziplinen wider: Hier sind Mathematik sowie Physik und Chemie mit knapp 80 Prozent vertrauensvoller Zustimmung an der Spitze, gefolgt von Medizin und Pharmazie mit 70 Prozent.

Ein Protestschild bei einer Demo gegen Coronaleugner in Oldenburg 2022:
Ein Protestschild bei einer Demo gegen Corona-Leugner in Oldenburg 2022. Während der Pandemie hat sich auch in Österreich die Wissenschafsskepsis verfestigt.
IMAGO/Eibner

Am Ende der Skala liegen Ökologie- und Klimaforschung, in die nur 58 Prozent vertrauen, sowie die Wirtschaftswissenschaften und als Schlusslicht die Informatik und künstliche Intelligenz (KI), die einzige Disziplin, der mit 51 Prozent weniger Vertrauen entgegengebracht wird als im Vorjahr. Diese Felder seien Teil eines kontroversen Politikdiskurses und werden daher als politiknäher wahrgenommen, was wiederum das Vertrauen schwächt, interpretiert Fassmann die Ergebnisse. Insbesondere die Klimaforschung, die besonders kontrovers wahrgenommen werde, sollte Abstand zum tagespolitischen Geschehen wahren, um mehr Vertrauen zu gewinnen, sagte Fassmann zum STANDARD.

Hausverstand sticht

Wie einbetoniert ein gewisser Hang zur Wissenschaftsskepsis in der heimischen Bevölkerung ist, zeigt die Frage, ob wir uns mehr auf den "gesunden Menschenverstand" verlassen sollten und weniger auf wissenschaftliche Studien. Dem stimmen weiterhin 38 Prozent zu, während 30 Prozent nicht damit einverstanden sind. 61 Prozent glauben, dass der Einfluss von Politik auf die Wissenschaft "viel zu groß" oder "eher zu groß" ist. "Wir müssen nachdenken, wie wir mit diesen Urteilen und Vorurteilen umgehen können", folgert Fassmann.

Grafik zu Vertrauen in die Wissenschaft
ÖAW Wissenschaftsbarometer 2023

Zwar finden 77 Prozent, dass Wissenschaft und Forschung unser Leben verbessern und noch 57 Prozent, dass der Nutzen von Wissenschaft und Forschung größer ist als möglicherweise auftretende Schäden. Dass 43 Prozent angeben, dass sich durch Wissenschaft unser Leben zu schnell ändert, sei ein Signal, dass Forschende neue Technologien immer wieder verständlich und differenziert erklären müssten und somit Themen wie KI, die viel Verunsicherung erzeugen, nicht "Skeptikern und Panikmachern" zu überlassen, sagt Fassmann.

"Systemisch Unzufriedene"

Um zu ergründen, wodurch sich das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, aber auch gegenüber Politik und generell den "Eliten" speist, wurde heuer eine Spezialauswertung erstellt, die sich mit dem Anteil der "systemisch Unzufriedenen" befasst. Diese Gruppe, die sich nicht allein aufgrund demografischer Eigenschaften wie Alter und Einkommen erklären lasse, macht der Befragung zufolge 16 Prozent aus und hat eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft, wie Andrea Fronaschütz ausführte, Geschäftsführerin von Gallup Österreich, das die Umfrage durchführte.

Die "Unzufriedenen" eint, dass sie so gut wie kein Vertrauen in die Medien haben, tendenziell die Covid-Impfung ablehnen und FPÖ-affin sind. Außerdem seien eher Frauen unter den Skeptischen, was Fronaschütz darauf zurückführt, dass Frauen noch immer unterrepräsentiert in technischen Berufen seien. Im Vergleich zu den "Zufriedenen", die mit 35 Prozent beziffert werden, vertrauen die "Unzufriedenen" der Wissenschaft und deren Vertreterinnen und Vertretern insgesamt weniger und hegen auch großes Misstrauen gegenüber der Medienberichterstattung über Wissenschaft und Forschung.

Wissenschaftsbarometer Österreich
Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Wissenschaftsbarometer 2023
Österreichische Akademie der Wissenschaften

Dass aber knapp 80 Prozent der Unzufriedenen der Ansicht sind, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Öffentlichkeit über ihre Arbeit informieren sollten, zeigt für Fassmann, dass die Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit intakt sei. "Wir müssen herausfinden, welche Botschaften in welcher Form und auf welchen Kanälen die skeptischen Menschen am besten erreichen können", sagt der ÖAW-Präsident. Dazu müssten die Forschenden viel mehr hinausgehen, Überzeugungsarbeit leisten und auch die sozialen Medien dazu nutzen. (Karin Krichmayr, 27.11.2023)