Mönche und Ethnologe Nebesky-Wojkowitz
Nebesky-Wojkowitz gilt als Ethnologe an der Schwelle zur postkolonialen Forschung. Er begegnete den Menschen, über die er forschte, auf Augenhöhe. Niebuhr, Gaenszle und Schicklgruber im Depot des Weltmuseums.
Christine Nebesky-Wojkowitz 1958 (c) Himalaya Archive Vienna, Schenkung Wolfgang Lorenz

"Ich hol schnell den Indra." Christian Schicklgruber entschwindet in die verwinkelten Gänge des Weltmuseum-Depots, während Uwe Niebuhr und Martin Gaenszle weiter zwischen Regal 2 und 3 stöbern. "Nepal und Bhutan" steht auf den zwei Reihen. Niebuhr hebt eine schwere Ritualkette aus Muscheln aus einer Lade, Hühnerfüße hängen an einem Ende. Gegenüber grinst eine feuerrote Maske den Betrachter an. Und wenn man die kleine Holzdose daneben aufmacht, dann riecht man noch die ranzige Butter, die im Himalaja so allgegenwärtig ist.

Alltagsgegenstände

Bei den vielen Objekten handelt es sich um Alltagsgegenstände, erklären die Forscher. Es sind keine wertvollen Schätze, sondern einfache Dinge, die in den 40ern und 50ern im Himalaja von den Menschen verwendet wurden – und die es in vielen Fällen heute auch noch so gibt. Sogar der überdimensionierte Schneebesen aus Holz und Lederriemen könnte heute noch so angetroffen werden.

"Und das", Niebuhr zieht einen mit tibetischen Stickereien und Pelz besetzten Hut aus dem Regal, "das ist Nebeskys privater Hut." Nebesky ist der Forscher Nebesky-Wojkowitz, der die meisten der Gegenstände ins Weltmuseum (damals Museum für Völkerkunde) gebracht hat. Schicklgruber kommt mit einer Patina-überzogenen Indra-Statue zurück. "Andere müssen jahrzehntelang dafür meditieren, wir holen ihn halt einfach", lacht der Vizedirektor des Museums. Die bronzene Statue ist das einzige Objekt, das Nebesky mitgebracht hat, das über das Forschungsinteresse hinaus materiellen Wert hat, erklärt er.

Mehr Brückenbauer als Sammler

Nebesky war zeit seines Lebens eng mit dem Museum verbunden. Wenn er auf Reisen in den Himalaja aufbrach, dann gehörte das Sammeln fürs Museum fast zum Job dazu. "Damals hat man das so gemacht", erklärt Gaenszle, Professor i. R. für Moderne Südasienkunde an der Uni Wien. Man konnte sich damit seinen Lohn aufbessern – oder überhaupt die Reise finanzieren. Die Objekte, die Nebesky von seinen Reisen mit nach Wien brachte, sind heute wichtiger Grundstein der Himalaja-Sammlung des Museums.

Dabei war die reine Objektsammlung bestimmt nicht Hauptfokus von Nebeskys Arbeit. Der tschechisch-österreichische Wissenschafter kann viel eher als Brückenbauer zwischen den Disziplinen bezeichnet werden. Nebesky war einer der Ersten, die die textbasierte Philologie und die ethnografische Feldforschung miteinander verbanden – und hat somit bis heute große Nachwirkung auf die weitere Entwicklung der Himalaja-Forschung.

In einem großen Forschungsprojekt haben fünf Wissenschafter von 2018 bis jetzt seinen umfangreichen Nachlass aufgearbeitet, unter der Leitung Gaenszles. Nebeskys Leben war zwar kurz – er verstarb ganz plötzlich im Alter von 36 Jahren –, doch der Himalaja-Forscher war äußerst produktiv. Neben 40 wissenschaftlichen Publikationen sammelte Nebesky etliche Stunden an Audio- und Videomaterial und hunderte Fotos.

Niebuhr, Gaenszle und Schicklgruber im Depot des Weltmuseums.
Niebuhr, Gaenszle und Schicklgruber im Depot des Weltmuseums.
Standard/Anna Sawerthal

Interesse an gelebter Praxis

Geboren wurde Nebesky-Wojkowitz 1923 in Velké Hoštice. Sein Vater war Tscheche, seine Mutter Deutsche. Schon als Kind zog er oft um. Während des Zweiten Weltkriegs musste er ab 1943 bei Berlin als medizinischer Soldat für die Wehrmacht arbeiten, im Zuge dessen absolvierte er ein Medizinstudium in Berlin. Nach dem Krieg lernte er in Salzburg einen Tibetologen kennen, der sein Interesse für Tibet entfachte. 1946 inskribierte er in Wien Orientalische Philologie mit Tibetisch als Schwerpunkt und unternahm ab 1950 drei große Forschungsreisen in den Himalaja.

So wie viele Tibet-Forschende damals zog es auch Nebesky ins indische Kalimpong im Osthimalaja. In Kalimpong begann Nebesky, ein besonderes Interesse an gelebter Praxis, und da vor allem an tibetischen Schutzgottheiten zu entwickeln. Gemeinsam mit mehreren tibetischen Gelehrten begann Nebesky, jene Wesen zu katalogisieren. Die Arbeit kulminierte 1955 in seinem Opus magnum, dem Buch "Oracles and Demons of Tibet".

"Der Index ist wirklich unglaublich", zeigt sich Schicklgruber von dem Werk begeistert. Wenn man heute etwa in Bhutan fragt: "Wie heißt eure Schutzgottheit?", findet man diese in Nebeskys Index. Die ikonografische Beschreibung passt immer mit der in den Tempeln zusammen. Da kommt eine gewisse Freude am Wiedererkennungswert auf, meint er lachend: "Der hat wirklich vier Hände und wirklich die und die Farbe!"

Der Zorn der Schutzgottheiten

Unter Tibetern wird das teils anders verhandelt: Es hält sich hartnäckig die Erzählung, dass manche Tibeter davon überzeugt sind, dass Nebesky-Wojkowitz den Zorn der Schutzgottheiten auf sich gezogen hat. Manche Tibeter würden Nebeskys frühen Tod gar auf seine Arbeit zurückführen.

Denn tragischerweise verstarb Nebesky-Wojkowitz ganz plötzlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere an Lungenembolie. Sein Tod im Juli 1959 löste weltweite Betroffenheit aus. "Er ist einfach zu bald gestorben", sagt Schicklgruber. "Man kann ja nur davon träumen, was da noch alles gekommen wäre." Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten hielt Nebesky auch Diavorträge in der Wiener Stadthalle und pilgerte mit seinen Vorträgen von Italien bis Schweden.

Wenn sich sein Geburtstag heuer zum 100. Mal jährt, werden die Forscher seinen Nachlass am 12. Dezember mit einem öffentlichen Symposium würdigen. Auch das eine oder andere Objekt der Sammlung wird dabei zu sehen sein: der riesige Schneebesen oder die Indra-Statue. "Eigentlich beginnt die Arbeit jetzt erst", meint Gaenszle. Denn das Projekt hat den Nachlass erstmals erschlossen – nun wartet das Material auf weitere Erforschung. (Anna Sawerthal, 2.12.2023)