Frankreichs Präsident umgarnt erfolgreich Investoren, in Deutschland blickt man neidisch gen Westen.
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Spendabler Macron: Frankreichs Präsident umgarnt erfolgreich Investoren

Die Franzosen mögen sich auf ihre Lebenskunst verstehen und die besten Croissants der Welt herstellen. Aber dass sie nun auch noch bei den Wirtschaftsdaten die Nase vorne haben, geht vielen Deutschen nicht in den Kopf. Dabei sagt es der Spiegel-Kolumnist Michael Sauga in aller Kürze: "Frankreich – das bessere Deutschland", titelte er, um dann festzuhalten, dass die Wirtschaftspolitik Emmanuel Macrons "jenen Aufschwung gebracht hat, der hierzulande schmerzlich vermisst wird". Frankreich wird für 2024 ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent des Bruttoinlandproduktes vorhergesagt, Deutschland nur 0,9 Prozent.

Vor allem ist das Geschäftsklima in Frankreich auch nach der Pandemie und trotz aller Kriege positiver als beim Nachbarn, der so stolz war auf den Coup der Tesla-Fabrik in Berlin-Grünheide. Bei ausländischen Investoren ist heute Frankreich europaweit Nummer eins. Mit 1250 fremdfinanzierten Projekten liegt es klar vor Großbritannien, noch deutlicher vor Deutschland. Darunter sind auch industrielle und innovative Großprojekte wie etwa in den Bereichen Wasserstoff, Lithiumbatterien oder Nuklearenergie zu finden.

The Economist schrieb, der französische Präsident könne "die Früchte seiner businessfreundlichen Reformen ernten". 2022 hatte er mit der Revision der Arbeitslosenversicherung einen ersten, den deutschen Hartz-Maßnahmen ähnlichen Pflock eingeschlagen. Die Unternehmenssteuer drückte er schrittweise von 33 auf 25 Prozent, die Vermögenssteuer hob er (außer für Immobilien) auf. Mit einer Flat Tax auf Kapitalgewinne holte er nach dem Brexit auch Anleger aus der Londoner City nach Paris. 2023 legte Macron mit der Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre nach – eine politische Parforce-Leistung. Man kann diese liberalen Ansätze aus wirtschaftspolitischer Sicht begrüßen oder ablehnen – im trockenen Vergleich liegt Frankreich heute objektiv vor den EU-Partnerstaaten, was die Attraktivität des Marktes betrifft.

Devise "Choose France"

"Choose France" lautet Macrons Devise, wenn er einmal im Jahr die wichtigsten internationalen Firmennamen in Schloss Versailles versammelt – heuer etwa Pfizer, Nokia, Accenture, Roche, Morgan Stanley oder Manpower. "Mit 28 Ankündigungen für insgesamt 13 Milliarden Euro an Investitionen und 8000 geschaffenen Arbeitsplätzen bestätigt das Treffen ,Choose France‘ Frankreichs Platz als europäischer Leader in Direktinvestitionen des Auslands", frohlockte der Präsident auf Social Media. Seit seiner Wahl im Jahre 2017 organisiert er diese Treffen, und seither sinkt in Frankreich die Arbeitslosigkeit (derzeit 7,4 Prozent). Der Sozialist François Hollande hatte zwar Vorarbeit geleistet, aber das Resultat erntet Macron: Frankreich hat derzeit bei den meisten Kennzahlen die Nase vor Deutschland.

Nur bei einer Zahl ist es anders – der Staatsschuld. Sie ist der Preis für so vieles, sie ist Macrons Pferdefuß: In seiner sechsjährigen Amtszeit ist die Verschuldung Frankreichs von weniger als 100 auf 115 Prozent hochgeschnellt. Schuld ist unter anderem Covid: Vor drei Jahren hatte Macron die Politik des "quoi qu’il en coûte" ("was immer es kostet") ausgerufen. Mit 647 Milliarden Euro neuen Schulden führt der als neoliberal verschriene Präsident in Frankreich die Rangliste der spendierfreudigsten Staatschefs der Fünften Republik (seit 1958) an. In absoluten Zahlen hat sein Land eine europaweite Rekordschuld von über 3000 Milliarden Euro angehäuft – mehr als Italien. Mehr auch als Deutschland.

