Das winterliche Wetter und die Verlagerung der meisten Aktivitäten in Innenräume mit schlechter Luft lassen ein Thema wieder hochkochen, das die meisten Menschen in Österreich schon fast vergessen hatten. Das Coronavirus bäumt sich aktuell zu einer Welle auf, die in Verbindung mit anderen Erregern die Krankenstandszahlen beachtlich zum Steigen bringt.

Gesundheitsminister Johannes Rauch rät, wieder Masken zu tragen, und stößt damit auf taube Ohren.
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In den Spitälern, die vielfach unter Personalmangel stöhnen, werden erneut FFP2-Masken vorgeschrieben. Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) empfiehlt diese wieder – etwa in überfüllten Öffis. Doch sein vernünftiger Rat im Interesse vor allem vulnerabler Personen stößt auf taube Ohren. Gefühlte 99 von 100 Fahrgästen drängen sich unverhüllt in Bussen und Bahnen.

Persönliche Risikoeinschätzung

Warum ist das so? Wie ist diese kollektive Wurschtigkeit zu erklären? Es hat wohl viel mit persönlicher Risikoeinschätzung zu tun. Viele Menschen gehen davon aus, dass für sie die Gefahr, schwer an Covid zu erkranken, gering ist. Im Fall geboosterter Personen mit gesundem Immunsystem stimmt das ja auch.

Hinzu kommen Phänomene des Gruppendrucks und der Verdrängung. Wer sich die Maske in der Öffentlichkeit aufsetzt, fällt auf – und erinnert die anderen damit an die höchst unangenehme Pandemiezeit. Auch die nach wie vor autoritätsorientierte Grundeinstellung im Land dürfte hier mit hineinspielen. Was nicht explizit angeordnet ist, wird gern ignoriert.

Über alldem jedoch sollten die Fehler des offiziellen Corona-Managements nicht vergessen werden. Sie haben einen sachlichen Diskurs über den Umgang mit dem Virus stark erschwert. Der von der Regierung in Auftrag gegebene Maßnahmenaufarbeitungsbericht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der zeitnah veröffentlicht werden soll, unterschlägt sie hoffentlich nicht.

No-win-Situation

Da inszenierte sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Covid-Checker und Retter, bevor er chatbedingt politisch in der Versenkung verschwand. Es folgten eine undurchdachte Impfpflicht, die – ohne je exekutiert worden zu sein – wieder abgeschafft wurde, sowie – der Gipfel nicht umsetzbarer Regelungen – ein Lockdown für Ungeimpfte.

Hinzu kamen Verordnungen, die viele zu Recht als überschießend erlebten und die vom Verfassungsgerichtshof in der Folge auch aufgehoben wurden: vom Verbot, Kinderspielplätze zu betreten, bis zu vorgeschriebenen Einmeterabständen im Freien. Regierung und Behörden seien zu sinnvoller Corona-Politik unfähig, schloss daraus so mancher.

Von dort war es vielfach nicht weit in den Schoß des großen politischen Profiteurs der Seuchenzeit: der FPÖ, die damit das Erbe der Antimaßnahmenpartei MFG übernahm. FPÖ-Chef Herbert Kickl habe erkannt, dass der Corona-Unmut gut zum rechten Spin des "Die da oben gegen wir da unten" passt, sagt die Diskursforscherin Ruth Wodak. Dabei sei er taktisch klug vorgegangen und habe die ausgeprägte Wissenschaftsskepsis im Land für seine Ziele instrumentalisiert.

Das Ergebnis schlägt sich bis heute in den hohen Umfragewerten der Freiheitlichen nieder und erklärt diese zum Teil. Für die aufklärerischen Kräfte in Österreich ist das eine No-win-Situation, die dennoch nach vernünftiger Corona-Politik verlangt. Doch eine breit angelegte Corona-Booster-Kampagne sucht man nach wie vor vergebens. (Irene Brickner, 4.12.2023)