GTA 6
"GTA" wurde meist von starken Charakteren getragen, die jedoch nie dem klassischen Helden entsprachen, wie man ihn oft in Videospielen findet.
Rockstar

Alles machen können. Ein schickes Auto stehlen, mit diversen Waffen hantieren oder in den Stripclub gehen: Gangster sein. Alles machen können, was man im realen Leben nicht machen darf oder sollte. Dinge, die man eigentlich nur aus Filmen wie "Goodfellas" oder "Heat" kennt. Speziell für Jugendliche, aber auch für viele Erwachsene hatte die "Grand Theft Auto"-Serie aufgrund dieser Möglichkeiten immer eine magische Anziehungskraft.

Erziehungsberechtigte oder dem Videospiel eher skeptisch gegenüberstehende Naturen schossen deshalb regelmäßig scharf gegen die Serie, deren Erfolg konnte das aber nicht stoppen – befeuerte ihn viel mehr. "Darf ich schon 'GTA' spielen?" wurde sicher in vielen Familien zu einem Streitthema. Dabei ist die Videospielserie, die vor 26 Jahren noch als unscheinbares Top-down-Abenteuer anfing, viel mehr als das. Die in den Spielen erzählte Story ist voll mit popkulturellen Anspielungen und mit ihren derben Sprüchen und so manchem Handlungsstrang immer knapp an der Grenze zur Geschmacklosigkeit – jedoch zumeist mit dazugehörigem Augenzwinkern.

Aber "GTA" ist auch eine unglaublich lebendige Spielwelt inklusive dutzender Radiostationen, nachgebauter US-Metropolen, am Laufen zu haltender Businesses und mit "GTA Online" ein seit über zehn Jahren erfolgreiches Online-Massenphänomen obendrauf. Kein Wunder also, dass Millionen Menschen auf "GTA 6" warten, was dank des in dieser Woche veröffentlichten Trailers noch einmal deutlich wurde.

An der Grenze des guten Geschmacks

Es war im letzten Jahrtausend, genauer gesagt 1999, als ich erstmals Kontakt mit der Serie hatte. Ein Freund lud damals zu sich ein, um im lokalen Netzwerk ein Spiel namens "GTA 2" auszuprobieren. Aus der Vogelperspektive steuerten wir Gangster, die Autos stehlen, rumschießen und diverse Gegenstände und Geld aufsammeln konnten. Die verwaschene Optik sah für damalige Verhältnisse okay aus, aber vor allem das Durch-die-Straßen-Sausen und Anderen-Spielern-Auflauern unterhielt uns für Stunden.

2001 erschien die Fortsetzung "GTA 3" und wechselte von einer zweidimensionalen Ansicht in eine dreidimensionale. Das dem realen New York nachempfundene Liberty City überwältigte mich damals mit einer lebendigen Metropole, die man einfach durchlaufen oder eben durchfahren konnte. Erstmals ist die Story mit für damalige Verhältnisse aufwendigen Zwischensequenzen und vertonten Dialogen ausgestattet.

Screenshot aus GTA 2
"GTA 2" erschien 1999 und sah seinem Vorgänger noch sehr ähnlich. Erst mit Teil 3 zwei Jahre später sollte die bis heute genutzte Third-Person-Perspektive eingeführt werden.
Rockstar Games

Aber die Faszination war für mich und viele andere gar nicht so sehr, die von Mafia-Filmen inspirierte Handlung zu spielen. Tatsächlich war es viel beeindruckender, sich frei in der Welt bewegen und beispielsweise als Taxifahrer zusätzliches Geld verdienen zu können. Aber auch wild ballernd durch die Gegend laufen, was explodierende Autos und generell Reaktionen in der Spielwelt auslöste, hatte man so noch nicht oft gesehen. Das mag speziell in Zeiten wie diesen martialisch wirken – für viele abstoßend. Aber auch vor 20 Jahren sprach man schon von den sogenannten Killerspielen, die potenzielle Attentäter trainieren würden.