In Frankreich wogt die Debatte zur Frage, ob Macron bei der Bekämpfung der Pandemie und der Inflation nicht zu tief in die Staatskasse gegriffen habe. Der Internationale Währungsfonds (IWF) kritisierte im April, Frankreich sei das einzige Land der Eurozone, dessen Schulden bis 2028 weiter zunehmen würden. Denn das Haushaltdefizit werde bis dahin auf über drei Prozent verharren. Das ist eben Frankreich: Ob gerade Hochkonjunktur herrscht oder Rezession, die Grande Nation lebt seit vierzig Jahren über ihre Verhältnisse.

Protest der Gelbwesten

Macrons Ansatz wird in Paris von vielen Ökonomen rechter wie linker Provenienz verteidigt. Unter dem Strich habe Frankreich die Krisenjahre samt Gelbwestenkonflikt besser überstanden als viele europäische Länder, darunter auch Deutschland. Ohne die höheren Staatsausgaben wäre Frankreich in eine Rezession abgesackt, was die Nation sozial wie auch ökonomisch viel teurer zu stehen gekommen wäre. Immerhin verzeichne Frankreich jetzt ein positives Wirtschaftswachstum, und dies könne dazu beitragen, die Staatsschuld abzubauen.

Dieses Argument der "Macronomics" hat einiges für sich. Aber es wirft auch die Frage auf, ob Frankreich nicht von der Eurozone "lebt" oder zumindest profitiert. Denn ohne Gemeinschaftswährung wäre das hoch verschuldete Frankreich, also sein Franc, seit langem Zielscheibe der Finanzmärkte. Der Zinsunterschied zu Deutschland würde ins Uferlose steigen, Frankreich wäre am Boden.

Macrons Wirtschaftsberater bestreiten diesen Umstand nicht, aber sie entgegnen, die EU sei eben deshalb ein Erfolg, weil alle profitierten – Frankreich durch die Währungsstabilität trotz hoher Staatsschuld, Deutschland als Exportnation mit dem Hauptabsatzmarkt EU.

Die Frage also, wer mehr als andere profitiert, ist weniger wichtig als viele Politiker meinen. Zumal es nicht immer die gleichen Länder sind, die abräumen. Vor zehn Jahren war Frankreich jenseits des Rheins als "Krankreich" betitelt worden. Jetzt hat sich der Wind gedreht. Aber niemand mag sich darüber freuen. Die Franzosen wissen, dass es auch sie treffen wird, sollte die deutsche Wirtschaft taumeln. (Stefan Brändle aus Paris, 9.12.2023)

Notlage für Scholz: Deutschlands Kanzler muss sparen oder Schulden machen

Vor Weihnachten geht es in der Politik nicht anders zu als im Volk. Abarbeiten, wegräumen, Schreibtisch freibekommen – und dann ein paar Tage einfach mal nichts tun und sich erholen.

Das zumindest wäre auch beim deutschen Kanzler Olaf Scholz der Plan gewesen. Aber es klappt nicht. Scholz und seine Ampelkoalition werden es wohl nicht schaffen, noch in diesem Jahr den Haushalt für 2024 fertigzustellen. Somit schleppen die Ampelmänner und -frauen ihre derzeit größte politische Baustelle mit ins neue Jahr: das Chaos im Haushalt.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) versuchte, als dies am Donnerstag klar wurde, zu beruhigen: "Der Staat ist vollkommen handlungsfähig: Es wird keine Behörde schließen. Es wird kein Gehalt nicht ausgezahlt. Es wird niemand, der eine Unterstützungsleistung erwartet, sie nicht erhalten."

Andere sehen das nicht so entspannt. "Der deutschen Wirtschaft geht es nicht gut", sagt etwa der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Achim Wambach, die Haushaltskrise sei "sozusagen noch ein weiterer Stich". Denn es läuft in Deutschland ohnehin suboptimal. Die größte Volkswirtschaft der Eurozone schwächelt gewaltig. Sie wird wohl zum Jahresende unter den großen Industriestaaten das Konjunkturschlusslicht sein. Und diese Schwäche zieht die gesamte EU hinunter.

Dass das Gegengewicht weiter westlich zu suchen ist, bleibt natürlich auch in Deutschland nicht verborgen. "Europas neuer Wachstumsmotor – Frankreich hängt Deutschland ab", konstatierte kürzlich das Handelsblatt . Und der Focus sieht "fixe Franzosen" im Gegensatz zu "zaudernden Deutschen". Seit mehr als 20 Jahren ist auch wieder von Deutschland als dem "kranken Mann Europas" die Rede – wie damals rund um die Jahrtausendwende.

