Deborah Feldman sorgt mit vielen ihrer Positionen auch innerjüdisch für Diskussionen.
Deborah Feldman sorgt mit vielen ihrer Positionen auch innerjüdisch für Diskussionen.
imago images/teutopress

Mit ihrem Buch Unorthodox (2012) wurde Deborah Feldman zum Liebling der liberalen jüdischen Community und zum Star, spätestens als Netflix es 2020 verfilmte. Sie erzählt darin autobiografisch die Geschichte einer jungen Frau, die in der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft von Satmarer Chassiden in Brooklyn aufwächst, aus ihrer Familie ausbricht und sich befreit. Feldman selbst zog 2014 nach Berlin und war seither eine Art intellektuelles Liebkind im deutschen Diskursraum. Ihr im September erschienenes Buch Judenfetisch sorgte aber für gespaltene Reaktionen. Für Unverständnis und Kritik sorgten Passagen, in denen Feldman unter anderem Israel scharf kritisiert oder einst aus der UdSSR nach Deutschland migrierten Kontingentflüchtlingen vorwirft, sie würden ihr Jüdischsein vorschützen, um in Europa leben zu können.

Am Sonntag hätte sie im Wiener Gartenbaukino lesen sollen, nun wurde die Veranstaltung aber ab­gesagt. Aus Angst vor Protesten oder Drohungen? Nein, sagt der Geschäftsführer Norman Shetler zum ­STANDARD. Es habe zwar E-Mails gegeben, die einem zu denken gäben, die aber ausgeglichen formuliert und im Rahmen gewesen seien. Druck habe er keinen gespürt. Er habe sich seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober aber zunehmend gefragt, ob der Moment richtig sei für eine "potenzielle weitere Polarisierung in einer ohnehin aufgeheizten Zeit".

Habe Feldman zuerst ausgewogene Worte für die Geschehnisse gefunden, seien dann Aussagen über Israel gefallen, die er nicht einordnen könne, weil er keinen jüdischen Background habe. "Die Ungewissheit, wie diese Veranstaltung angenommen und wer vielleicht versuchen würde, sie für sich zu nutzen, hat uns gewissermaßen überfordert. Die Dynamik ist sehr komplex geworden in den letzten Wochen." Wenn statt eines Diskurses eine Stimmung entstanden wäre, die "nicht mehr kontrollierbar" sei, fände er das "furchtbar" – und da gehe es gar nicht um Gewalt.

Zeit für "Solidarität"

Das sieht auch Avia Seeliger so, die den Auftritt moderiert hätte. Die Wienerin, die den Podcast Chuzpe, jung und irgendwie jüdisch der Israelitischen Kultusgemeinde präsentiert, sieht die Öffentlichkeit derzeit, da "alle in allem, was man tut, Israel und Palästina sehen", nicht empfänglich für so diffizile innerjüdische Debatten, wie Feldman sie in Judenfetisch anreißt. Der Mehrwert, den man erreichen wollte, würde derzeit vor den Fragen zum Krieg in Gaza, zumal vor einem großteils nichtjüdischen Publikum, "untergehen". Es sei "eher Zeit für Solidarität als für einen öffentlichen Diskurs, der uns als Juden nicht stärkt".

Angst vor Protesten oder persönlichen Attacken hätte auch sie keine gehabt, ebenso wenig das Gefühl, mit ihrer Meinung nicht in der Öffentlichkeit stehen zu können. Auch werde Feldman nicht "gecancelt". Das Gartenbaukino würde den Termin gerne als Podium auch mit Experten nachholen. (Michael Wurmitzer, 5.12.2023)