Ich selbst war Zivildiener, besitze keinen Waffenschein, bin aber sehr wohl mit dem Actionkino der 1980er und 1990er und "Kriegsspielzeug" wie GI Joe oder Masters of the Universe aufgewachsen. Waffen und Kämpfen waren da omnipräsent. Heute bin ich Familienvater und sehe auch in der Rolle des Games-Journalisten die Verantwortung, auf Gefahren des Mediums hinzuweisen. So würde ich meinem Sohn mit Sicherheit keinen "GTA"-Teil zum 14. Geburtstag oder noch früher kaufen und ihn damit allein im Zimmer verschwinden lassen. Vielmehr würde ich mich die ersten Stunden neben ihn setzen und seine Reaktionen auf das Gezeigte beobachten. Wenn dann sein Puls nicht bei jedem Scharmützel unnötig hochgeht, dann hätte ich nicht die Angst, dass er mit einem verstärkten Aggressionspotenzial am nächsten Tag in die Schule geht.

Aber ja, für Kinderhände ist die Serie nicht gedacht. 2004 lässt Entwickler Rockstar tief in die eigene Seele blicken, als Spieler in der PC-Version von "GTA: San Andreas" Codezeilen finden, die den Protagonisten Carl Johnson Sex mit seiner Freundin haben lassen. Diese Inhalte, die unter dem Namen "Hot Coffee Mod" in der pubertierenden Zielgruppe schnell die Runde machten, wollte der Präsident der Firma, Sam Houser, offenbar im Spiel haben, aber als die Rechtsabteilung einen weniger erfolgreichen Release in den USA prognostizierte, wurden dieser Teil für das offizielle Spiel zwar nicht gelöscht, aber deaktiviert.

Aber nicht nur ein versteckter Sexakt war für Schlagzeilen in der langjährigen Serie verantwortlich. Eine äußerst brutale Verhörszene im fünften Teil ließ den Autor dieser Zeilen fast den Story-Modus abbrechen, so angewidert war er vom Gezeigten. "GTA" geht zwischen aberwitzigen Einsätzen, die an das Actionkino der 1980er oder aktuelle Trends angelehnt sind, an Grenzen, deren Existenz in einem Videospiel manchmal schwer zu argumentieren ist. Die Seite "Game Family" hat für den fünften Teil gut zusammengefasst, warum "GTA" nicht in die Hände von Kindern gehört. Hier wird etwa erwähnt, dass es zwar nicht das Ziel des Spiels ist, wahllos Passanten zu verprügeln oder Autos in die Luft zu jagen – aber es natürlich möglich sei.

GTA 6
Das Spiel richtet sich mit seinen Inhalten ganz klar an Erwachsene. Dass das auf Jugendliche anziehend wirkt, nimmt Rockstar wohl billigend in Kauf.
Rockstar

Online: 700 Millionen im Jahr

Die wahre Geheimwaffe der Actionserie ist aber mittlerweile nicht mehr nur der Nachbau von Metropolen wie New York oder Los Angeles oder das Ausleben dunkler Fantasien. Mit "GTA Online" startete fast parallel zum Launch von "GTA 5" ein, wie der Name schon verrät, sehr erfolgreicher Online-Modus. Vor allem finanziell wurde diese Idee eine Goldgrube für Publisher Take 2. Im Schnitt bringt die Franchise, vor allem getragen durch "GTA Online", seit 2014 einen Umsatz von rund 700 Millionen Dollar – pro Jahr. Zweimal wurde sogar die Milliardenmarke übersprungen. 2014, also im ersten vollen Jahr von "GTA Online", wurde mit 1,6 Milliarden Dollar der bisherige Höchststand erreicht. 2022, also im Jahr des Leaks von "GTA 6", waren es 1,083 Milliarden Dollar.

Was "GTA Online" ausmacht, hat der Autor dieser Zeilen sogar selbst ausprobiert. Auch mit über 40 Jahren war dem Modus die Faszination nicht abzusprechen. Alleine oder gemeinsam mit Freunden bewegt man sich frei in der bekannten Welt, jedoch kann man eigene Geschäftsfelder aufbauen, etwa ein Drogenlabor oder Waffenhandel. Die Serie "Breaking Bad" lässt grüßen. Während das Spiel passiv über Zeit die gewählten Güter produziert, was Leute an die Konsole oder den PC fesselt, müssen die Kunden mit den Waren eigenhändig beliefert werden. Neben der im Spiel vorhandenen Polizei warten aber auch noch andere Spieler, die solche Transporte aus Spaß sabotieren wollen. Emotionen sind somit vorprogrammiert, egal ob man ins Ziel kommt oder eben nicht.