Tiefgreifende Reformen im Sozialbereich ist Scholz seit seinem Amtsantritt vor genau zwei Jahren im Gegensatz zu Macron nicht angegangen. Zwar rief er im Februar 2022 eine "Zeitenwende" aus, diese bezog sich aber nicht etwa auf eine Rentenreform, sondern auf die Besserstellung der Bundeswehr und militärische Aufrüstung als Reaktion auf den russischen Einmarsch in der Ukraine. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges bekamen auch andere Staaten zu spüren. Nicht nur Deutschland kämpfte mit hohen Kosten für Lebensmittel und Energie. Ein großer Teil der Misere aber sei in Deutschland hausgemacht, tadeln Ökonomen.

Massive Verunsicherung

So heißt es etwa im Gemeinschaftsgutachten der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute: "Hinzu kommt, dass die Politik der Bundesregierung Unternehmen und Haushalte massiv verunsichert; dies erschwert ökonomische Planungen und trägt dazu bei, dass die Konjunktur nicht zügig aus dem Abschwung herausfindet."

Eine Rüge gibt es vor allem für den grünen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck, der die Energiewende eigentlich als neues Aushängeschild Deutschlands in aller Welt verkaufen wollte. "Das politische Management der Energiewende sorgt für große Unsicherheit", kritisieren die Wirtschaftsforscher. Sie sehen "kleinteilige Eingriffe in die Entscheidungen der Unternehmen und Haushalte" statt "effiziente marktwirtschaftliche Instrumente". Das zielt auf Habecks umstrittenes Heizungsgesetz. Dessen mangelhafte Vorbereitung und schlechte Kommunikation sorgt für massive Unsicherheit. Millionen Deutschen war lange nicht klar, welchen Heizungsumbau sie daheim vornehmen müssen und welche Kosten auf sie zukommen.

Es ist nicht so, dass es in Deutschland an Ideen mangelte. Die Wirtschaftsweisen, die die Regierung beraten, fordern beispielsweise ein späteres Pensionsantrittsalter oder Erleichterungen für Zuwanderer, da diese als Arbeitskräfte gebraucht werden. "Wir sind nicht der kranke, aber der alte Mann Europas", sagt die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Veronika Grimm.

Sie meint auch: "Viel bedeutsamer als die konjunkturelle Schwäche sind die mittelfristigen Wachstumshemmnisse für das Produktionspotenzial." Wenn Deutschland also nicht reformiert und investiert, werde es immer mehr den Anschluss verlieren.

Finanzminister Lindner hat auch ein sogenanntes "Wachstumschancengesetz" eingebracht, das kleinere und mittlere Unternehmen bei der Investition in klimafreundliche Technologien unterstützt und auch steuerlich entlastet. Dieses sei ein Anfang, meinen Expertinnen und Experten. Lindner würde gerne weiter gehen, aber jetzt hemmt ihn die Haushaltsmisere. 17 Milliarden Euro fehlen im Etat 2024. Es heißt also sparen oder die Schuldenbremse wieder aussetzen, was der Finanzminister eigentlich nicht will.

Es geht an die Substanz

Unklar ist auch, was mit den Investitionen passiert, die für Klimainvestitionen in der Stahlbranche und neue Chipfabriken in Deutschland vorgesehen sind.

Dass der Blick in die Zukunft nicht rosig ist, räumt mittlerweile auch Habeck ein. Das Verfassungsgericht hat ja der Ampelregierung den Nachtragshaushalt 2021 vor die Füße geworfen und erklärt, dass Umbuchungen von 60 Milliarden Euro von einem Fonds in einen anderen tabu seien. Allein durch diesen "Wegfall", sagt Habeck, "erwarten wir einen Verlust an Wachstum im nächsten Jahr von einem guten halben Prozentpunkt". Das werde sich auch 2025 und 2026 fortsetzen, "sodass hier tatsächlich die Substanz der Volkswirtschaft Deutschland verteidigt werden muss".

Dazu allerdings bräuchte es dringend eine handlungsfähige Regierung. (Birgit Baumann aus Berlin, 9.12.2023)

Die wirtschaftlichen Eckdaten von Deutschland und Frankreich.
IMF, OECD; Bundesagentur für Arbeit, Vie publique, Destatis, Europäische Kommission