Der Befund Barbara Heliges zur internationalen politischen Lage ist höchst negativ: "Wir befinden uns in einer schrecklichen Situation. In der Ukraine ist ein Ende des Krieges nicht abzusehen. Hinzu kommt das Massaker der Hamas an israelischen Bürgerinnen und Bürgern im Oktober" – mit allen kriegerischen Folgen im Gazastreifen, sagt sie.

Inakzeptabel – so die Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte bei der Vorstellung des diesjährigen Menschenrechtsbefunds – sei auch, dass es in Österreich "85 Jahre nach der Reichspogromnacht Hakenkreuze in jüdischen Friedhöfen sowie Übergriffe auf kippatragende Männer und kopftuchtragende muslimische Frauen gibt. Es kann doch nicht sein, dass Menschen die Symbole ihres Glaubens verstecken müssen, um sich zu schützen", appellierte sie.

Video: Liga der Menschenrechte ortet Zunahme von Menschenrechtsverletzungen
APA/kha

Fluchtwaisen ohne adäquate Betreuung

Nötig seien daher "gesellschaftliche Gegenentwürfe unter Beachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention". Etwa beim Umgang mit Fluchtwaisen in Österreich, die – so Wolfgang Salm von der NGO Fairness Asyl – vielfach in bürokratischer Ausdrucksweise "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" genannt würden, bei denen es sich jedoch schlicht um unter 18-Jährige, also Kinder, handle, die ohne Eltern auf der Flucht seien. Und für die in Österreich trotz jahrelanger Diskussionen und politischer Vorsätze keine adäquate Betreuung existiere.

Der österreichische Staat, so Salm, unterscheide auf höchst unfaire Weise zwischen Kindern aus Österreich und Kinderflüchtlingen. Nach ihrem Asylantrag ziehe sich das Zulassungsverfahren Letzterer vielfach über Monate hin. Ein Zeitraum, in dem die Kinder in Bundesbetreuung und damit in großen Lagern wie Traiskirchen untergebracht sind.

"In dieser Zeit hat niemand die Obsorge für sie, auch die Kinder- und Jugendhilfen nicht. Sie bleiben sich selbst überlassen", sagte Salm. Niemand kümmere sich spezifische um ihre Betreuung oder ihre Schulbildung, obwohl die allermeisten von ihnen, aus Afghanistan oder Syrien kommend, in Österreich Schutz erhalten und damit bleiben werden. Das minimiere ihre späteren Lebenschancen.

Jugendliche vor dem Eingang des Flüchtlingslager in Traiskirchen
Im Flüchtlings-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen sind auch viele alleinstehende Kinder untergebracht.
Regine Hendrich

80 unter 14-Jährige allein im Lager Traiskirchen

Im Oktober 2023 seien im Lager Traiskirchen gar 80 Unmündige – Kinder unter 14 Jahren – ohne Eltern oder sonstige erwachsene Vertrauensmenschen untergebracht gewesen, berichtete der NGO-Experte. Im Rahmen der Kampagne "Kind ist Kind" bemühe sich ein Zusammenschluss von 40 Organisationen seit Jahren, vorhandene Konzepte wie Clearinghäuser für Fluchtwaisen umzusetzen. Die Politik sei hier seit Jahren säumig.

Das gelte ich für den Medienbereich, erläuterte in der Folge Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter und Präsident von Reporter ohne Grenzen in Österreich. Österreich sei aufgrund einer Vielzahl von Negativentwicklungen im internationalen Pressefreiheitsranking abgerutscht, sagte er. In den vergangenen 15 Jahren sei ein Viertel der journalistischen Arbeitsplätze verloren gegangen: "Eine Bilanz medienpolitischer Versäumnisse", so Hausjell.

Werbung wandert von journalistischen Medien ab

Kommerziellen Druck übe etwa Abwanderung von immer mehr Werbung in nichtjournalistische Konkurrenzangebote aus. Damit verlieren die Medienhäuser einen zentralen Teil ihrer finanziellen Grundlage. Eine Lösungsmöglichkeit wären auf europäischer Ebene gemeinsame digitale Vertriebskanäle – etwa auf genossenschaftlicher, gleichberechtigter Basis. Hier brauche es dringend Initiativen.

Hinzu kämen die öffentlich gewordenen Verflechtungen handelnder Politiker, Wirtschaftstreibender sowie auch Meinungsforscher mit manchen Medien – und ihre Einflussnahme auf deren Inhalte. Die Lage, so Hausjell, sei prekär, auch für den Fortbestand der Demokratie in Österreich: "Ohne Medien, die Missstände aufdecken, ansprechen und eine Diskussion ermöglichen oder schlicht Informationen liefern, tappen wir bewusstseinsmäßig im Niemandsland."

Slapp-Klagen, Gewalt und mangelnde Bildung

Der Menschenrechtsbefund 2023 geht außerdem auf die zunehmende Praxis von Slapp-Klagen gegen zivilgesellschaftliche Gruppen ein, in deren Rahmen rechtsmissbräuchlich horrende Summen gefordert werden. Auch die Lage von Frauen in Österreich, die zunehmenden Aggressionen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt sind und denen die Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern drohe, wird problematisiert.

Zudem geht es um das Recht auf Wohnen, um das zunehmend krisenhafte Gesundheitssystem und Gegenmaßnahmen, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen, um das Bildungswesen, Polizeigewalt und den eingeschränkten Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft. (Irene Brickner, 7.12.2023)