Bisher hat man es im Weißen Haus mit Zweckoptimismus probiert. Der Streit im Kongress über weiteres Geld für die Ukraine-Hilfe werde sich schon noch in Wohlgefallen auflösen, man solle das politische Spektakel nicht überbewerten. Immerhin hätten die USA ihre anhaltende Unterstützung versprochen – und das Wort der USA zähle.

Nun aber macht sich langsam auch im Weißen Haus entrische Stimmung breit. Ein Brief, den die Direktorin des nationalen Haushaltsamts der USA, Shalanda Young, an die Chefs der beiden Kongresskammern geschrieben hat, kommt dramatisch daher. Das Geld sei schon ausgegangen, schreibt sie, "und in Kürze auch die Zeit". Sollten bis Ende des Jahres keine Mittel bereitgestellt werden, würde man dem angegriffenen Land "in die Kniescheibe schießen". Das gelte nicht nur für Rückeroberungen durch die Ukraine, sondern auch für die Verteidigung, fügt sie ominös hinzu. Man solle an die historische Verantwortung im Kampf gegen Autokratien denken.

Donald Trump
Kein Unterstützer der Ukraine: Donald Trump.
AP/Geoff Stellfox/The Gazette

Dass sich die republikanische Führungsriege im Repräsentantenhaus davon beeindrucken lässt, ist nicht anzunehmen. Und auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der Dienstagabend erneut vor Senatoren um Unterstützung werben wollte, wird auf Granit beißen. Denn dem Kampf gegen die Autokratie sind jene Republikaner, die derzeit das Geld blockieren, schon lang nicht mehr verpflichtet. Im Gegenteil sind sie ihrem eigenen Autokraten hörig, Donald Trump, der bereits vor dem möglichen Wahlsieg 2024 seine Macht einsetzt, um Kiew einer Niederlage näherzubringen. So hörig, dass sie jede Abstimmung über Hilfen blockieren – im Wissen, dass es sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus eine Mehrheit für die Auszahlung gäbe.

Auch falls es nun, mit etwas Glück, vielleicht doch noch einmal zu einer Einigung kommen sollte: Man kann sich vorstellen, was das alles für die Zeit ab dem 20. Jänner 2025 bedeutet, an dem Trump im Fall eines Wahlsiegs zum zweiten Mal den Amtseid ablegen würde. Eine Perspektive im Übrigen, die aktuelle Umfragen viel wahrscheinlicher erscheinen lassen als seine Niederlage.

Feinde der Demokratie

Auf Europa hat das grundlegende Auswirkungen. Schon jetzt sägen Parteien vom rechten und, seltener, auch vom linken Rand mithilfe Russlands an den Fundamenten der Demokratie und an jener Lebensart, die dem Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten Frieden und Wohlstand gebracht hat. Eine Niederlage Kiews, ein Sieg Donald Trumps: Sie würden diese Tendenz beschleunigen. Darauf müssen Gesellschaften und die demokratische Politik vorbereitet sein.

Die gute Nachricht lautet: Auch wenn europäische Staaten auf das Geschehen in den USA wenig Einfluss haben mögen – die Entwicklung hier ist gestaltbar, die liberale Gesellschaft kann gegen Widerstände verteidigt werden. Dazu gehört es etwa, den Feinden der Demokratie wieder klarer entgegenzutreten, statt sie in Koalitionen an die Regierung zu bringen und ihre Forderungen zu übernehmen.

All das ist nicht leicht. Es gelingt aber vielleicht besser mit Klarheit über das, was auf dem Spiel steht. Dabei hilft es, das, was sich derzeit in den USA abspielt, nicht nur als Politikgeplänkel zu verstehen, sondern als Vorboten weiterer Entwicklungen, als eines vieler Warnsignale für Europa. So gesehen kommt Youngs Brief zum falschen Adressaten – aber vielleicht noch zur rechten Zeit. (Manuel Escher, 5.12.2023)