Mit dem erworbenen Geld kann man dann die eigenen Geschäfte größer machen oder in Immobilien oder schicke Autos investieren. Auch Panzer, Hubschrauber oder Yachten kann man für irre Summen erwerben. Regelmäßig liefern die Entwickler auch noch Inhaltsupdates, also neue Charaktere und vor allem Fahrzeuge, die dem in die Jahre gekommenen Spiel nochmals einen kleinen Spin geben. Eine Spielwiese für Erwachsene – auch wenn der Sprachchat oft verrät, dass vor allem im englischsprachigen Raum sehr viele Kinder und Jugendliche die virtuelle Welt bevölkern.

Genaue Spielerzahlen kennt man nicht, aber im März 2022 notiert eine Games-Website, dass sich allein auf der PC-Plattform Steam täglich rund 90.000 Spielerinnen und Spieler in "GTA Online" einloggen. Da sind die Spielerzahlen von Playstation und Xbox natürlich nicht inkludiert. Wer gerade nicht selbst spielt, der schaut zu. Das Streamingportal Twitch rechnet für den November 2023 vor, dass "GTA 5" beziehungsweise "GTA Online" für die Plattform rund 100 Millionen Verweilstunden gebracht haben. Das Spiel bleibt also auch zehn Jahre nach seinem Release ein Massenphänomen, und das, obwohl neue Inhalte mittlerweile immer seltener erscheinen und die Steuerung nach wie vor aus dem Jahr 2013 stammt und nur mittelmäßig für ein komplexes Onlinespiel taugt.

GTA Online
In "GTA Online" kann man sich einen Protagonisten ganz nach den eigenen Vorstellungen kreieren.
Screenshot, STANDARD
GTA Online
Im Online-Modus kann man sich für sauer verdientes Geld vom Hubschrauber bis zum K.I.T.T.-Verschnitt aus Knight Rider alles kaufen.
Rockstar

Spiel der Rekorde

Seit mittlerweile zehn Jahren warten die Fans auf den Nachfolger. Unter Druck sieht sich aber weder der Entwickler noch der Publisher, lässt "GTA Online" doch noch immer ausreichend die Kassen klingeln. Nach den Leaks im Vorjahr wird der Leidensdruck der Community allerdings immer größer, weshalb Rockstar wohl früher als gewollt am Dienstag den offiziellen Trailer für "GTA 6" veröffentlichte. Nach knapp 24 Stunden hatte das kurze Video bereits über 100 Millionen Aufrufe. Ein Rekord über alle Entertainmentmedien hinweg. Nicht der erste Rekord, den die Serie verbuchen konnte. "GTA 5" war das erste Videospiel, das in nur drei Tagen einen Umsatz von einer Milliarde Dollar erreichte. Ebenfalls ein Meilenstein über alle Unterhaltungsprodukte hinweg, inklusive Kinofilme und Musik. Mit dieser Leistung steht das Spiel auch mit zwei Einträgen im Guinness-Buch der Rekorde.

Wie gut sich "Grand Theft Auto 6" verkaufen wird, kann man rund zwei Jahre vor dessen voraussichtlicher Veröffentlichung natürlich nicht sagen. Erste Hinweise, dass es ebenfalls Rekorde brechen wird, gibt es aber schon. So benötigte der Ankündigungstrailer von "GTA 5" satte zwölf Jahre, um 100 Millionen Views zu schaffen. Der Nachfolger schaffte das, wie eben erwähnt, in rund 24 Stunden. Generell ist das Thema Videospiele heute viel breiter im Massenmarkt verwurzelt als noch 2013, als "GTA 5" erschien. Klar, es gibt auch mehr Konkurrenz, aber diesjährige Rekordverkäufe von "Spider-Man 2", "Diablo 4" oder "Zelda: Tears of the Kingdom", die für ihre Sparte neue Bestmarken aufstellen konnten, zeigen, dass die Nachfrage nach populären Blockbustern größer ist als je zuvor.

"GTA 6" wird deshalb – egal in welchem Jahr es dann wirklich erscheint – die Hype-Marke in Sachen Videospiele auf ein neues Level heben. Das wird mit der interessanten Welt zu tun haben, mit den neuen Protagonisten, einer sicher reichweitenstarken Durchdringung aller wichtiger Social-Media-Kanäle und natürlich der Tatsache, dass auch 2025 viele Jugendliche und Erwachsene gerne einmal Gangster spielen wollen. (Alexander Amon, 8.12.2023)