Ihr Auftritt in Wien wurde abgesagt: Schriftstellerin Deborah Feldman.
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PRO: Pause für erhitzte Gemüter

von Michael Wurmitzer

Mit ihrem Buch Judenfetisch ist Deborah Feldman zuletzt durch einige als problematisch erachtete Wortmeldungen etwa zu Israel aufgefallen; am Sonntag hätte die jüdische Autorin in Wien lesen sollen. Sie wird nun doch nicht aus Berlin anreisen, denn der Termin wurde abgesagt. Das Gartenbaukino als Veranstalter erklärt, dass sich – der Auftritt wurde im September vereinbart – seit dem Angriff der Hamas auf Israel "neue Themen und potenzielle Konfliktherde aufgetan" hätten, weswegen man es als "schwierig" ansehe, "den Mehrwert" des Abends "zu gewährleisten".

Ja, die Diskursräume sind erhitzt. Vor einem Monat hat der ORF-Journalist Jürgen Pettinger verkündet, dass eine Lesung aus seinem Buch Dorothea in Wien vom Organisator mit der Begründung abgesagt worden sei, man wolle "aus Sicherheitsgründen derzeit keine Veranstaltungen mit jüdischem Konnex" abhalten. Das ist eine so bedauerliche wie alarmierende Feststellung zum Zustand des friedlichen Zusammenlebens in diesem Land. Doch kann man in Zeiten, da die Polizei Kundgebungen sichert, von privaten Veranstaltern verlangen durchzuhalten, wo der öffentliche Diskurs versagt?

Knickt hier jemand ein? Nein, um die Angst vor Gewalt geht es im Fall Feldman nicht. Man befürchtet vielmehr, dass in der aktuell nicht zu Differenzierung neigenden Stimmung die Veranstaltung verkürzt, fehlgedeutet und instrumentalisiert werden könnte. Die Argumente sind nachvollziehbar – leider. (Michael Wurmitzer, 5.12.2023)

KONTRA: Warum den Streit fürchten?

von András Szigetvari

Deborah Feldman thematisiert in ihrem Buch Judenfetisch, wie aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderte Juden sich in Deutschland als Juden inszenieren, obwohl sie zur jüdischen Identität keinen Bezug haben. Anstatt eine Diskussion über die provokante These zuzulassen, hat das Gartenbaukino die Veranstaltung abgesagt.

Das Kino reiht sich damit in eine länger werdende Liste von Veranstaltern ein, die kontroverse Debatten lieber canceln, als sie stattfinden zu lassen. An der Uni Wien untersagte das Rektorat im November eine Palästina-Vortragsreihe, weil sich einige der Vortragenden mit dem Vorwurf konfrontiert sahen, die Israel-Boykott-Bewegung zu unterstützen. Davor lud der ÖGB eine Friedenstagung zur Ukraine wegen der Furcht aus, die Tagung würde Russlands Angriff nicht laut genug verurteilen.

Diese Diskurse abwürgen zu wollen ist in einer liberalen Demokratie falsch und nutzlos. Nutzlos, weil diese Thesen durch Absagen gerade in Zeiten von sozialen Medien nicht weniger Raum erhalten, sondern mehr. Demokratie lebt von Widerspruch: Erst durch die Konfrontation mit strittigen und fragwürdigen Standpunkten können Zuhörerinnen und Zuhörer ihre eigenen Positionen schärfen und dazulernen. Warum dem Publikum nicht zutrauen, sich eine eigene Meinung zu bilden, etwa ob ein Abend mit Feldman "Mehrwert" bietet? Eine offene Gesellschaft muss streiten können – auf offener Bühne. (András Szigetvari, 5.12.2023)