GASTBEITRAG: Tobias Glück

Eine junge Frau lehnt vor ihrem Laptop, neben ihr sechs Becher Kaffee
Wie viel Gehör findet die Personalabteilung, wenn sich Erschöpfung in der Firma häuft?
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Anfrage von Firma, akutes Thema: wahlweise Burnout, Mobbing oder Führungsverhalten, gerne auch gemischt. Man müsse das jetzt einmal gründlich angehen. Bitte einen einstündigen Vortrag für alle Interessierten oder ein zweistündiges Webinar für Führungspersonen. Freiwillig natürlich.

Auf die Entgegnung, dass das wahrscheinlich nicht reicht, Mitarbeiter eher noch mehr frustriert, es der Schilderung nach eher ein strukturelles Thema zu sein scheint, herrscht betretenes Schweigen, folgt zerknirschte Zustimmung. "Danke für die Perspektive". Freundliche Verabschiedung: "Wir besprechen das intern und schicken Terminvorschläge!" Funkstille. Gott sei Dank.

In einigen Firmen höre ich Schlagworte wie Mitarbeiterbindung, Journey, Responsibility, Work-Life, Onboarding (Wo ist der Meerblick?), Challenge – aufgeregte verbale Geschäftigkeit, die die Bedeutungslosigkeit im Organigramm unterstreicht. Auf die Einbindung der Mitarbeiter fokussiertes, durchdachtes und deren Interessen vertretendes Handeln im Sinne des Unternehmens sowie systemisches, langfristiges Denken sehe ich dagegen weniger. Davon braucht es jedoch bedeutend mehr. Und natürlich auch Mut.

Welcher Stellenwert Human Resources und Mitarbeiterbelangen in der Unternehmensstrategie eingeräumt wird, hat großen Einfluss darauf, wie sicher, gehört und verbunden sich Mitarbeiter mit einer Organisation fühlen. Und darauf, wie nachhaltig Bemühungen der Unternehmen sind, fähige und kritische Mitarbeiter zu halten, ehrliche Rückmeldungen zu bekommen und die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern.

Keine Befindlichkeiten

Das hat nichts mit Wunschkonzert oder Jahrmarkt der Befindlichkeiten zu tun. Sondern damit, für Mitarbeiter da zu sein, wenn sie es brauchen, hinzuhören und danach zu handeln. Das heißt auch, schmerzhafte Veränderungen problematischer Strukturen voranzutreiben und sich gegebenenfalls von Persönlichkeiten zu trennen, die diese Strukturen erhalten.

Auch wenn die meisten Organisationen sich Verantwortung und Fürsorge für ihre Mitarbeiter auf die Fahnen schreiben: Alltäglicher sind Trostpflaster, Wegducken, Hauruckaktionen und ein fehlendes Verständnis für eine geduldige, von unternehmerischem Verantwortungsbewusstsein geleitete Handlungsweise. Das war's dann mit dem Engagement. Wie kann es besser gelingen?

Keine Feuerwehr

Immer wieder auftretende Probleme sind meist Symptome eines zugrunde liegenden strukturellen Problems. Manchmal können kleine Veränderungen für eine Verbesserung ausreichen, häufiger jedoch sind es ineinandergreifende Dynamiken, die aus der Unternehmensbiografie, Organisationskultur und daraus erwachsenen Abläufen und Rahmenbedingungen entstanden sind. Und natürlich dem Umfeld.

Hierfür gilt es ein Bewusstsein zu entwickeln. Kurzfristiges Feuerlöschen für die ESG-Bilanz hört dann meist auf, und an seine Stelle treten überlegte, wirksame und langfristige Lösungen, die Zusammenhänge und unterschiedliche Maßnahmen berücksichtigen.

Um wirksame Veränderungen zu setzen, müssen Problembereiche wirklich verstanden werden. Was bedeutet beispielsweise "Führung" oder "Kommunikation"? Menschen gehen davon aus, dass jeder weiß, was gemeint ist. Wie genau geführt wird, welches Kommunikationsverhalten genau gemeint ist, bleibt unausgesprochen und ist je nach Organisation individuell.

Die richtigen Schritte

Der erste Schritt kann sein, durch gezielte Befragungen und Gespräche ein Verständnis der Problembereiche und Zusammenhänge zu bekommen, um darauf aufbauend passende Maßnahmen zu entwickeln, am Ball zu bleiben und diese nach gegebener Zeit auf ihre Wirksamkeit zu evaluieren. Die seit 2013 eingeführte Evaluierung psychischer Belastungen hat Österreich international zu einem Vorreiter gemacht, wenn es um die Berücksichtigung psychischer Einflussfaktoren auf die Gesundheit von Mitarbeitern und Organisationen geht. Eigentlich. Jedoch sehen noch immer Unternehmen und mittlerweile auch Mitarbeiter – weil sie gelernt haben, dass sich nichts ändert – es als lästige gesetzliche Verpflichtung. Es wird evaluiert, in einer Schublade abgelegt und so weitergemacht wie bisher. Gerade bei Unternehmen, die Angst haben, dass unliebsame Tatsachen ans Licht kommen. Gleiches gilt auch für die Arbeitspsychologie, wenn Unternehmen erschreckt erkennen, dass es kein "Ei-ei" im Kammerl ist, sondern auf einmal Probleme rückgemeldet werden.

An den positiven Beispielen sehen wir, dass die Unternehmen gesünder sind und langfristig mehr Zeit für ihre eigentlichen Ziele haben, die diese Prozesse als Dialogchance nutzen, engagiert und mutig die notwendigen Veränderungen angehen, hierfür die zeitlichen Ressourcen aufwenden und es als kontinuierlichen Verbesserungsprozess begreifen. Was unterscheidet diese Unternehmen?

Existenzielle Fragen

Es sind Unternehmen, die diese Probleme als existenzielle Frage begreifen und nicht mit dem Drei-Affen-Emoji antworten. Sie übernehmen Verantwortung, haben Strukturen, die Probleme abteilungsübergreifend angehen, kritische Mitarbeiter schützen und unabhängig Empfehlungen aussprechen, die umgesetzt werden. Sie haben Gleichbehandlungskommissionen mit Pouvoir, auch wenn es Führungskräfte betrifft, Mobbingbeauftragte und Personalabteilungen, die Mitarbeiter bei Konflikten oder Mobbing schützen können und andere strukturelle Lösungen finden, als sich vom Schwächeren zu trennen. Die Führungsebene hat Mut.

Offen sein für Kritik

Das heißt, sie hat ein offenes Ohr auch für schmerzhafte und kritische Rückmeldungen, statt sich persönlich angegriffen zu fühlen oder es abzutun. Selbst bei sich hinzusehen, welche Verhaltensweisen zu Strukturen und Dynamiken führen, und diese mit der Unterstützung von regelmäßigem Coaching, Mentoring oder Weiterbildungen zu verändern und sich hier immer wieder Feedback einzuholen. Mut heißt auch, dass alle Mitarbeiter konfliktfähig sind. Führung wird nicht als Einbahnstraße, sondern als persönliche Verantwortung aller füreinander gesehen; es mag fachliche und dienstliche Hierarchien geben, jedoch gibt es keine menschlichen. Hierfür braucht es den Raum und die Sicherheit, auch klare Rückmeldungen geben zu können, ohne Angst vor Konsequenzen.

Das hört sich alles wie Wunschdenken an? Ja, aber ohne Träume und Idealvorstellungen gibt es keine Veränderung. Und es gibt Organisationen, die diesen Traum leben. (Tobias Glück, 23.12.2023)