Mara Feißt macht gemeinsam mit Christina und Stephan Stahl vom Kommod das Café Azzurro – und den Urban-Loritz-Platz damit um Eckhäuser schöner!
Mara Feißt macht gemeinsam mit Christina und Stephan Stahl vom Kommod das Café Azzurro – und den Urban-Loritz-Platz damit um Eckhäuser schöner!
Gerhard Wassrbauer

Ja, Paris, da kommen einem oft die guten Ideen. Ist bei Stephan und Christina Stahl vom Kommod in der Strozzigasse nicht anders. In Paris fühlen sie an den eng gestellten Tischen der Bistros oftmals ein erquickendes Prickeln – wie wenig sich da fantastisches Essen, hoher Lärmpegel und marginaler Komfort widersprechen, wie kompromisslos jugendlich die Hütten der neuen Kochgeneration trotz ziviler Preise bei der Produktqualität sind. "Warum sollten die Wiener auf sowas nicht auch gewartet haben?" war die Frage, die sich Stephan Stahl stellte. Und weil er gerade in Paris war, beschloss er, es einfach auszuprobieren.

Okay, der Urban-Loritz-Platz ist der Postleitzahl nach eh ganz brav im Siebenten. Wie Hipster Central fühlt es sich hier, wo der Gürtel achtspurig vorbeibrettert und das Wachzimmer lange als belebtester Ort des ganzen Platzes gelten durfte, echt nicht an. Aber räudig ist ja auch sexy, außerdem kann man der Sonne hier, auf Hausnummer fünf, so lange beim Untergehen zusehen wie sonst nur an der idealsten Biegung des Donaukanals. Die vergangenen 30 Jahre war das die Pizzeria Azzurro, von der durfte der Name bleiben. Davor angeblich das Klubsekretariat des Fußballklubs Rapid – zeigt wieder einmal, dass auch vom Schicksal gebeutelte Locations irgendwann zu Orten der Schönheit werden können.

Essen? Sensation.

So einer ist das Café Azzurro geworden. Die Stahls haben gemeinsam mit Sommelière Mara Feißt einen Ort daraus gemacht, wo man beim Zahlen schon den nächsten Tisch reservieren möchte. Sollte man auch, die Hütte ist vom ersten Tag an nämlich genauso dicht besetzt, wie sie sich das in den Pariser Träumen vorgestellt hatten. Sie machen aber auch wirklich alles richtig.

Die Farbe der hohen Gewölbedecke wurde abgescheuert, darunter kam ein ziemlich brandungsmäßiges Meeresblau zum Vorschein, beim Möbelblau wurde eher an Yves Klein gedacht, so ein bisserl zumindest. Die eigentliche Sensation ist aber, neben der wunderbar entspannten Stimmung, was aus der Küche kommt. Da ist Stephan Stahl zugange, wenn er nicht gerade mit Gästen plaudert. Geht sich gut aus, weil er mit dem studierten Philosophen Luis Prenninger einen "extrem talentierten" Quereinsteiger an der Seite hat, und mit Janek Estermann einen Koch mit Wiener Sterneküchen-Erfahrung – was der aber keinesfalls weiterempfehlen möchte.

Brauchen wir eh nicht, solange es Gerichte wie die Kohlrolle mit Erdäpfel-Pilz-Fülle und Krenmousseline gibt, eine vegetarische Interpretation des Krautwicklers von ideal bemessener aromatischer Wucht und köstlichem Biss, meisterlich. Oder Prager Tartare, von Hand geschnitten und mit nichts als Kapern, Olivenöl und einer Idee englischem Senf (Ramsa) abgeschmeckt. Häuft man sich auf in Ochsenmark geröstetes Brot, das eh schon mit Senfkaviar, Petersil und süß geschmorten Zwiebeln belegt ist – purer Luxus, extrem gut. Luis’ Kimchi-Fleckerln interpretieren das Traditionsgericht mit selbstgemachten Flecken und hinreißend sauer-bissig-pikantem Kimchi auf gültige Weise neu, will man haben. Kaspressknödel werden, wie Stahl es einst bei Obauer gelernt hat, mit Grau- und Bergkäse abgemischt, dann ziehen sie schöne Fäden, wenn man sie aus der köstlichen Rindsuppe löffelt.

Bittersalat, ganz süß

So geht es dahin, ein Teller besser als der andere, von der jiddischen Leber (hier mit Rum, Zimt und Preiselbeer zu vorweihnachtlicher Glücksschmier’ verwandelt) über das Rahmherz mit Griesknödel (tiefe, dank Gurkerl, Kräutern und Obers ins pikant Mollige gezogene Aromen!) bis zu einem lauwarmen Salat aus Löwenzahn, Radicchio und Puntarelle (alles vom Sozialprojekt Zentrum Dorothea in Laab/Walde), der mit heißen Heurigen und Schmorzwiebel-Miso-Dressing zu einer Art Hochamt fortgeschrittener Gemüseküche komponiert wird. Groß!

Die Küche wirkt entfesselt, der Service unter Gastgeberin Mara Feißt agiert souverän, die Weinkarte ist ein Konvolut der Herrlichkeiten aus ganz Europa – was soll man sagen? Große Liebe für den Urban-Loritz-Platz! (RONDO, Severin Corti, 8.12.2023)