Godzilla Minus One
Der ehemalige Kamikazepilot Koichi geht im Nachkriegsjapan auf Monsterjagd. Das sieht schön aus, ist aber stellenweise bedenklich.
IMAGO/Everett Collection

Japan hat dieses Jahr etwas geradezurücken. Der Hype um "Barbenheimer" und die Deepfake-Darstellungen mit Barbie und Oppenheimer vor pinken Atompilzen sind in dem Land nicht besonders gut angekommen. Sogar Boykottaufrufe soll es wegen dieses Marketings der Filme gegeben haben.

Und ja, Oppenheimer wurde wohl etwas zu sehr gepriesen, dafür, dass es ein mittelmäßig geschriebener, viel zu langer Film darüber war, wie ein Wissenschafter die Atombombe erfand und sich daraufhin vor diversen antikommunistischen Komitees verantworten musste. Die japanische Opferperspektive blieb hier, abgesehen von einer kurzen albtraumartigen Sequenz, ausgespart.

Nationales Trauma

Das Trauma rund um die Atombombenabwürfe fand in Japan naturgemäß seinen Abdruck in der Populärkultur. Das bekannteste Beispiel ist das radioaktive Seemonster Gojira alias Godzilla. Mit Godzilla Minus One läuft gerade ein Neuentwurf des 70-jährigen Riesenechsen-Mythos in den Kinos. Original mit Untertiteln, und das im Multiplex-Kino.

In Japan und der internationalen Filmkritik ist Takashi Yamazakis Godzilla Minus One bereits ein Hit. In deutschsprachigen Gefilden hinterlässt der in der japanischen Nachkriegszeit angesiedelte Film wegen seines euphorischen Wiederaufrüstungsgestus indes einen schalen Beigeschmack.

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Godzilla Minus One unterscheidet sich deutlich von den Hollywoodentwürfen des Seegiganten. Zum einen ist der Film weitaus billiger, nur 15 Millionen Dollar soll er gekostet haben, was ein Klacks für Großproduktionen mit umfassenden Digitaleffekten ist. Dafür sieht der Film wirklich gut aus. Wenn überhaupt, dann wirken die digitalen Nachkriegskulissen und die massive Monstergestalt mit Minikopf in Godzilla Minus One charmant nostalgisch, nahe am Original. Mit dem blauen Meer und dem eleganten Nachkriegslook erhält der Film seinen ganz eigenen Schauwert.

Ein Kamikazepilot als Held

Der Sympathieträger des Films ist der desertierte Kamikazeflieger Koichi Shikishima (Ryonosuke Kamiki), der zu Filmbeginn (und Kriegsende) eine Attacke Godzillas nicht zu verhindern weiß und seither mit Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Sein Wohnviertel in Tokio ist zerstört – die US-Luftwaffe verübte massive Luftangriffe auf die japanische Metropole –, seine Eltern sind tot.

Eines Tages quartiert sich eine Noriko, eine junge Frau mit Findelkind, bei ihm ein. Beide bilden fortan den melodramatischen Kern des Films, und Koichi sieht sich gezwungen, als Minenentschärfer auf See Geld zu verdienen. Die Crew auf dem alten Holzkahn ist eine grundsympathische Bande Kriegsüberlebender. Während einer ihrer Missionen treffen sie plötzlich auf das Seemonster, das nun, durch die 1946 beginnenden Atomversuche der Amerikaner auf dem Bikini-Atoll, radioaktiv gestärkt und überaus aggressiv Kurs auf Tokio nimmt.

Godzilla Minus One
Für die Darstellung der Nachkriegsgesellschaft nimmt sich "Godzilla Minus One" erfreulich viel Zeit.
IMAGO/Everett Collection

Dass Godzilla quasi unbesiegbar ist, bemerkt die Crew schnell. Ebenso flott ist das Monster schon in Tokio angelangt und zerstört die wiederaufgebaute Stadt, in der die Geschäftsleute ihrer Arbeit nachgehen. So auch Noriko, die – in einem Ozu'schen Moment – von der im Kimono gekleideten Hausfrau zur Sekretärin im westlichen Kostüm aufgestiegen ist. Sie rettet Koichi, fällt aber selbst Godzillas atomarem Feuerstrahl zum Opfer. Das weckt in Koichi den dringend notwendigen Kampfgeist.

Zivile Wiederaufrüstung

Befremdlich ist nun, wie von der Wiederbewaffnung erzählt wird. Die Amerikaner sind mit den Sowjets beschäftigt, und der Staat Japan besitzt keine Armee. Also muss die Zivilgesellschaft selbst ihr Monsterproblem lösen. Es versammeln sich nun wackere Veteranen und Kriegstechnikexperten, die ihre harte Schule nicht vergessen haben und bereit sind, noch einmal für ihr Heimatland in die Schlacht zu ziehen.

Der kaiserliche Vormachtskrieg wird zwar nie gutgeheißen, aber dessen Opfer bleiben unsichtbar. Vielmehr, sagt der Waffenexperte Noda im Film, sei bedauerlich, dass der Kaiser das Leben seiner Soldaten geringgeschätzt habe, weil die technische Ausrüstung so schlecht gewesen sei. Nicht einmal Schleudersitze für die Kamikazepiloten habe es gegeben!

Einen einzigen gibt es nun – mit deutschsprachiger Beschriftung! – in dem "Shinden"-Flieger, den Koichi schlussendlich besteigt, um seinen "Moby Dick" zu besiegen. Wenn dann die klassische Godzilla-Melodie von Akira Ifukube zum finalen Kampf einstimmt, dann nickt man zwar ergriffen mit, weiß aber: Hierzulande wäre ein solcher Film undenkbar. (Valerie Dirk, 5.12.2023)